Trading-Ranges und DKZ der DAX-Werte vom 11.03.2003 von Rainer Stöttner, Uni Kassel
Wie ist die Tabelle zu lesen?
Für jede Aktie – jeden Index etc. – wird zunächst ein Technischer Innerer Wert (TIW) berechnet. Er gibt an, was die Aktie (z.B.) unter Berücksichtigung kurz-, mittel- und langfristiger markttechnischer Bewertungsfaktoren, wie z.B. Trend, Momentum, Zyklik etc., aus heutiger Sicht wert ist. Als Käufer sollte man nie mehr als den TIW bezahlen, sondern versuchen, zu einem darunter liegenden Kurs zu kaufen. Für den Verkäufer gilt das Umgekehrte.
Volatilitätsbedingt kann der Kurs mehr oder weniger stark um den TIW schwanken, wie stark, das hängt von der individuellen Volatilität der betreffenden Aktie ab. Der Unterstützungswert (UW) sollte unter normalen Handels- und Marktbedingungen (Ausnahmen: Bubbles, Crash, Kauf-Panik und dgl.) kaum unterschritten werden. Sollte der Kurs auf seinen UW fallen oder gar darunter, wäre eine äußerst günstige antizyklische Kaufsituation eingetreten. Das Umgekehrte gilt beim Widerstandswert (WW): Er dürfte unter normalen Markt- und Handelsbedingungen nicht überschritten werden. Flexible Trader werden somit Kasse machen, wenn sich der Kurs seinem WW nähert.
Die markttechnische Qualität (MTQ) gibt im Wesentlichen den Gesamteindruck wieder, den die Trend- und Momentum-Dynamik hinterlässt. Gemessen wird auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 6 (sehr schlecht). Die Bestnote 1 wird vergeben, wenn sowohl Trend als auch Momentum positiv sind, d.h., die Aufwärtsdynamik des Kurses ungebrochen ist. Die schlechteste Note 6 wird vergeben, wenn sowohl Trend als auch Momentum negativ sind, die Abwärtsdynamik des Kurses also ungebrochen ist.
Da die MTQ langfristige Entwicklungsperspektiven berücksichtigt und außerdem in den Trading-Range-Kursen bereits eskomptiert ist, sagt dieser Qualitätsindikator nichts über die aktuelle Kauf- bzw. Verkaufwürdigkeit einer Aktie aus. Man kann allenfalls sagen, daß es „riskanter“ ist, eine schlecht bewertete Aktie mittel- oder gar langfristig im Portefeuille zu halten als eine gut bewertete Aktie.
Wer sollte die Trading Ranges beachten? Angesprochen werden soll in erster Linie der flexible Trader, der auch mäßige Kursschwankungen konsequent ausnutzen will. Hierzu wird eine strikt antizyklische Strategie implementiert, d.h.: Ist eine Aktie kurzfristig „überkauft“, dann wird sie abgestoßen (vorzugsweise zwischen TIW und WW). Ist eine Aktie kurzfristig „überverkauft“, dann wird sie gekauft (vorzugsweise zwischen TIW und UW). Die Tradingsspanne dürfte in der Regel 10% bis 20% betragen. Aufgrund der üblicherweise nur geringen Kapitalbindungszeiten, d.h. aufgrund des schnellen Kapitalumschlages, sind auf diese Weise sehr hohe Renditen per annum möglich.
Die Trading-Range zielt also darauf ab, den operativen Rahmen für flexible, kurzfristig disponierende Anleger (Trader) abzustecken. Da Kurse auch bei ausgeprägter Trendbestimmung mehr oder weniger stark um den TIW schwanken, ist der Trader bemüht, diese Schwankungen profitabel zu nutzen, indem bei deutlichen Kursabschwächungen antizyklisch gekauft und bei deutlichen Kursbefestigungen antizyklisch verkauft wird. Der Trader nutzt also den „noise“, d.h. die im wesentlichen durch marktbedingte Zufälligkeiten entstandenen Kursschwankungen um den TIW herum.
Vergleichsweise selten bricht der Kurs aus dem Kursband, das von UW bis WW reicht, aus. Sollte es zum Ausbruch kommen, ist dies ein Indiz für eine nachhaltige Neubewertung, möglicherweise verfrüht in Gestalt eines „premature breakout“. Wie geht man damit um?
Wird UW signifikant, d.h. um 3-5%, unterschritten, so deutet dies auf eine nachhaltige Verschlechterung des Trends hin (Kippen eines Aufwärtstrends, Verschärfung eines bestehenden Abwärtstrends). Vorsichtshalber wird der Trader diese Aktie meiden. Besitzt er sie schon, was wahrscheinlich ist, sollte er über einen Stopploss-Verkauf nachdenken, falls er die Position nicht aussitzen möchte. Sobald der Kurs dann wieder über UW steigt, ist die Zeit für erneute Tradingkäufe gekommen.
Wird der WW signifikant überschritten, so deutet dies auf eine nachhaltige Verbesserung des Trends hin (Kippen eines Abwärtstrends, Verschärfung eines Aufwärtstrends bis hin zur Preisblasenbildung). Hier empfiehlt sich der Wechsel von der Tradingstategie zur Trendfolgestrategie, also der prozyklische Kauf der betreffenden Aktie. Insofern kommt hier dem WW die Funktion einer oberen Stopplossmarke zu. Sollte sich der Ausbruch als voreilig erweisen, d.h., fällt der Kurs wider Erwarten unter WW zurück, können hier, je nach Anlegertemperament, die prozyklischen Positionen ausgestoppt oder aber, zwecks späterer antizyklischer Verbilligung, durchgehalten werden.
Ergänzende Anmerkungen zum DKZ Wert:
Die turbulenten Kapitalmarktereignisse der letzten Wochen und Monate werfen die Frage auf, wie man mit Aktien außerhalb des Trading-Regimes umgeht. Man kann zwar, wie empfohlen, Stopplossmarken beachten, die ein Verlassen des Marktes oder einen prozyklischen Markteinstieg auslösen, je nachdem, ob der Kurs unter die Trading-Range (UW) fällt oder über sie hinaus steigt (WW). Damit ist freilich noch nicht klar, von welchem Kursziel man ausgehen soll, d.h., welchen (vorläufigen) Tiefstkurs bzw. Höchstkurs man erwarten soll.
Um hier eine möglichst treffsichere Orientierung zu geben, wird das "dynamische Kursziel" (DKZ) berechnet. Hierbei wird die in einer Aktie steckende Dynamik, gemessen über den (langfristigen) Basistrend und über das (kurz-/mittelfristige) Momentum, erfasst und nicht-linear verarbeitet. Die Nicht-Linearität des Schätzansatzes macht es möglich, Beschleunigungseffekte in Baisse-, Crash- und Sell-out-Situationen bzw. in Hausse-, Preisblasen- und Buy-out-Situationen mit jeweils angemessener Intensität zu erfassen.
Der DKZ-Wert ist so konstruiert, dass er die, aufgrund der erkennbaren Dynamik, zu erwartende maximale Kursbewegung abbildet. Liegt der DKZ-Wert unterhalb der Trading Range, bestätigt dies entweder das Ende des Trading-Regimes (Kurs liegt bereits unterhab der Trading Range) oder kündigt das nahe Ende des Trading-Regimes an (Kurs liegt noch innerhalb der Trading Range). Liegt der DKZ-Wert innerhalb der Trading Range, ist die Dynamik schwach ausgeprägt. Ein Ende des Trading-Regimes ist daher noch nicht zu erwarten. Liegt der DKZ-Wert oberhalb der Trading Range, bestätigt dies entweder das Ende das Trading-Regimes (Kurs liegt bereits oberhalb der Trading Range) oder kündigt dessen nahes Ende an (Kurs ist bereits über die Trading Range hinaus gestiegen).
Wie lässt sich nun der DKZ-Wert im praktischen Portfolio-Management umsetzen? Da der DKZ-Wert als (momentaner) Kurszielwert gilt, ist die Handhabung im Grunde sehr einfach: Ein DKZ-Wert unterhalb der Trading Range signalisiert den momentan vermutlich tiefsten Kurs, den man erreichen kann, also empfehlen sich hier antizyklische Käufe ("bottom fishing"). Da sich die betreffende Aktie zumindest im Baisse-Regime - möglicherweise sogar in einer Crash- oder Sell-out-Phase - befindet, sollte man vorsichtshalber zügig Gewinne mitnehmen. Oft kann sogar ein Intraday-Trade ratsam sein, da Erholungen zwar heftig ausfallen können, aber zumeist nur von kurzer Dauer sind. Ein nochmaliger Kauf zum vorausgegangenen Kursniveau empfiehlt sich nicht, außer, die im Prinzip auf täglicher Basis vorzunehmenden Anpassungen des DKZ-Wertes würden keine Veränderungen bringen.
Ein DKZ-Wert liegt dann innerhalb der Trading Range, wenn keine außergewöhnliche Dynamik vorliegt und Kursschwankungen somit, weitgehend zufallsbedingt, innerhalb enger Grenzen (d.h. innerhalb der Trading Range) stattfinden. Häufig dürfte der DKZ-Wert ohnehin mehr oder weniger mit dem TIW zusammenfallen. Bei größeren Abweichungen - der DKZ nähert sich der oberen oder unteren Trading-Range-Grenze -, sollte man sich allerdings auf einen bevorstehenden Regimewechsel einstellen.
Ein DKZ-Wert oberhalb der Trading Range signalisiert den momentan vermutlich höchsten Kurs, den man erreichen kann, somit empfehlen sich zu diesem Kurs antizyklische Verkäufe ("top selling"). Rückkäufe sollten deutlich unterhalb von DKZ erfolgen, und zwar umso mehr, je weniger stark ausgeprägt die Hausse-, Preisblasen- und Buy-out -Dynamik ist. Je mehr die Hausse "heißläuft", desto geringer dürften die zwischenzeitlichen Minuskorrekturen ausfallen. Nach dem Platzen der Preisblase gilt freilich das Umgekehrte.
Es kann Situationen geben, in denen die isolierte Betrachtung der Trading Range einerseits und des DKZ andererseits zu scheinbar widersprüchlichem Marktverhalten führt. Liegt z.B. der DKZ geringfügig unterhalb der Trading Range, dann würde der DKZ-Wert einen antizyklischen Kauf, das Verlassen der Trading Range und damit die Verletzung der Stopplossmarke würde hingegen den prozyklischen Verkauf nahe legen. Der Grund für den scheinbaren Widerspruch liegt darin, dass die Trading-Range-Grenzen und deshalb auch die Stopplossmarken überwiegend aufgrund der Volatilität, die DKZ-Werte hingegen ausschließlich aufgrund der momentanen Kursdynamik berechnet werden. Konservative, ausgeprägt risikoscheue Anleger sollten vorsichtshalber die Stopplossmarke beachten und den in der Nähe liegenden DKZ-Wert ignorieren. Flexible, und in hohem Maße risikobereite, Anleger sollten sich hingegen am DKZ-Wert orientieren.
Obwohl der DKZ-Wert die dynamischen Signale, die der Markt aussendet, "maßstabsgerecht" in Kurszielberechnungen umzusetzen sucht, kommt es hin und wieder vor, dass der Kurs dem DKZ-Wert davoneilt. Beispiele hierfür sind im Oktober 2002 die Commerzbank-Aktie (Kurs am 9.10.02 ca. 5, DKZ: 6,7) und die MLP-Aktie (Kurs am 9.10.02 ca. 6, DKZ:16,8). Die außergewöhnlichen fundamentalen Hintergründe der dramatischen Kurseinbrüche dieser beiden Aktien sind bekannt. Für derartige "Grenzfälle" ist das Modell zur DKZ-Berechnung nicht ausgelegt. Indirekt kann man freilich den Schluss ziehen, dass größere Abweichungen zwischen Kurs und DKZ-Wert auf eine absolut singuläre Entwicklung schließen lassen, auf die man fundamental einleuchtende Begründungen suchen sollte.
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