Bundesfinanzhof ruft wahrscheinlich Karlsruhe an – Bankgeheimnis gerät unter Beschuss
Eichel droht Schlappe bei der Spekulationsteuer
Nach der Anhörung beim Bundesfinanzhof sind sich Steuerexperten einig: Über die Rechtmäßigkeit der Spekulationsteuer soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Falls die Karlsruher Richter ihrer Linie treu bleiben, werden sie das jetzige Erhebungsverfahren kippen. Damit droht ein Debakel wie 1991 bei der Zinsbesteuerung.
HANDELSBLATT, 17.7.2002 asr/ke DÜSSELDORF/MÜNCHEN. Sollte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) in der nächsten Legislaturperiode noch im Amt sein, wird er wohl die Besteuerung von Spekulationsgewinnen reformieren müssen. Dazu könnte auch das Bankgeheimnis auf den Prüfstand kommen. Der Bundesfinanzhof (BFH) machte gestern in einer mündlichen Verhandlung deutlich, dass es bei der gegenwärtigen Besteuerungspraxis klare Parallelen zur Zinsbesteuerung in den 80er Jahren gebe. Diese musste nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts neu geordnet werden. Karlsruhe hatte die damals ebenfalls nur auf freiwilligen Angaben beruhende Zinsbesteuerung für verfassungswidrig erklärt.
Der Vorsitzende Richter des IX. Senats, Wolfgang Spindler, machte aus seinen erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln am geltenden Besteuerungsverfahren keinen Hehl: „Nach wie vor erfolgt die Besteuerung der Spekulationsgewinne offenbar nur per Einzelfallermittlung. Wir haben allerdings die Vorstellung, dass das nicht der Fall sein darf“, sagte der BFH-Vizepräsident.
Führende Steuerrechtler erwarten jetzt, dass der BFH den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen wird. Der Kölner Rechtswissenschaftler Joachim Lang geht davon aus, dass der Fall in Karlsruhe landet und die Richter ähnlich wie im Fall der Zinsbesteuerung entscheiden werden. Die Verfassungsrichter hatten 1991 entschieden, „der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden“. Daraus folge, dass Steuergesetze in ein Umfeld eingebettet sein müssen, so dass die Gleichheit der Besteuerung auch hinsichtlich des Erfolges gewährleistet sei. Der Bonner Steueranwalt Harald Schaumburg sagte, wenn man das Zinsurteil eins zu eins auf die Besteuerung von Spekulationsgewinnen übertrage, sei davon ausgehen, dass die gegenwärtige Praxis verfassungswidrig ist. „Letztlich läuft das auf eine freiwillige Besteuerung raus.“
Hintergrund des aktuellen Streits ist eine Klage des Kölner Steuerrechtlers Klaus Tipke (Az.: IX R 62/99). Er bemängelt, die Finanzbehörden hätten kaum Möglichkeiten, die Angaben der Steuerpflichtigen zu Spekulationsgewinnen zu verifizieren. Der Professor sieht darin einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes, da derjenige benachteiligt werde, der seine Spekulationsgewinne angebe. Tipke wehrt sich gegen die Besteuerung seiner Gewinne aus Wertpapiergeschäften im Jahr 1997.
Tipkes Prozessvertreter Franz Salditt führte vor allem das Bankgeheimnis (§ 30a Abgabenordnung) als Grund für diesen Mangel an, da es Kontrollen bei Banken nur bei begründetem Verdacht zulasse. „Die bestehenden Gesetze ermöglichen damit keinen Einstieg in die geregelte Nachfrage nach Wertpapiertransaktionen. Wir haben es hier nicht mit einer Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, sondern nach Ehrlichkeit zu tun.“
Das Bundesfinanzministerium, das dem Verfahren beigetreten ist, betonte, zwar habe 1997 eine umfangreiche Überprüfung nicht statt gefunden. Die Finanzverwaltung habe heute jedoch Möglichkeiten, Steuerpflichtigen mit Spekulationsgewinnen auf die Schliche zu kommen. So sei ein Anlass für Nachfragen etwa die Angabe von Verlusten aus Wertpapiergeschäften. Zudem habe der 7. Senat des BFH kürzlich Sammelauskunftsverfahren gegenüber Kreditinstituten zugelassen.
Außerdem war gestern bekannt geworden, dass die Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf ihre Betriebsprüfer angewiesen hat, im Zuge von Bankbetriebsprüfungen Kontrollmitteilungen über Wertpapiergeschäfte der Bankkunden zu erstellen (Handelsblatt, 16.7.). Eine Sprecherin der OFD Frankfurt/M. sagte dem Handelsblatt, „auch bei uns kann sich niemand sicher sein“. Zwar sei keine Aktion wie in Düsseldorf geplant, weil dazu das Personal fehlte. Gleichwohl würden Zufallsstichproben gezogen und Kontrollmitteilungen erstellt – die meisten Großbanken haben ihren Sitz in Frankfurt, so dass entsprechende Kontrollen hier den größten Erfolg hätten. Ein Sprecher des hessischen Finanzministeriums sagte, Kontrollmitteilungen wie in Nordrhein-Westfalen seien aber in Hessen nicht geplant.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 17. Juli 2002, 06:01 Uhr
|