Die Schlusslicht AG
Der rot-grüne Geschäftsbericht liest sich wie ein trostloser Katalog
Von Carl Graf Hohenthal Berlin - Nach vier Regierungsjahren der rot-grünen Koalition ist die Frage nach der Bilanz ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik schnell beantwortet. Sie ist schlecht. Wie zu Beginn der Legislaturperiode sind rund vier Millionen Menschen arbeitslos. Bundeskanzler Schröder hatte sich damals zu der Behauptung verstiegen, er brauche nicht wiedergewählt zu werden, wenn es nicht gelinge, die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zu senken.
Heute will er verständlicherweise an diese Bemerkung nicht erinnert werden. Die Zahl der Insolvenzen ist höher denn je. Insbesondere die kleineren Unternehmen brechen reihenweise zusammen, weil sie überschuldet sind und über zu wenig Eigenkapital verfügen. Grund dafür ist die nach wie vor hohe Steuerbelastung. Der Aufbau Ost stockt; ganze Landstriche drohen dort auszubluten, weil die jüngeren Leute nach Westen ziehen, um dort Arbeit zu finden. Viele Kommunen sind überschuldet und stöhnen unter den Aufgaben, die sie erfüllen müssten, häufig aber nicht mehr erfüllen. Die Renten sind immer noch nicht sicher. Dabei ist die Belastung der Unternehmen durch Sozialabgaben unverändert hoch. Die Finanzierung des Gesundheitswesen bereitet riesige Sorgen; wenig überraschend drohen die Krankenkassen schon wieder mit Beitragserhöhungen. Im Bildungsniveau fällt Deutschland weiter zurück, wie die Pisa-Studie vor wenigen Monaten deutlich gemacht hat. Die Agrarpolitik war in den vergangenen Jahren vor allem durch Skandale geprägt. In der Vorbereitung der Osterweiterung der Europäischen Union ist die Bundesregierung im Verbund mit den EU-Ländern keinen Schritt weitergekommen.
Zusammengenommen bedeutet dieser trostlose Katalog, dass Deutschland Schlusslicht in Europa ist. Nun wäre es unfair, wollte man der rot-grünen Koalition unterstellen, dass sie sich nicht bemüht habe. Das Jahr 2000 war sogar ein ausgesprochenes Erfolgsjahr für die Bundesregierung, in dem sich die Wirtschaft angesichts der Steuerreform - die freilich nur Kapitalgesellschaften wirklich begünstigte - und der Freistellung von Veräußerungserlösen aus Unternehmensverkäufen fast mit der SPD und den Grünen ausgesöhnt hatte. Auch die Arbeitslosigkeit nahm zunächst ab und Bundesfinanzminister Eichel wurde mit seinem eisernen Sparkurs mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts im Jahr 2006 zu einem geschätzten Starpolitiker. Doch dann ging der Koalition unter dem Druck der Basis und der Gewerkschaften die Luft aus. Bescheidene Reformen, die die Union etwa bei der Lohnfortzahlung und dem Kündigungsschutz eingeleitet hatte, wurden wieder zurückgenommen. Gleichzeitig zeigten der Zusammenbruch des Neuen Marktes und die rückläufige Weltkonjunktur Wirkung.
Doch wenn die Bundesregierung heute die miserable Lage der Weltkonjunktur anlasten will, tut sie damit unrecht. Ein Blick auf die anderen europäischen Länder zeigt, dass man dort unter gleichen weltkonjunkturellen Bedingungen ungleich weiter gekommen ist. In Großbritannien kann der Sozialdemokrat Blair auf die zweitbeste Wirtschaftsperformance seines Landes seit dem zweiten Weltkrieg verweisen. Der französische Präsident Chirac konnte seinem Land nicht zuletzt durch Privatisierungen neuen Schwung geben, und der spanische Ministerpräsident Aznar hat die iberische Halbinsel weit nach vorn gebracht, indem er auch vor unangenehmen Arbeitsmarktreformen nicht zurückgeschreckt ist.
Wenn Bundeskanzler Schröder trotz der allgemeinen Misere in seiner letzten Regierungserklärung die Wirtschaft robust und leistungsstark genannt hat, dann steckt dahinter wohl weniger Realitätsverlust als das Wissen eines Wahlkämpfers, der weiß, dass sich die Deutschen die Wirklichkeit gern zurecht träumen. Es ist zwar vieles nicht gut, aber es könnte noch viel schlimmer kommen. Und alles in allem geht es uns doch prima, lautet die Botschaft. Eine solche Grundstimmung lässt freilich für die Zukunft wenig erwarten. Wer auch immer die Wahl gewinnt, müsste sofort mit ausgearbeiteten Plänen umfassende und einschneidende Reformen angehen. Doch davon halten die Deutschen nicht viel, die an ihren liebgewonnenen sozialen Errungenschaften festhalten wollen. Nur wenige gestehen sich ein, dass die Vielzahl von Sozialleistungen nicht mehr finanzierbar ist, dass härter gearbeitet werden muss, während die Ansprüche schrumpfen müssen. Das will niemand hören. Und eben deshalb hat keine Partei vernünftig ausgearbeitete Pläne in der Schublade.
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