Denkmal Der verschollene Reichspräsident (JF)
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eröffnet am: | 17.06.04 22:08 von: | proxicomi | Anzahl Beiträge: | 24 |
neuester Beitrag: | 13.11.05 22:38 von: | BarCode | Leser gesamt: | 2489 |
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Der verschollene Reichspräsident
Dieter Stein
Manche wünschten sich, über die ihnen unangenehmen Dinge der Vergangenheit sprichwörtlich Gras wachsen lassen zu können. Nun beschäftigt ein Denkmal die thüringischen Lokalblätter, das 60 Jahre lang echter Rasen bedeckt hatte. Am 7. Juni stieß Paul Breul nämlich im Garten seines Hotels mit dem Spaten auf einen harten Gegenstand. Es war das vollständig erhaltene, zehn Tonnen schwere und fünf Meter große Denkmal Paul von Hindenburgs, das sowjetische Soldaten hier 1945 umgestoßen und verscharrt hatten. Eine Sprengung soll wegen der Härte des verwendeten Porphyrs unmöglich gewesen sein.
Die Statue des 1934 verstorbenen zweiten Reichspräsidenten und als Helden der Schlacht bei Tannenberg verehrten Generalfeldmarschalls war von dem berühmten Berliner Bildhauer Hermann Hosaeus geschaffen und 1939 am Fuße des Kyffhäuser-Ehrenmals aufgestellt worden, das der Verehrung des Reichsgründers Kaiser Wilhelm I. dient.
Man hatte den von Hosaeus markig und kühl geschaffenen Reichspräsidenten mit Igelfrisur in Stein schon fast vergessen, als 1975 Arbeiter beim Bau eines Stasi-Urlauberheims darauf stießen. Man schippte das Loch aber schnell wieder zu und verschwieg den Fund. Seitdem verstummten die Gerüchte um den Verbleib nie völlig. Der aus Remscheid zugezogene Hotelier Paul Breul, der vor zwei Jahren die zum „Kyffhäuser Hotel“ gewandelte MfS-Herberge erwarb, hörte die Geschichten um den sagenumwobenen steinernen Hindenburg und machte sich auf die Suche.
Nachdem Breul den Schatz gefunden hat, herrscht große Aufregung. Die Menschen um den Kyffhäuser sind begeistert und wollen den alten Reichspräsidenten lieber heute als morgen an seinem angestammten Platz wieder aufrichten. Natürlich verbinden der pfiffige Hotelier und andere Gastronomen mit der Entdeckung die Hoffnung auf einen weiteren Anziehungspunkt für Touristen in der Region.
Doch anstelle heller Freude dominieren in der veröffentlichten „Öffentlichkeit“ Irritationen und Beklemmungen. „Am besten wieder einbuddeln oder weit weg ins Museum“, schlagzeilt die Thüringer Landeszeitung. Das Blatt orakelt von „schwarz-braunen Horden“, die aufmarschieren könnten, wenn das Denkmal wiedererrichtet würde. Konsequenterweise müßte man dann gleich das ganze Kyffhäuser-Ehrenmal dem Erdboden gleichmachen, denn es zählt zu den kolossalsten steinernen Zeugen von Patriotismus und Kriegerverehrung in Deutschland.
Nun mahlen erst einmal die Mühlen deutscher Bürokratie, die Denkmalämter streiten sich, ob der vergrabene Hindenburg überhaupt ein Denkmal sei. Statt die Leistung des Bürgers Breul zu loben, mokiert sich Sven Ostritz vom Landesamt für archäologische Denkmalspflege, die Grabungsarbeiten seien „hart an der Grenze zur Ordnungswidrigkeit“. Man wird sehen, wann Gras über diese deutsche Posse gewachsen ist.
Informationen: Kyffhäuser-Hotel, Paul Breul, Kyffhäuser 3, 06567 Steintalleben, Tel. 03 46 51 / 39 30
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Es erinnert an das "entsetzlichste Verbrechen Nazi-Deutschlands", sagt Bundestagspräsident Thierse. Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden kritisiert, daß nur von Opfern die Rede sei
Das Holocaust-Mahnmal, dahinter der Reichstag
Foto: rtr
Berlin - Fast zwei Jahrzehnte nach Beginn der Planung ist das Berliner Holocaust-Mahnmal eröffnet worden. „Es ist mir eine Ehre, das Denkmal dem deutschen Volk zu übergeben“, sagte der amerikanische Architekt Peter Eisenman vor 1000 Ehrengästen. Dazu gehören Überlebende des Holocaust, Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD).
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagte in seiner Rede, die Gedenkstätte sei ein Bekenntnis des geeinten Deutschlands zu seiner Geschichte. Das Stelenfeld erinnere an „das entsetzlichste der Verbrechen Nazi-Deutschlands“ und sei keinesfalls „der steinerne Schlußpunkt“ unter die Aufarbeitung dieser Vergangenheit.
Über das Mahnmal war teils sehr kontrovers diskutiert worden. Es liegt in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores und besteht aus einem 19.000 Quadratmeter großen Stelenfeld und einem unterirdischen „Ort der Information“. Dort werden die Besucher über Verfolgung und millionenfache Ermordung der Juden unterrichtet.
Zentralsratspräsident kritisch
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, warnte davor, die authentischen Orte des Erinnerns zu vernachlässigen. Es wäre „nicht nur bedauerlich, sondern geradezu skandalös, wenn die Gedenkstätten langfristig einen Preis für die Errichtung des Holocaust-Mahnmals zu zahlen hätten“, sagte er. „Ohne die historische Erinnerung, ohne die authentischen Vernichtungsorte wird auf Dauer jedes abstrakte Denkmal seine Wirkung als Zeichen gegen das Vergessen verlieren.“
Spiegel kritisierte, daß das Denkmal zwar die Opfer ehre, aber nicht auf die Täter verweise. „Die Täter und Mitläufer von einst und deren heutige Gesinnungsgenossen müssen sich beim Besuch des Denkmals nicht unmittelbar angesprochen fühlen.“ Trotz der Einwände unterstütze er das Projekt, sagte der Zentralratspräsident. „Möge es dazu beitragen, jene Erinnerung wach zu halten, die mit dem Verstummen der Zeitzeugen zu verblassen droht.“ WELT.de
Artikel erschienen am Di, 10. Mai 2005
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Volkstrauertag: Gefallenendenkmäler – umstritten, verfallen, verbannt oder gar zerstört, doch es gibt auch Lichtblicke
Curd-Torsten Weick
Wir starben, auf daß Deutschland lebe. So lasset uns leben in Euch!“ So steht es – gewidmet dem Königin Augusta-Garde-Regiment No. 4 und seinen Söhnen – auf einem imposanten Ehrenmal für Gefallene des Ersten Weltkrieges auf dem Garnisons-Friedhof am Berliner Columbiadamm. Ein Grablicht flackert und vermittelt stille Anteilnahme. Einige hundert Meter weiter ein Gräberfeld. Zwischen Herbstlaub versteckt, liegen dort Dutzende kleine Grabplatten: „Heinrich Adler. Geboren am 6. Februar 1879. Gefallen am 17. Oktober 1916“. Ein paar weitere Meter entfernt verunstalten dann pinkfarbene Schmierereien einen Obelisken, der an die toten Kameraden der Kriege von 1866, 1870/71 und 1939/1945 mahnt.
Wenn es um Kriegerdenkmäler in Deutschland geht, stehen Licht und Schatten nur allzu oft, allzu eng beieinander. Und die schattigen Seiten des Verfalls, der Verbannung und Zerstörung nehmen von Jahr zu Jahr zu.
Ob die mit Farbe beschmierten Standbilder der preußischen Generäle Scharnhorst und Bülow Unter den Linden in Berlin. Ob das Gefallenendenkmal im Bielefelder Stadtteil Gadderbaum, dem – mal wieder – der Kopf abgeschlagen wurde oder eben das Ehrenmal auf dem Hamburger Licentiatenberg, das nach seiner mutwilligen Zerstörung nun abgetragen wurde.
Oftmals stehen die Ehrenmale auch nur im Weg
Das Gedenken an die gefallenen Söhne ihrer Städte und Dörfer ist so manchen Zeitgenossen ein Dorn im Auge. Und so nimmt’s nicht wunder, wenn in den Medien immer wieder von „umstrittenen“ Gefallenendenkmälern die Rede ist. Schnell spricht man von Verherrlichung des Krieges und vergißt dabei die Trauer um die Gefallenen.
Oftmals stehen die steinernen Ehrenmale aber auch nur im Weg moderner Stadtmöblierung. Wenn es um die Neugestaltung des Marktplatzes, des Stadtparks oder einer Neubebauung geht, dann werden die ungeliebten Zeitzeugen gern und ohne viel Federlesens vom Zentrum auf den abgelegenen Friedhof verbannt – wo sie dann, etwas geschützter vor städtischem Vandalismus, ihr Dasein fristen.
Im Zentrum des brandenburgischen „Storchendorfes“ Linum steht das Kriegerdenkmal noch. Geschützt von einem Bauzaun und vor der Unbill des Wetters notdürftig durch Planen geschützt, siecht es allerdings seit geraumer Zeit vor sich hin. Die JUNGE FREIHEIT hatte vor einem Jahr (JF 47 und 51/04) über die Bemühungen des 800 Einwohner zählenden Dorfes zum Erhalt desselben berichtet.
Die fachgerechte Sanierung würde 110.000 Euro kosten, hieß es. Prompt meldete sich ein Spender, und die Sache wurde publik. In den beiden Regionalzeitungen Ruppiner Anzeiger und Märkische Allgemeine Zeitung erschienen Artikel über das Dorf und sein Kriegerdenkmal. Der Tenor lautete: „Rechte liebäugeln mit dem Kriegerdenkmal“. Die Gefahr eines Aufmarschplatzes für Rechte wurde an die Wand gemalt, und die ehrenamtliche Bürgermeisterin Wilma Nickel erklärte gegenüber der Märkischen Allgemeinen: „Wir werden hier keinem die Möglichkeit geben, den Fuß in die Tür zu bekommen. Ich verzichte lieber auf das Geld, bevor wir vielleicht von Rechten etwas für unser Kriegerdenkmal annehmen.“
Gesagt, getan. Die Kassen der Gemeinde Fehrbellin und ihrer Ortsteile, zu denen Linum gehört, sind leer. Folglich macht das am 25. November 1923 feierlich eingeweihte Gefallenendenkmal einen mehr als traurigen Eindruck. Und es bleibt abzuwarten, ob der Verfall der Gedenkstätte in „absehbarer Zeit“ (vgl. http://www.storchenfest.de/Seiten/der_ort.html ) beendet werden kann.
Um zu erleben, daß es auch anders geht, braucht man sich allerdings nur zwei Kilometer weiter nördlich nach Hakenberg bewegen. Hier tobte am 18. Juni 1675 die Schlacht bei Fehrbellin: Kurfürst Friedrich Wilhelm besiegte die zahlenmäßig hoch überlegenen Schweden. Also wurde ihm zu Ehren 200 Jahre später eine Siegessäule errichtet, welche dann vor fünf Jahren auch mit Hilfe von Spenden vortrefflich restauriert wurde.
Nun steht am Eingang des für Besucher offenen Turmes eine „Kasse des Vertrauens“ und bittet um Spenden. Dieses Vertrauen fehlt andernorts. Nun glänzt die vergoldete Victoria an der Spitze der Hakenberger Siegessäule in den strahlendblauen Herbsthimmel, während der steinerne Soldat im nahen Linum sein graues Dasein hinter tristen Bauzäunen fristet.
Oftmals hilft schon ein großes Stück Herz und Engagement. So gesehen beim Förderverein Invalidenfriedhof e.V. Dieser wurde im November 1992 gegründet und verfolgt „das Ziel, den kultur-, militär- und sozialgeschichtlich bedeutsamen Invalidenfriedhof in seinem historischen Umfang als ein Denkmal der deutschen, preußischen und Berliner Geschichte und als Ort der Besinnung zu erhalten, würdig zu gestalten und zu pflegen“.
Dem Garde-Pionier fehlt der Kopf, darunter ein Graffiti
Wer den „Invalidenfriedhof“ in Berlins Mitte nach dem Fall der Mauer gesehen hat – zerschnitten und größtenteils unwiederbringlich zerstört –, ist heute überrascht. Anfang der neunziger Jahre mochte man kaum an positive Entwicklungen glauben. Doch vieles wurde gerettet, vieles restauriert. Und so geben die Grabmale von Scharnhorst, von Winterfeldt und von Fritsch – um nur einige zu nennen – den Blick in die Geschichte frei. Parallel dazu wurde die historische Friedhofsmauer zum Spandauer Schifffahrtskanal ebenso restauriert, wie einige Mauerteile, die an die vormalige Berliner Mauer erinnern, nachempfunden wurden.
Doch allen positiven Einzelerscheinungen zum Trotz: Man braucht nur einige U-Bahnstationen von der Zinnowitzer Straße in Berlin-Mitte zum Südstern in Kreuzberg zu fahren, und schon ist man in der gefallendenkmalfeind-lichen Zone angekommen. Dort ist an der Kirche am Südstern, die bis 1918 als evangelische Garnisonskirche fungierte, versteckt ein Kriegerdenkmal zu finden. „1914 bis 1918. Den gefallenen Garde Pionieren. Vorwärts und Durch“ steht da, nur noch schwer zu entziffern. Dem Garde-Pionier fehlt der Kopf, und ein rotes Kreuz prangt über der Inschrift. Darunter ein Graffiti. Auf die Frage, was mit dem Kopf passiert ist, konnte man dann selbst aus berufenem Munde in der Kirche nichts erfahren. Warum nur?
Erinnerung zwischen Herbstlaub auf dem Garnisons-Friedhof in Berlin-Neukölln: Schnell spricht man von der Verherrlichung des Krieges und vergißt dabei das Gedenken an die Opfer und die Trauer um die Gefallenen
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nicht mal am volkstrauertag geht es ohne beleidigungen.
die meisten von den gefallenen soldaten waren normale malocher und familienväter, die erschossen worden wären, wenn sie den dienst verweigert hätten........
sicherlich hatten die keinen gesteigerten wert darauf gelegt, irgendwo in rußland oder im restlichen europa zu sterben.
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also spinnen wir mal deinen faden weiter, alle kommunisten und spdisten waren schuld an den nazis, weil sie deren wahlgewinn zuliessen?
P.S.
ds, es gab auch die toten des 1.weltkrieges und anderer kriege.
geschichte ist schon schwer.
vor allem opfer der gewaltherrschaft, wie der SED/LINKE/PDS mit den ermordeten an der mauer und den ermordeten PROLETARIEREN am 17.juli 1953......
reicht erst einmal, jetzt mußt du erstmal googel, der daten wegen:)
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ich brauch es dir nicht weiter zu erklären... das verhältnis faschist und intelligenz hab ich dir in einem anderen thread beschrieben... aber auch das wirst du wieder nicht verstehen können... armes schweinchen ;)
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von Dipl.-Psych. Dr. phil. Edith Klasen, Fachpsychologe für Klinische Psychologie, BdP
ehemalige 1. Vorsitzende des Bayerischen Landesverbandes Legasthenie e.V.
Menzingerstr. 139, 8000 München 50, Tel.: (089) 811 56 25
Referat für die Elterninitiative zur Förderung hyperaktiver Kinder e.V., Regionalgruppe München, Goethestraße am 23.7.1987
Einführung
Vielen Dank für die Einladung. Meine berufliche Erfahrung mit Lernstörungen, insbesondere der Legasthenie begann 1960 an einer Leseklinik bei San Francisco, in Californien. Dort fand auch meine erste Begegnung mit Hyperaktivität statt. Aus meiner Untersuchung von 500 Legasthenikern dieser Leseklinik entstand mein Buch "Das Syndrom der Legasthenie", (2. deutsche Auflage 1971 bei Huber, Bern), das auch einen Abschnitt zum Thema Hyperaktivität hat.
Häufigkeit
Darin berichte ich, daß 27% der legasthenischen Kinder in meiner Stichprobe hyperaktiv waren, ..."d.h., sie zeigten übersteigerte Muskeltätigkeit, konnten nicht stillsitzen, waren ablenkbar, mußten alles anfassen, öffnen und bewegen; sie sprachen oder erzählten unentwegt, anstatt sich der geforderten Sache zu widmen und erwiesen sich generell voll überschüssiger, schwer kontrollierbarer Energie. Es fehlte bei ihnen an den sonst normalen Bewegungshemmungen sowohl der motorischen als auch der sensorischen Impulse."
Krankhafte Energie
Was mich subjektiv und als medizinischen Laien bei diesen Kindern am stärksten beeindruckte und bis heute beeindruckt, das ist der enorme Energieaufwand! Wenn ich so ein Kind für zwei Teststunden oder 45 Minuten Spieltherapie bei mir gehabt hatte, war ich vom bloßen Zuschauen erschöpft. Es schien mir offenkundig, daß ein solcher Energieaufwand niemals allein aus ungenügender Erziehung, aus Trotz oder Disziplinlosigkeit gespeist werden kann. Die Kinder wirkten auf mich vielmehr krankhaft getrieben, gehetzt, sich unwohl fühlend in ihrer eigenen Haut, ruhelos, unstet, unfähig, etwas zu genießen - obwohl doch im Grunde lieb, offen, kantaktsuchend, gesprächsfähig. Diese guten Seiten scheinen aber immer nur für Momente durch, während das hetzige, fetzige Umherschweifen des Körpers und der Gedanken weitgehend die Überhand behält. Wenn ich, selbst total erschöpft von dem Versuch, auf das Kind einzugehen und es bei einer Sache, z.B. einer Testaufgabe, zu halten, es nach 1-2 Stunden wieder seiner Mutter oder seinem Lehrer übergab, so konnte ich mich nur nachdenklichst fragen, wie sie es denn stundenlang und zusammen mit anderen Kindern ertragen können!? Und dabei geht es ja nicht nur ums Ertragen in Familie und Schule, sondern darum, das Kind zu erziehen, ihm etwas beizubringen, es zum schulischen Lernen zu bewegen. Und das, während Lehrer, aber meist auch Mütter, nebenher noch für andere Kinder verantwortlich sind!
Zusammenhänge zwischen Hyperaktivität und Lernstörungen
Es handelt sich zudem gar nicht um wenige Kinder, die solche Schwierigkeiten haben und bereiten. In den USA rechnet man laut statistischer Untersuchungen damit, daß 8-9% aller Grundschulknaben und 2-3% aller Grundschulmädchen hyperaktiv sind. Unter den älteren Kindern sind die Anzeichen etwas weniger auffällig, und alle Statistiken leiden unter der Frage, was noch normale Unruhe und was schon krankhafte Überaktivität ist. Untersuchungen, die umgekehrt, also nicht wie meine von legasthenischen, sondern von hyperaktiven Kindern ausgehen (wie z.B. Prechtl) zeigen, daß bis zu 90% auch Lese-Rechtschreib-Schwächen zeigen. Die beiden Gruppen überschneiden sich also weitgehend. Es gehört zur Natur der Sache, daß sowohl bei den Kindern, die primär wegen ihrer Hyperaktivität auffallen, als auch bei den Kindern, die vor allem wegen ihrer Legasthenie auffallen, eine Lernstörung besonders hervorsticht, nämlich die Konzentrationsschwäche, die Aufmerksamkeitsstörung, die Unfähigkeit, länger bei der Sache zu bleiben. Das Kind ist sowohl motorisch als sensorisch ungehemmt, es fehlt die normale Steuerung. Jedem motorischen Impuls zur Bewegung wird nachgegeben; jedem sensorischen Impuls, d.h. jedem Sinnesreiz (dem Flugzeug, das man von draußen hört, dem Kästchen, das sich öffnen läßt, der Lampe, die sich einschalten läßt, etc. etc.) ist das Kind sozusagen hilflos ausgesetzt. Wie kann es sich, wenn es allen diesen Impulsen nachgibt, etwa auf ein Diktat konzentrieren!? Das Ergebnis sind alle Arten von Lernstörungen, die man aber nicht seiner "Krankheit" zuordnet, sondern seiner Unkonzentriertheit, Faulheit und Dummheit. "Du brauchst nur aufzupassen, dann kannst du es." Dieses Schicksal ist Hyperkinetikern und Legasthenikern bis heute weitgehend gemeinsam.
Erscheinungsformen von Hyperaktivität und Legasthenie
Einmal sind die Erscheinungsformen der Hyperaktivität in meinen bisherigen Ausführungen bereits teilweise zur Sprache gekommen und zum anderen sind Sie, verehrte Zuhörer, aus täglichem Erleben nur allzu vertraut damit. Außerdem haben Dr. Eichlseder und andere Autoren sehr lebendige Einzelbeschreibungen hyperaktiver Kinder geliefert, die an Anschaulichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Ich möchte dem nichts mehr hinzufügen, außer vielleicht einer Anmerkung: am 21.Juni dieses Jahres brachte hier bei uns der amerikanische Sender AFN (American Forces Network) ein Interview mit dem US-Psychologen Dr. James Dobson. Er sprach von einer neuen Checkliste mit 22 hyperaktiven Merkmalen, die aufgrund statistischer Untersuchungen zusammengestellt wurde. Treffen bei einem Kind 13 oder mehr der darin aufgezählten Anzeichen zu, so darf man davon ausgehen, daß hier nicht nur Unruhe, sondern Hyperaktivität vorliegt. Weniger bekannt sind vielleicht die Erscheinungsformen der Legasthenie. Sie können unmöglich im Rahmen eines einzigen Vortrages erschöpfend dargestellt werden, ganz abgesehen davon, daß es die Legasthenie ja offiziell nicht gibt. Sie wurde 1978 von der Kultusministerkonferenz (KMK) abgeschafft, d.h. es wurden die Legasthenikerförderkurse und der Notenbonus für diese Kinder gestrichen. Auch oder gerade in Bayern sind seither die Eltern und Kinder noch stärker auf eigene Initiativen angewiesen, wie jene, die Sie in ihrem, die ich in meinem Verband und die hinsichtlich des Legasthenietherapieangebotes der Arbeitskreis Legasthenie entwickelt (Menzingerstr. 139, 8000 München 50, Tel.: (089) 8115625). Während Schulbehörden und auch manche Theoretiker daran zweifeln, wissen die Praktiker, das sind Eltern, Lehrer, Kinderärzte, Psychologen, usw., daß es Legasthenie gibt. Dabei handelt es sich um eine erhebliche Lernschwierigkeit, um eine Teilleistungsstörung beim Erlernen der Schriftsprache und dies gerade bei solchen Kindern, bei denen man es nicht erwartet, weil sie ja in anderen Bereichen lernfähig, ja z.T. sogar besonders talentiert sind - oder es wenigstens waren, ehe sie, angesichts ihres speziellen Dauerversagens, des Nichtverstandenwerdens, der Vorwürfe und ausbleibenden Spezialhilfe, auf der ganzen Linie aufgaben. Wenn es heute noch einen Wissenschaftsstreit um die Legasthenie gibt, die Schulen keinesfalls immer zu helfen in der Lage sind, die meisten Fachleute ratlos sind, die Eltern oft keine Hilfe finden, die Elterninitiativen und Verbände noch zu wenig bewirken und Opportunisten nutzlose, aber teure Allheilmittel an den "armen Mann" bringen können, so liegt das nicht zuletzt daran, daß die Legasthenie kein einheitliches Erscheinungsbild bietet. Jeder Mensch, der davon betroffen ist, hat seine Legasthenie. So, wie jeder seine Hyperaktivität hat. Die Legasthenie oder die Hyperaktivität gibt es nicht, so wenig, wie es die Handschrift oder die Mimik gibt. Jeder hat seine eigene. Die Merkmale sind ähnlich, aber die Ausprägung ist bei jedem Menschen anders.
Legasthenieanzeichen im Kleinkindalter
Allgemein, auf die Gruppe hin gesehen, läßt sich sagen, daß Legasthenie sich oft schon im Kleinkindalter indirekt ankündigt: verspäteter Sprachbeginn; Sprachfehler (auch nur vorübergehend; vielfach Artikulationsschwäche), verspätete motorische Entwicklung, besonders in der Feinmotorik (Stift halten, Perlen aufreihen), als Koordinationsmangel (von Hand und Auge beim Einfädeln, Abmalen, Zielen), als Aufmerksamkeitsschwäche (bleibt bei keinem Spielzeug, bringt Malen oder Spiel nicht zu Ende), Niedrige Frustrationsschwelle (gibt gleich auf, kann nicht warten, muß immer gewinnen), als Umstellungsproblem bei neuen Situationen (anderer Tagesablauf, neue Wohnung, fremde Kinder) und einige andere.
Legasthenieanzeichen im Schulalter (bei der Schriftsprache)
Beim Schulkind kann man Anzeichen im Schriftsprache- und Verhaltensbereich unterscheiden. Nicht alle möglichen Schwierigkeiten im Erlernen der Schriftsprache treten bei jedem Kind auf; das eine hat mehr Probleme mit der visuellen Erfassung der Buchstaben (o und c), das andere kann nur schwer ähnlich klingende Laute heraushören (ä und ü), ein weiteres bringt sie nur schwer in die richtige Reihenfolge (Geräten statt Gärten), dem nächsten ist die Lage des Buchstaben im Raum unklar (b und d; d und q), wieder eines kann nicht zusammenschleifen (H U N D zu Hund), das nächste kann sich die Bildgestalt des Buchstabens nicht merken (Speicherschwäche: "Wie sah das A nochmal aus?"), Groß- und Kleinschreibung bleiben einem weiteren Kind ein ewiges Rätsel und manch einem ist es fast unmöglich, beim Diktat das Gehörte in Geschriebenes umzusetzen. Die Handschrift bleibt bei vielen unleserlich und das Lesen, vor allem das Lautlesen, eine stockende, ermüdende, mit Raterei vermischte Angelegenheit. Ermüdung, Angst vor Prüfungen, Aufregung und dergleichen lassen die genannten Symptome verstärkt auftreten.
Legasthenieanzeichen im Schulalter (im Verhalten)
Zu den Verhaltensproblemen gehören meist Konzentrationsmangel, Merkstörungen (nicht Zuhören, nicht Aufmerken, nicht Erinnern), Ablenkbarkeit (Reize, wie z.B. das Tun anderer Kinder im Klassenzimmer, lenken ab; Ablenkungen werden aber auch gesucht, z.B. indem man andere Kinder stört, herumläuft, laut und zusammenhanglos redet im Unterricht, den Clown macht, usw.). Mangel an Ausdauer, Nichtstillsitzenkönnen, Abneigung gegen Arbeiten mit Papier und Bleistift, Bewegungsüberschuß und allgemein störendes Verhalten gehören dazu. Später hinzukommende Probleme sind vor allem Ängste (65% der von mir untersuchten 500 Legastheniker zeigten Angstsymptome). Sie treten auf als Prüfungsangst, Angst vor dem Aufgerufenwerden in der Klasse, vor dem Vor-der-Klasse-Stehen-Müssen, Zeugnisangst, Angst zu versagen, Angst vor Eltern oder Lehrern, Einschlafangst, Alpträume, Angst vor dem Erwachsenwerden, Schulangst - bis zur Selbstmordgefahr. Wir alle kennen auch die psychosomatischen Anzeichen: Kopf- und Bauchweh scheinbar ohne Grund, Fieberschübe, Einnässen, usw. Aber auch soziale Unreife, Infantilismen, Schuldgefühle, depressive, resignative oder indifferente Dauerverstimmungen, Unselbständigkeit, mangelndes Selbstvertrauen und geschädigtes Selbstwertgefühl sind zu beobachten. Zu den aktiveren Reaktionen gehören: Aggression (Erwachsenen, Kindern und Dingen gegenüber, auch Tieren), Aufschneiderei, Schreierei, Schlägerei und alle Arten von Störverhalten. bei Nichterkennen und Nichtbehandeln können sie bis zur späteren Kriminalität führen. Zahlenmäßige Nachforschungen haben gezeigt, daß unter den Aussteigern, den Jugendlichen in Erziehungsheimen und den Erwachsenen in Haftanstalten 18 bis 30% Legastheniker zu finden sind, bzw. ehemalige Legastheniker. Bei den Hyperaktiven liegen die Zahlen ähnlich.
Feststellung der Legasthenie
Da jedes Kind seine Legasthenie hat, muß jeder Einzelfall individuell abgeklärt werden. Dazu führt der fachkundige Psychologe ein Gespräch mit den Eltern, er erhebt die Vorgeschichte, stellt mit Hilfe von Intelligenztests die Allgemeinbegabung fest, vergleicht diese mit Hilfe von Leistungstests mit den besonderen Stärken und Schwächen des Kindes, beobachtet das Kind gezielt, stellt Kontakt her, spricht mit ihm, macht u.U. auch noch Persönlichkeitstests mit ihm und erstellt dann einen individuellen Behandlungsplan.
Behandlung der Legasthenie
Wie die Diagnose, so kann auch die Behandlung hier heute abend nur kurz skizziert werden: Legasthenietherapie ist eine Mischung aus Psychotherapie und gezielten Unterrichtshilfen. Sie kann daher nur von Diplom-Psychologen mit besonderer Zusatzausbildung durchgeführt werden (ist auch Voraussetzung für Finanzierung durch BSHG, §39). Hinzu kommt noch die Zulassung zur Psychotherapie lt. Heilkundegesetz.
a) Therapie
Psychotherapie heißt hier nicht Psychoanalyse mit Aufdeckung des Unbewußten oder verdrängter frühkindlicher Traumata. Psychotherapie heißt hier vielmehr, das Kind da abholen, wo es ist, persönlichkeits- und leistungsmäßig, es weder über- noch unterfordern, Entspannungs-, Wahrnehmungs- und Konzentrationshilfen, spielendes Üben, Ermutigungstherapie, Abbau von Verhaltensschwierigkeiten durch Spiel- und Gesprächstherapie, Aufbau einer positiven Lernmotivation, eines neuen Selbstwertgefühls, Vermittlung von Erfolgserlebnissen, Elternberatung, Entwicklung von Strategien der Problembewältigung in Elternhaus und Schule.
b) Training
Zum Lese-/Rechtschreibtraining innerhalb der Legasthenietherapie gehören: schrittweise Heranführung des Kindes an sein Alters-, Intelligenz- und Klassenniveau - Wahrnehmungsübungen aller Art - Einbeziehung aller Sinne in das Lernen (Sehen, Hören, Fühlen, Bewegung) - Funktionsübungen zur Tempobeschleunigung, zu besserer Koordination, Geläufigkeit, Konzentration, Raumorientierung usw. Gezielte Funktionsübungen auch bei Dehnungs- und Schärfungsfehlern, beim Erlernen von Regeln und Ausnahmen, beim Zusammenschleifen, Groß- und Kleinschreiben, Einhalten von Sequenzen, usw. Hilfsmittel sind dabei: Wortkarten, "begreifbare" (z.B. Plastik-) Buchstaben, Lautgebährden, Bildkarten, Lernspiele aller Art, Lük-Kästen, audiovisuelle Geräte, Selbsttests, usw. Legasthenietherapie hat prozessualen Charakter, d.h. daß der geübte Psychologe während der Behandlung immer aufs neue diagnostiziert, was sich geändert hat, wo das Kind jetzt ist, was es braucht, wie man wo zum nächsten Schritt ansetzt, wann Wiederholung nötig ist, wann Abwechslung, wie weit das Kind schon selbständig geworden ist, usw. Ein hoher Grad an Flexibilität, Beobachtung, diagnostischem Wissen, unterrichtlichem Können, Material- und Methodenreichtum, das sind die Hauptmerkmale des Legasthenietherapeuten.
Belastung der Familie bei Hyperaktivität und/oder Legasthenie
Ob Legasthenie oder Hyperaktivität, oder beide zusammen, wo immer sie vorkommen, bedeuten sie für die betroffene Familie einen Leidensweg. Für mein Empfinden fehlt es in den meisten Schriften und Vorträgen über Hyperaktivität an der vollen Würdigung der Belastung, die eine betroffene Familie zu tragen hat. Die Eltern, das kann nicht genug betont werden, befinden sich in einer schlimmen Situation. Dies gilt mehr noch für die Mutter. Sie ist es, die am meisten mit dem Kind zusammen ist. Sie ist es, der unaufgeklärte Psychotherapeuten bis heute weiszumachen versuchen, daß sie schuld ist an der Hyperaktivität des Kindes. Sie liebe es nicht, sie neige zur Überbehütung, sie habe es unbewußt gar nicht haben, nicht zur Welt bringen wollen, sie benutze es als "Waffe" ihrem ungeliebten Mann gegenüber und wie immer die Vermutungen lauten mögen, die zu nichts anderem angetan sind, als die Mütter zu verunsichern, ihnen schreckliche Schuldgefühle aufzubürden - zusätzlich zu dem realen Leid, das die Situation ihres Kindes ihr bereitet. Ich weiß nicht, wieviele Mütter bei mir in erlösende, befreiende Tränen ausgebrochen sind, wenn ich ihnen klarmachen konnte, daß Hyperaktivität eine "Krankheit" ist, eine ererbte Disposition, die das Kind unabhängig von äußeren Einflüssen mitgebracht hat und in sich trägt. Abgesehen von dieser besonderen Betroffenheit der Mütter durch falsche psychoanalytische Ansätze, sind es ebenfalls die Mütter, die von Anfang an mehr leiden. Sie tragen das Kind, das oft schon im Mutterleib besonders aktiv ist, das als Säugling schon Still-, Schlaf- und Eßschwierigkeiten zeigt. Sie müssen damit fertig werden, daß es dauernd weint und schreit, im Laufstall rhythmisch den Kopf anschlägt, nicht auf dem Arm gehalten werden will, nicht liebkost werden will, aber die Mutter dauernd in Sorge und auf Trapp hält! Anfangs versuchen meist beide Eltern, das Kind, dessen Unarten deutlicher werden, wenn es zu laufen beginnt, mit ganz normalen Erziehungsmaßnahmen zu lenken und zu schützen. Bald merken sie, daß es dem Kleinen trotzdem gelingt, aus dem Gitterbett zu steigen, alles herunter- und herauszureißen, durch Türen und Fenster zu entkommen, jegliche Gefahr zu ignorieren und schon als Krabbelkind bis auf die Fahrbahn draußen zu gelangen. Nun werden die Nachbarn aufmerksam, die Kindergärtnerin, die Verwandten und Bekannten. Sie signalisieren fast ausnahmslos: ihr versagt bei der Erziehung, ihr paßt nicht auf, habt keine Autorität bei dem Kind; wenn mein Kind sich so benähme! Es regnet nur so Vorwürfe und Schuldzuweisungen, alles zerstörerische Angriffe auf das elterliche Selbstbewußtsein. man weiß sich immer weniger zu helfen; alle Strafen und Belohnungen, die man schon versucht hat, sind ohne Erfolg geblieben. Erreicht das hyperaktive Kind das Schulalter, kommen zu seinem ungezügelten Benehmen Aggressionen hinzu. Es lehnt jede Autorität ab, lehnt sich auf gegen Gebote und Verbote, will Spielregeln das familiären Zusammenlebens gewaltsam in seinem Interesse ummodeln. Es benimmt sich aufreizend schlecht bei Tisch; bei Autofahrten quengelt es andauernd; es zerbricht Sachen und schlägt Kinder. Was wie feindselige Aggression aussieht, ist vielleicht in Wirklichkeit nur Überreizbarkeit, Impulsivität, Hilflosigkeit; Tatsache ist, daß das Kind immer und überall aneckt, nicht zuletzt natürlich in der Schule. Von dort werden weitere Klagen und Mahnungen an die Eltern gerichtet. Was immer die Eltern versuchen, nichts fruchtet. Nun beginnen sie, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Der eine ist zu lax, der andere zu streng. Der Vater verhängt Ausgehverbot, ist aber nicht zu Hause, wenn es ausgeführt wird und die Mutter beklagt sich, daß sie nun die Last tragen soll. Oft entsteht die sog. "double-bind-Situation", in der das Kind widersprüchliche Botschaften von Vater und Mutter bekommt: du gehst sofort ins Bett, du darfst noch zu Ende fernsehen. Wie immer es darauf reagiert, seine Reaktion ist entweder dem einen oder dem anderen Elternteil nicht recht - wo es doch beide lieben und beiden gehorchen soll! Meist sind solche double-bind-Botschaften viel subtiler als in diesem Beispiel; desto ärger ihre Wirkung. Die Geschwister verstehen das hyperaktive Kind nicht; sie hassen es, weil es aufdringlich ist, alle Spiele und Aktivitäten stört, nicht auf die Eltern hört, nie aufräumt, nichts zu Ende macht, weil es offenbar nur ein Gaspedal aber keinerlei Bremspedal hat. Das Kind wird isoliert von Geschwistern, Spiel- und Klassenkameraden. Die Eltern isolieren sich und werden isoliert, weil auch Erwachsene ihr Kind ablehnen und diese "Erziehungsfehler" seitens der Eltern nicht billigen; man meidet den Umgang. Ächtung und Isolierung von außen, Unfrieden innerhalb der Familie, völlige Rat- und Aussichtslosigkeit, das sind Belastungen, die häufig zur Scheidung, also zum Zerfall der Familie und leider wohl auch öfter als wir wissen, zu Kindesmißhandlungen führen.
Hilfen und Hoffnungen
Angesichts des zuletzt geschilderten Leidenswegs der ganzen Familie tut vor allem Aufklärung not. Es muß Allgemeinwissen werden, bei Fachleuten, bei Laien und in der Öffentlichkeit, daß es Kinder gibt, die sich schlecht benehmen, aber nicht schlecht sind und auch nicht von schlechten Eltern nur schlecht erzogen sind. Der Druck der Schuldzuweisungen muß von ihnen genommen werden, das ist der wichtigste Schritt in Richtung Hilfe und Hoffnung. Nach der Aufklärung und mit dem versachlichten Wissen muß eine Entlastung kommen, nicht nur von Minderwertigkeits- und anderen negativen Gefühlen, sondern auch von der kräftemäßigen Belastung. Vor allem heilpädagogische Tagesstätten - wie Horte, Schultagesheime, Tagesheimschulen - sind hier gefordert, aber auch Internate und Kinderkurheime, sowie Mutter-und-Kind-Erholungshäuser. Eltern, Geschwister und vor allem die Mutter müssen zeitweise entlastet werden. Verwandte, Bekannte, Nachbarn, Zivildienst- und Sozialjahrleistende, alle könnten der Familie helfen, wenn sie regelmäßig der Mutter einen freien Nachmittag, beiden Eltern oder der ganzen Familie, ausgenommen das Problemkind, einen regelmäßigen freien Sonntag, Kurzurlaub, Wochenendausflug oder eine wie immer geartete Atempause garantieren würden. Diese Entlastung muß kommen, bevor ein Familienmitglied total erschöpft ist, der Haß handgreifliche Formen annimmt, Verzweiflungs- oder Kurzschlußreaktionen aufkommen, bzw. Ehe und Familie zerbrechen. Hilfe und Hoffnung kann nur kommen, wenn alle Hyperaktivität und Lernstörungen als eine ganzheitliche Aufgabe betrachten, an der alle mitwirken müssen: der Arzt, der die Medikation verschreibt und im Zusammenhang damit die Gesamtgesundheit des Kindes überwacht; der Psychologe, der bei Abklärung, Beratung und Therapie mitwirkt; der Lehrer, der mit besonderer Geduld und speziellen Unterrichtsmethoden hilft; der Wissenschaftler, der Ursachen und Verhinderungsmaßnahmen erforscht; die Kindergärtnerin, die Hortnerin, die das Kind nicht aufgeben; die Medien, die zur Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen; die Tagesstätten und Freiwilligen, die die Familie zeitweise entlasten; die Elterninitiativen und Verbände, die sich für die Belange der Betroffenen einsetzen; die Schulbehörden und Sozialämter, die erleichternde Bestimmungen erlassen; die Eltern, die den Mut nicht verlieren; und last but not least das Kind selbst, das spüren können muß, daß nicht es selbst bekämpft wird, nicht es selbst gehaßt oder abgelehnt wird, sondern nur sein Störverhalten. Es muß spüren können, daß andere nicht seine Feinde sind, sondern seine Verbündeten in seinem Kampf gegen seine eigenen Schwächen. Partnerschaft aller Beteiligten, die Achtung der Menschenwürde bei den Betroffenen, die Erhaltung der Lebens- und der Lernfreude, der Wille, immer weiter zu lernen und neue Erkenntnisse weiterzugeben, das ist das Fundament, auf dem ein ganzheitliches Helfen und Hoffen weiter gedeihen kann.
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Copyright © 1996 All rights reserved. Bundesverband der Elterninitiativen zur Förderung hyperaktiver Kinder e.V., Postfach 60, 91291 Forchheim (FAX: 09191/34874)
Anmerkung:
Dieses Referat wurde vor fast 10 Jahren gehalten! Es ist heute so aktuell wie damals! Legasthenische und ADHD-Kinder, wie sie in diesem Artikel besprochen werden, betrachtet man heute eher als Sonderfälle der allgemeineren Problematik ADD (Attention Deficit Disorder).
Doch in den letzten 10 Jahren hat sich in der Praxis leider nur sehr wenig für die betroffenen Kinder und ihre Eltern verändert. Damit das Wissen um diese Problematik sich verbreitert, können Sie sich gerne diesen Artikel ausdrucken und ihn weitergeben. Das entspricht dem ausdrücklichen Wunsch der Autorin und des Bundesverbandes.
Im Jahr 1995 hat Frau Edith Klasen ein weiteres Buch veröffentlicht: “Legasthenie, umschriebene Lese-Rechtschreib-Störung”, das im Piper-Verlag erschienen ist.