Einkaufsfreudiger Mittelständler
11.11.2003 08:13
Frankfurter Allgemeine Zeitung
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STUTTGART, 10. November. Deutschlands zweitgrößtes Systemhaus hat in den vergangenen Jahren zahllose Unternehmen geschluckt. Doch die jüngste Akquisition ging nicht ganz so glatt über die Bühne: Aufmüpfige Aktionäre der zu einem Schnäppchenpreis erworbenen Ober-Mörlener PSB wehrten sich gegen den sogenannten Squeeze-Out, also das Verfahren, mit dem Sie aus dem Unternehmen getrieben werden sollten. Also sagte Bechtle kurzerhand den Squeeze-Out ab und schuf damit vermutlich einen Präzedenzfall. Nun hat das Systemhaus die verbleibenden Aktionäre an die kurze Leine genommen und den Börsenhandel auf das Minimum eingeschränkt. Nach dem Jahreswechsel werden die PSB-Papiere nur noch auf dem Parkett zu erstehen sein, der Handel über Xetra und die deutschen Regionalbörsen wird gestoppt.
Diese Schwierigkeiten sind für den scheidenden Bechtle-Vorstandschef Gerhard Schick zwar ungewohnt ärgerlich, die Wachstumsstrategie des Familienunternehmens bringen sie gleichwohl nicht ins Wanken. "Ob sie nun 97 Prozent an PSB halten oder 100 Prozent - ein Problem ist das nicht", urteilt Gerold Deppisch von der Landesbank Baden-Württemberg. Im Gegenteil scheint die Integration des neugekauften IT-Dienstleisters so reibungslos über die Bühne zu gehen, daß die akquisitionshungrige Bechtle AG bereits wieder über neue Übernahmen sinnieren kann. Erklärtes Ziel ist es, innerhalb der nächsten Jahre die Zahl der inländischen Systemhausstandorte von 40 auf 60 zu erhöhen. Derzeit wird die Zahl der Systemhäuser in Deutschland auf 5000 bis 8000 geschätzt. Etwa ein Zehntel hiervon entspräche den Kriterien von Bechtle. Weitere Zukäufe sind mit den zum Jahresende erwarteten liquiden Mitteln von 30 Millionen Euro auch kein Problem für das Unternehmen.
Was der Markt nicht hergibt, macht Bechtle durch Zukäufe wieder wett. Am Mittwoch will das Unternehmen die endgültigen Zahlen des dritten Quartals präsentieren. Nach den vorläufigen Ergebnissen wäre der Umsatz ohne den Kauf der PSB um 16 Prozent geschrumpft; dank der Neuwerbung fiel er um moderate 2 Prozent auf 200 Millionen Euro. In den ersten neun Monaten hat Bechtle den Gewinn um 40 Prozent auf 16,9 Millionen Euro erhöht.
Die Gretchenfrage für die weitere Entwicklung der Aktie ist nach Ansicht der Analysten, wann sich der Investitionsstau in der IT-Industrie auflöst. Insbesondere die mittelständischen Firmen, auf die sich Bechtle spezialisiert hat, haben keine neuen Computer-Anlagen gekauft, seit sie im Vorfeld der Jahrtausendwende aufgerüstet haben. Spätestens nach vier oder fünf Jahren müssen die Gesellschaften ihre IT aber erneuern. Dann will Bechtle gleich doppelt profitieren: zum einen direkt durch mehr Aufträge, zum anderen durch zahlreiche günstige Zukaufkandidaten. Denn viele kleine Systemhäuser werden wohl Schwierigkeiten haben, die Vorfinanzierung für die eintrudelnden Aufträge zu stemmen.
Expandieren will Bechtle auch weiter im E-Commerce. Der Bereich erzielt mittlerweile ein Viertel des Konzernumsatzes und soll vor allem im Ausland ausgebaut werden. Erst vor kurzem hat Bechtle über die Schweizer Tochtergesellschaft eine Dependance in Frankreich gegründet. Als nächstes soll Osteuropa ins Visier genommen werden.
Dank der rosigen Aussichten wird Bechtle von den meisten Analysten mit "Kaufen" eingestuft. "Bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp 10 kann man nicht viel falsch machen", meint der unabhängige Analyst Rochus Rüttnauer. Deppisch sieht die einzigen Risiken in dem immer noch ausbleibenden Ende der Rezession und in den durch die Einkaufstour aufgehäuften hohen Goodwill-Positionen in der Bilanz.
DANIEL SCHÄFER
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