Falsche Konzepte, schlechtes Management und mangelnde Beweglichkeit haben den Kaufhauskonzern KarstadtQuelle an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds geführt. SPIEGEL-Reporter Reinhard Mohr hat das Geheimnis des Misserfolges zu ergründen versucht.
Berlin - Die Montagsdemonstrationen sind passé. Jetzt kommt die Karstadt-Depression. Die Nation bleibt dran und darf sich weiter sorgen. Zum Beispiel in Berlin-Charlottenburg, gestern Nachmittag 16 Uhr Ortszeit: Trotz Nieselregen und Fußgängerzonen-Tristesse trommelt der in ein rotes Gewand gehüllte buddhistische Laienprediger - oder war's doch ein echter Mönch? - wieder unermüdlich für Frieden und Gerechtigkeit. Das können sie in der Wilmersdorfer Straße/Ecke Pestalozzi derzeit gut gebrauchen. Denn auch dort, im altehrwürdigen Karstadt-Kaufhaus mit Reisebüro und Restaurant, geht die Angst um. Arbeitsplätze sind in Gefahr. Von Weihnachtsgeld und Urlaubszulage ganz zu schweigen.
Wer freilich in den guten alten Konsumtempel eintritt, in dem die "Generation Golf" einst ihre schweren Gewissensentscheidungen zwischen "Geha" und "Pelikan" treffen musste, bekommt eine Ahnung davon, wie die 300 Millionen Euro Konzernverlust im ersten Halbjahr 2004 zustande gekommen sein könnten.
Den neugierigen Besucher empfängt zunächst ein ziemlich unübersichtliches Sammelsurium aus unterschiedlichsten Warenangeboten: Brillen, Billigschmuck, Handtaschen, Schuhe, Geldbörsen. Irgendwo hinter den Koffern öffnet sich die Kosmetikabteilung, auf der anderen Seite locken Flusskrebse, gehäutete Kaninchen und Straußenfilets. Ein Dschungel des Konsums. Doch die Präsentation erinnert auch in den anderen Stockwerken eher an ein Warenlager: Das meiste ist irgendwie aufgetürmt, gestapelt, massenhaft nebeneinander gehängt. Alles ist da, aber es fehlt die Kontur, die Linie, die Idee.
Drei Meter von den Zierfisch-Aquarien entfernt ("Lebende Tiere sind vom Umtausch ausgeschlossen!") liegen die Haarföhne im Regal. Wärmeunterbetten stehen neben Espressomaschinen, Brotbackautomaten neben Mundduschen. In großen containerartigen Kisten fliegen tausende von CDs und Videokassetten durcheinander, und die überall herumstehenden, aber noch nicht ausgepackten rollenden Transportkisten erinnern daran, dass noch viel mehr Waren aus dem Keller herangeschafft werden könnten - wenn, ja wenn sie denn irgendjemand kaufen wollte. Es ist ziemlich leer an diesem Dienstagnachmittag. Bonjour Tristesse. Fin de siecle. Eine Atmosphäre von Ausverkauf liegt in der Luft. Irgendwo klingelt minutenlang ein einsames Telefon. Bei den Hosen für Männer sagt eine Ehefrau zu ihrem Mann, der noch ratloser als sie vor den gut gefüllten Hochregalen steht: "Da bräucht' mer halt mal einen Verkäufer."
Selbst die eleganten Breitwand-Flachbildschirmfernseher der neuen Generation flackern weitgehend einsam vor sich hin. Auch in der Unterwäscheabteilung ist niemand. Warum auch? Die wenigen Kunden schlagen sich schon selbst zu den Kassen durch. Dort allerdings wird man freundlich bedient.
Die gute Nachricht: Es ist schön Platz zum Flanieren. Vorwiegend ältere Leute streifen durch die Gänge, immer auf der Suche nach dem ultimativen Schnäppchen. Überall verweisen bunte Werbetafeln auf extreme Preissenkungen: Das fünfteilige "Topfset Prolin plus" kostet zum Beispiel nicht mehr 507, sondern nur noch 199 Euro, und die formschön geriffelte Isolierkanne "Vulcano" kann der Karstadt-Kunde jetzt schon für 30 Euro statt für 75 mit nach Hause nehmen. Ein "Holzkamm-WC-Sitz" geht für schlappe 50 Euro (bisher: 125) über die Theke, aber auch Woks und Herzfrequenzmesser sind sehr preiswert geworden. Über die Hausanlage verkündet eine überzeugend männliche Stimme: "Der Trendhaarschnitt jetzt für 12 Euro!"
Da liegt auch das Problem von Karstadt: Man schaut mal rein und nimmt was mit. Oder auch nicht. Nichts hält die Kunden für längere Zeit. Auch das Selbstbedienungsrestaurant im vierten Stock strahlt die Gemütlichkeit einer Kantine aus. In den achtziger Jahren war Karstadt so etwas wie das Schaufenster des bundesrepublikanischen Reichtums. Von Detmold bis Düsseldorf, von Braunschweig bis Berlin - eine tägliche Demonstration des rheinischen Kapitalismus, die Utopie vom Wohlstand für alle. Es reichte der Vorführeffekt, die Überwältigung durch das schiere Warenangebot.
Damit ist es nun vorbei. Hartz IV lässt grüßen. Die einen kaufen in Billigmärkten, und die anderen flanieren durch die neuen Erlebniswelten des gehobenen Konsums. Kein Wunder, dass Karstadt nun die Parole von den "Konsumwelten der Zukunft" ausgibt, nachdem man die unrentabel gewordenen Einkaufshallen der Vergangenheit abgestoßen hat. Wie die schönen neuen Welten aussehen sollen, weiß bisher niemand. Nur eines ist sicher: Mit der alten Welt von Karstadt geht auch ein Stück alter Bundesrepublik zu Ende.
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