Die EU-Unterdrückung kommt über die Menschen wie seinerzeit Stalins Terror über die Ostvölker kam
Die Deutschen dürfen wieder einmal nicht selbst darüber entscheiden, ob sie sich dem neuen EU-Orwell-Terror ergeben und ihr Land aufgeben müssen! Die Welt, 30.4.2005, Seite 5 Deutschland dreht nur Däumchen
Der stärkste Beitragszahler der EU läßt andere über sein Schicksal entscheiden
von Daniel Hannan
Brüssel - Entschuldigen Sie die Frage: Aber warum wird es Ihnen als Deutsche nicht gestattet, über die europäische Verfassung abzustimmen? Schließlich ist Deutschland das wichtigste Land in der Europäischen Union, nicht nur der Bevölkerung nach, sondern auch als stärkster Beitragszahler zum EU-Haushalt. Also erscheint es ziemlich ungerecht, daß die Deutschen nur dasitzen und Däumchen drehen sollen, während die Franzosen und die Holländer und die Tschechen und die Briten über das Schicksal der Bundesrepublik mitentscheiden.
Permanent wird mir erwidert, daß Referenden im deutschen politischen System keinen Platz haben. Nun, in Großbritannien sind sie ebensowenig vorgesehen. Doch am Ende mußte Tony Blair zu seinem Unwillen zugestehen, daß die europäische Konstitution ein Sonderfall ist. Denn die Verfassung ist nicht einfach irgendein weiterer EU-Vertrag. An dem Tag, an dem sie in Kraft tritt, werden alle anderen Vertragswerke unwirksam. Die Europäische Union wird aufhören, ein Bündnis von Staaten zu sein, und dafür ein eigenständiges Staatswesen werden, welches seine Macht und Autorität aus einer eigenen Verfassung ableitet. Sie wird die meisten Merkmale aufweisen, die das Völkerrecht dem Zustand der Staatlichkeit beimißt: eine eigene Rechtspersönlichkeit, eindeutig bestimmte Außengrenzen, die Legitimation zu Vertragsabschlüssen, akkreditierte Diplomaten, ein Staatsoberhaupt.
Und genau hier liegt das Paradoxon. Auf der einen Seite verunglimpfen die Befürworter eines vereinigten Europas die Idee des Nationalismus, den sie als Vorstufe von ethnischem Haß und Krieg sehen. Auf der anderen Seite wollen sie die EU mit vielen traditionellen Statussymbolen des Nationalen ausstatten: mit einem Reisepaß, einer Nationalhymne, einer Flagge.
Doch die Europäische Union ist keine Nation. Nur wenige Menschen mögen sich auf gleiche Weise als Europäer verstehen, wie sich jemand als Japaner oder Norweger fühlt. Es gibt keine europäische Sprache, keine gemeinsame öffentliche Meinung, keine einheitliche Identität, auf die rekurriert wird, wenn wir das Pronomen "wir" gebrauchen. Und es gibt auch keine Hinweise darauf, daß dies alles am Sichentwickeln ist. Was das denkbar empirischste Maß von allen angeht - die Beteiligung an den Europawahlen -, so ist vielmehr ein Rückgang zu beobachten: Demnach werden wir immer weniger europäisch. Jeder Urnengang seit 1979 erlebte eine geringere Wahlbeteiligung als der vorhergehende, obwohl das EU-Parlament in dieser Zeit immer mehr Befugnisse erhalten hat.
Dieses Faktum wurde vor kurzem von einer so paradoxen Figur wie Margot Wallström, der EU-Kommissarin für Institutionelle Beziehungen, eingeräumt. "So etwas wie ein europäischer Demos existiert nicht", verkündete sie vor einer Journalistenrunde, "die Hoffnungen und Ängste, die mit Europa in Verbindung gebracht werden, reflektieren oft die nationale Politik." Mit einer ehrfurchtgebietenden Ambitioniertheit möchte Frau Wallström dies alles ändern: Sie will länderübergreifende europäische Medien ins Leben rufen und die Menschen damit dazu bewegen, sich selbst neu zu definieren. Statt die EU zu reformieren, trachtet sie danach, die menschliche Natur zu ändern.
Das haben schon andere vor ihr versucht. Multinationale Staaten sind für gewöhnlich bemüht, ein Gefühl gemeinsamer Identität unter ihren Bürgern zu erzeugen. Die Habsburger taten dies, die Osmanen, die Jugoslawen und die Sowjets. Doch nationale Identität kann nicht per Bürokratendekret aufgepfropft werden. Sobald die Menschen dieser Reiche die Möglichkeit hatten, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, optierten sie für eine nationale Selbstbestimmung.
Sie halten es jetzt vielleicht für hanebüchen, die EU - und sei es indirekt - mit derlei autoritären Staaten zu vergleichen. Europa, werden Sie sagen, nimmt die Wünsche seiner Bürger doch ernst.
Wirklich? Nun, wenn dies so ist, warum werden dann Völker, die gegen eine engere Integration stimmen, regelmäßig ignoriert? Warum wurde das dänische Nein zu Maastricht übergangen, das irische Nein zu Nizza nicht ernstgenommen? Warum planen gerade zu diesem Zeitpunkt EU-Politiker, ein mögliches französisches Nein zur Verfassung irgendwie auszuhebeln? Warum wurde bereits vor den nationalen Referenden damit begonnen, wichtige Elemente der Konstitution umzusetzen? Und warum werden die 79 Prozent der Deutschen, die eine eigene Volksabstimmung über die Verfassung wollen, abgekanzelt?
Die Demokratie funktioniert innerhalb solcher sozialer Einheiten, deren Mitglieder das Gefühl haben, daß sie genug Gemeinsames verbindet, um dem jeweils anderen das Regieren zuzutrauen, also innerhalb von Nationen. Aus diesem Grund entwickelte sich die Idee der repräsentativen Regierung Hand in Hand mit der Idee der Selbstbestimmung. Ein Staat kann eine supranationale Föderation sein oder eine den Bürgern verantwortliche Demokratie, nicht jedoch beides.
Die Kommissarin Wallström hat recht: Es gibt keinen europäischen Demos, kein europäisches Staatsvolk. Wenn man die Demokratie um den "demos" beraubt, bleibt nur der "kratos" übrig: die Macht und Herrschaft eines Systems, welches - unfähig, an einen Bürgerpatriotismus zu appellieren - dazu verdammt ist, kraft Gesetzes Gehorsam einzufordern. Das ist der wahre Verrat am Erbe Europas.
Der Autor ist Europaabgeordneter der britischen Konservativen. Er schreibt alle 14 Tage für die WELT. Aus dem Englischen von Daniel Eckert.
################## gruß proxi
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