Wer kennt den Bremer Ehrenbürger Karl Ehlerding? Ist eigentlich der Herr Beuttenmüller schon vergessen?
"Nach dem Krieg wurde die IG Farben zerschlagen und ihr Vermögen beschlagnahmt, "um eine Einflussnahme der deutschen Chemiewirtschaft auf das politische Leben in Deutschland zu unterbinden". Doch in Wahrheit versetzten die Alliierten das Unternehmen nur in den Urzustand zurück. Bayer, BASF und Hoechst durften eigenständig weitermachen, ausgestattet mit dem größten Teil westdeutscher Produktionsanlagen und 90 Prozent des Vermögens der früheren IG Farben.
Als Rechtsnachfolger des Unternehmens verstanden sie sich freilich nie, weshalb sie auch keine Veranlassung sahen, im Namen der IG Farben Entschädigungen zu leisten. Dies blieb allein der "IG Farben in Liquidation" vorbehalten, einem Konstrukt ohne Kapital und Moral.
Schon in den siebziger Jahren nahm der Hamburger Vermögensverwalter Bernd Günther die IG Farben unter seine Fittiche. Als Finanziers standen ihm Karl Ehlerding, ein Studienfreund, und der Bremerhavener Kaufmann Friedrich Dieckell zur Seite.
Ehlerding guckte sich eine Tochtergesellschaft der IG Farben aus: die Württembergische Cattunmanufactur. Sie sollte künftig das Herz seines eigenen Firmenimperiums werden. Er musste sie nur noch geschickt aus dem ehemaligen Schreckenskonzern herauslösen.
Dazu baute er privat eine Beteiligung an der Gladbacher Aktienbaugesellschaft (GAB) auf, die er dann an die Württemberger verkaufte - im Gegenzug erhielt er Aktien des Unternehmens.
Die von Ehlerding kontrollierte IG Farben verlor dadurch die Mehrheit an der Tochter. Nach einer Schamfrist übertrug Ehlerding der mittlerweile zur WCM umfirmierten Cattunmanufactur sein Aktienpaket an der IG Farben - und erwarb über einen Tausch gegen WCM-Papiere weitere Anteile von freien Aktionären. Insgesamt besaßen Ehlerding und seine WCM 1994 über 75 Prozent des Unternehmens.
Auf wundersame Weise war die einstige Tochter WCM nun zur Mutter der IG Farben geworden - und hat diese später sogar größtenteils wieder verkauft. Doch zunächst wurde der Konzern geplündert. Denn nach der Tauschaktion gab es für die Aktionäre eine Sonderzahlung: 130 der 160 Millionen Mark des Kapitals der Firma wurden an die Gesellschafter ausgeschüttet. Mehr als drei Viertel des Geldes landeten bei Ehlerdings WCM. Die ehemaligen Zwangsarbeiter aber gingen auch hier leer aus.
Nicht nur Ehlerding hat Kasse gemacht, auch die anderen Aktionäre der IG Farben waren nach dem Fall der Mauer zufrieden - der Börsenwert hatte sich binnen eines Jahres verdreifacht. Wären da nur nicht die lästigen ehemaligen Zwangsarbeiter, das "Judenpack", wie die Opfer der Nazis auf Aktionärstreffen beschimpft wurden.
Leute wie der 1999 verstorbene Hans Frankenthal (Häftlings-Nr. 104920 ) und Peter Gingold demonstrierten bei jeder Hauptversammlung gegen den Fortbestand der Firma. Unterstützt von politischen Gruppen forderten sie die Auflösung und - endlich - eine Entschädigung.
Die Aktionäre freilich hatten für die "Störenfriede" meist nur Spott übrig. Einen der Anteilseigner brachten die Plakate und Sprechchöre der Opfer derart auf die Palme, dass er am Rednerpult giftete: "Wir sprechen hier so viel über Auschwitz. Welche Vermögenswerte haben wir denn noch in Polen?" Das waren für den Aufsichtsratschef Ernst Krienke "Dinge, die in der Zukunft liegen".
Die Zukunft aber war vor allem von immer neuen Spekulanten geprägt. Nach Ehlerding, der nach anderen Spekulationsgeschäften inzwischen fast pleite ist, beteiligte sich der Kölner Unternehmer Günter Minninger an der IG Farben und ließ sich auch zum Liquidator bestellen. So werden die Vorstände einer "in Auflösung" befindlichen Gesellschaft genannt.
Während seiner Amtszeit kaufte die IG Farben 479 Wohnungen - von Minninger selbst. "Zu einem völlig überhöhten Preis", wie einer der heutigen Liquidatoren, der CDU-Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt versichert. Die Gesellschaft sei damals schon "de facto pleite" gewesen.
Die Investoren aber, zu denen mittlerweile der Herausgeber des Börsenblättchens "Effecten-Spiegel" und Anti-Euro-Aktivist Bolko Hoffmann sowie der Hamburger Unternehmer Rüdiger Beuttenmüller gehörten, stört das wenig.
Sie wollen an das große Geld. Und nachdem sich die Hoffnung auf Rückgabe der ostdeutschen Ländereien - auch auf Grund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts - zerschlagen hat, setzen sie nun auf die Schweiz.
Dort nämlich hatte sich die heutige Großbank UBS 1959 die Interhandel AG einverleibt, eine einstige Tochtergesellschaft der IG Farben - bei der aber strittig ist, ob sie nach 1945 tatsächlich noch zur IG Farben gehörte. Die Frage konnte nie abschließend geklärt werden, ihr Wert schon: rund 2,2 Milliarden Euro.
Doch vor knapp zwei Jahren war in der Schweiz ein Buch über die Interhandel AG erschienen, in dem aus bis heute geheim gehaltenen Berichten des Wirtschaftsprüfers der Interhandel, Albert Rees, zitiert wird. Rees, das wird in dem Werk deutlich, hatte Zweifel, ob die Interhandel tatsächlich unabhängig war.
Das wiederum animierte Beuttenmüller. Unangemeldet kreuzte er im Frühjahr dieses Jahres bei der UBS auf und drohte dem Institut mit einer Klage in den USA. Im Juni wurde Beuttenmüller zwar zu 34 Monaten Haft verurteilt - wegen Betrugs in einem anderen Fall. Aber nun kümmern sich die bis zur Insolvenz amtierenden Ex-Liquidatoren der IG Farben um sein Anliegen.
Für die Aktionäre zahlt sich nun aus, dass Otto Bernhardt und sein Kompagnon, der Schweriner Rechtsanwalt Volker Pollehn, vor zwei Jahren tatsächlich eine Stiftung für die Zwangsarbeiter gegründet haben - auch wenn darin außer dem Gründungskapital von 255 000 Euro noch kein Geld einbezahlt ist.
Bernhardt und Pollehn, beide Vorstände der durch die Insolvenz nicht betroffenen IG Farben Stiftung, sind sich über ihr weiteres Vorgehen einig: Sie wollen eine Tochter in den USA gründen, deren Spitze mit honorigen US-Bürgern besetzen und dann die Forderung gegen die UBS einklagen. Die Gespräche mit Anwälten laufen bereits.
Die US-Tochter werde dann, voraussichtlich Mitte nächsten Jahres, Klage gegen die Schweizer Bank erheben. Hauptprofiteure aber sind wiederum die Aktionäre.
Sollte die Klage zum Erfolg führen, wird laut Bernhardt jede Zahlung zwischen Aktionären, Anwälten und Opfern in etwa gedrittelt. Insider berichten, dass die Opfer des Nazi-Terrors sogar nur mit 20 Prozent abgespeist werden sollen. Sollte die Klage keinen Erfolg haben, wollen Opfer wie Adam König selbst als Gläubiger gegenüber den Insolvenzverwaltern auftreten. Die rechtlichen Grundlagen lassen sie gerade prüfen. Für den Fall, dass die restlichen Ansprüche der Gläubigerbanken in Höhe von 27,5 Millionen Euro nicht an die Zwangsarbeiter abgetreten werden, wollen sie gegen die Institute rechtlich vorgehen.
Von Blut und Börsen, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29212896.html
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