Deutschland droht Deflation, Japan hat sie schon 27.05.2003 12:30 TOKIO (dpa-AFX) - Während in Deutschland von drohender Deflation die Rede ist, ist sie im fernen Japan bereits zur bitteren Realität geworden. Das zeigte sich erst zu Wochenbeginn wieder deutlich an den tiefroten Bilanzen der japanischen Großbanken. Experten in Tokio schätzen die Deflationsgefahr für Deutschland allerdings größer ein als in Japan, da Deutschland nicht über die Flexibilität verfüge wie Japan. Andere wiederrum argumentieren, dass Deutschland
wenigstens noch die Chance habe, eine Deflation zu verhindern, während Japan bereits mitten drin stecke. Das deflationsgebeutelte Japan als warnendes Beispiel für Deutschland?
Die Gründe, die zur Deflation in Japan führten, sind vielfältig. Da ist zum einen die Globalisierung, die Japan besonders hart trifft, da das Land lange Marktregulierungen hatte, die zu weniger Wettbewerb führten. Während der "Luftblasenwirtschaft" Ende der 80er Jahre stiegen dann die Preise für Aktien und Immobilien in Folge einer expansiven Geldpolitik rasant an. Die Banken vergaben massiv Kredite und verlangten oft Immobilien als Sicherheiten. Das Gelände des Kaiserpalastes in Tokio war damals theoretisch so viel Wert wie alle
Immobilien Kaliforniens. Dann aber vollzog die Notenbank einen Kurswechsel. Der dadurch folgende Wertverlust der Immobilien dauert bis heute an.
TEUFELSKREISLAUF BEUTELT DIE WIRTSCHAFT
Der Preisverfall trifft Japans Volkswirtschaft hart: Die Gewinne der Unternehmen geraten unter Druck, das führt zu sinkenden Einkommen und höherer Arbeitslosigkeit, was sich wiederrum auf die Nachfrage auswirkt, die rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes ausmacht - ein Teufelskreislauf. Hinzu kommt, dass sich Japans Verbraucher in Erwartung noch weiter fallender Preise, aber auch aus der Sorge um Arbeitsplatz und Zukunftssicherung weiter zurückhalten und ihr Geld lieber sparen - Anbieter von Heimtresoren machen derzeit gute Geschäfte. Hinzu kommt das Problem der Überproduktion.
EXPERTE: REGIERUNG VERLEUGNETE DEFLATIONSDYNAMIK
"Japans ökonomische Führung hat viel zu lange die Realität der Deflationsdynamik verleugnet", sagt Jesper Koll, Chefvolkswirt bei Merrill Lynch
Japan. Gerade die Geldpolitik habe viel zu lange auf der Bremse gestanden und dadurch die Deflation geschürt. In diesem Zusammenhang gebe es zugleich eine Chance für Deutschland, da es solche Preisverwerfungen nicht habe, sagt Andreas Nabor, Finanzmarktexperte am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokio.
Auch habe sich Deutschland anders als Japan stets offen dem Wettbewerb auf den Weltmärkten gestellt. Trotzdem warnt der Fachmann: "Es ist leichter eine Deflation zu verhindern, als sie zu bekämpfen."
Notwendig sei ein konzertiertes Handeln sowohl der Geldpolitik, der Fiskalpolitik als auch der Strukturpolitik. Zunächst habe Japan lange Zeit vergeblich versucht, das Problem mit Konjunkturspritzen zu lösen. Erst bei Ausbruch der Finanzkrise habe die Geldpolitik nachgezogen. Strukturreformen wurden derweil weiter verschleppt. "Milliardenschwere Konjunkturprogramme können
keine Strukturreformen ersetzen", sagt Nabor. Andererseits bescheinigen Analysten wie Koll Japan größere Flexibilität als Deutschland. Nicht zuletzt die
Gewerkschaften seien sich bewusst, dass Japan angesichts der Globalisierung und des wachsenden Chinas nur wettbewerbsfähig werden beziehungsweise bleiben kann, wenn alle den Gürtel enger schnallen.
Hinzu komme, dass es sich Japan auf Grund seiner hohen Sparüberschüsse eher leisten könne, mit der Deflation umzugehen. Während die Preise in den vergangenen sechs Jahren durchschnittlich um 1,5 Prozent gesunken seien und die Deflation somit "schleichend" verlaufe, drohe im Falle Deutschlands ein Einbruch
der Preise, meint Koll. "Japans Deflation ist anders." Deutschland könne dies nicht so wie Japan finanzieren. Japan werde sich vorerst weiter "durchmogeln", währenddessen die Integration mit der benachbarten Weltwachstumsregion, namentlich China vorangetrieben werde. Japan werde erst aus der Deflation finden, "wenn das Pro-Kopf-Einkommen in China wirklich anfängt, strukturell zu wachsen", meint der Ökonom./ln/DP/tav
---Von Lars Nicolaysen, dpa---
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