Arbeitszeit: Männer wollen nicht noch länger arbeiten!Bremen/Kassel/Stuttgart 15. Dezember 2003
Offener Brief - an den Bundeskanzler und die Bundesfamilienministerin
- die Fraktionen des Deutschen Bundestages und Parteivorstände
- Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA)
- Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)
Wir waren auf dem richtigen Weg. Wenn sich anders die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen lässt, dann muss die vorhandene Arbeit umverteilt werden: Zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen, zwischen Alten und Jungen und eben auch zwischen Männern und Frauen. Raus aus der alten Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern! Für uns Männer eröffnete sich die Perspektive, uns aus der einseitigen Fixierung auf die Erwerbsarbeit zu lösen, um uns mehr einlassen zu können auf unsere Kinder, unsere Partnerinnen und auf uns selbst. Frauen wird ein gutes Stück vom Vereinbarkeitsdruck genommen, wenn Männer ihre Verantwortung für die familiären Aufgabenbereiche ernst nehmen und sich stärker an den Leiden und Freuden der Familienarbeit beteiligen können.
Alle Untersuchungen zeigen, dass sich gerade die jüngeren von uns auf den Weg gemacht haben. Sie haben sich von den Rollenvorbildern unserer Väter- und Großvätergeneration gelöst und streben partnerschaftliche Lebensentwürfe an, bei der Erwerbsarbeit und auch in der Familie.
Nun rollen die Züge wieder rückwärts. Viele Politiker und Verbandsfunktionäre fordern "länger Arbeiten", weil sie meinen, so Wirtschaftskrise und Defizite in unseren Sozialsystemen bekämpfen zu können. Sie wollen das Arbeitszeitgesetz aufweichen, wollen Feiertage streichen, sie diskutieren über Rente mit 67, beseitigen die als Beschäftigungsbrücke zwischen Alt und Jung dienende Altersteilzeit und streben als Arbeitgeber dauerhafte Mehrarbeit auf 40 und mehr Stunden in der Woche an.
Wir teilen die Kritik von Wissenschaftlern und Gewerkschaften, dass die Politik der Arbeitszeitverlängerung schon jetzt eine der Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit ist und ein Zwang zur Arbeitszeitverlängerung die Probleme auf dem Arbeitsmarkt verschärfen wird. Weil dadurch die Arbeitslosigkeit nicht gesenkt wird, können auch die Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung nicht gelöst werden.
Gleichzeitig ist Arbeitszeitverlängerung ein gesellschaftspolitischer Rückschritt: sie erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - zu Lasten der Unternehmen, von denen viele das Problem erkannt haben und sich um Verbesserungen bemühen, zu Lasten von Frauen, deren Partner noch weniger Zeit für ihre Familie haben. Kinderwünsche von Frauen und Männern werden noch weniger zu realisieren sein. Ein weiterer Rückgang der Geburtenzahlen ist programmiert und wird aller Diskussion über Demografie zum Trotz die Krise unserer Sozialsysteme weiter verschärfen.
Gerade Männer, die die Morgenluft neuer Männerrollen geschnuppert haben, wehren sich gegen die Politik der Arbeitszeitverlängerung, gegen ein Zurück in alte Muster, einen Rückschritt in die 50er-Jahre. Wir sind uns sicher, damit auch für unsere Partnerinnen, für viele Frauen und vor allem für unsere Kinder und Enkelkinder zu sprechen, die gemerkt haben, wie es gehen könnte und die - zurecht - mehr von uns haben wollen und können, als dass wir Geld nach Hause bringen!
Unterzeichner (unvollständig) Michael Breidbach, Betriebsratsvorsitzender Stahlwerke Bremen; Prof. Dr. Olaf-Axel Burow, Erziehungswissenschaftler, Uni Kassel Prof. Dr. Heinrich Dauber, Erziehungswissenschaftler, Uni Kassel Eike Hemmer, ehemaliger Betriebsrat Stahlwerke Bremen; Thomas Gesterkamp, Journalist und Buchautor; Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ; Prof. Dr. Walter Heinz, Psychologe; Prof. Dr. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni Bremen; Dr. Eckart Hildebrandt, Wissenschaftszentrum Berlin; Andre Holtrup, Doktorand; Oliver Jäger, IT-Consultant; Franz Lüninghake, Angesteller; Peter Mehlis, zeitweise Hausmann; Prof. Dr. Ulrich Mückenberger, Arbeitsrechtler und Zeitforscher; HWP Hamburg Prof. Dr. Rainer Müller, Arbeitsmediziner; Uni Bremen Dr. Karsten Reineke, Familiensoziologe, Uni Hannover; Martin Rosowski, Männerarbeit der EKD, Kassel Dr. Wolfgang Sachs, Kulturwissenschaftler, Wuppertal-Institut; Dr. Werner Sauerborn, Mitherausgeber PAPS, Zeitschrift für Väter; Prof. Dr. Eberhard Schmidt, Politikwissenschaftlker, Uni Oldenburg; Dr. Fritz Schnapper, Kinder- und Jugendpsychiater; Prof. Dr. Helmut Spitzley, Arbeitswissenschaftler, Uni Bremen; Volker Stahmann, IG Metall Küste; Dr. Peter Strutynski, Politologe, Uni Kassel; Dr. Herbert Stubenrauch, Pädagoge; Prof. Dr. Hannes Stubbe, Psychologe, Uni Köln Peter Wahl, Koordination ATTAC; Dr. Günter Warsewa, Umweltsoziologe
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