Ehrbar nur mit Kopftuch Löwenmaul: Für was steht das Kopftuch im Islam? Schröter: Wenn man die Koranverse analysiert, in denen das Kopftuch vorgeschrieben ist, vor allem in Sure 33 Vers 59, dann ist die objektive Bedeutung dieser Kleidungsvorschrift eine politische oder kulturelle. Von Religiosität ist in diesem Vers nichts zu finden, ich habe mir das gerade noch einmal sehr gründlich angesehen. Wenn man diesen Vers rausnehmen würde aus dem Koran, und überlegt, wo paßt der eigentlich rein, dann würde man ihn vielleicht in ein kommunalpolitisches Regelwerk einfügen. Aber man käme nie auf die Idee, ihn in ein religiöses Buch zu setzen. Daran sieht man, daß der Islam nicht nur Religion ist, sondern immer auch Politik. Die Vorschrift der Bekleidung für Frauen stellt eine archaische Konvention dar mit dem Ziel, sie in der Öffentlichkeit vor sexuellen Übergriffen von Männern zu schützen.
Sie haben dieses Thema wissenschaftlich untersucht und dazu muslimische Frauen befragt. Welche Gründe nannten diese Frauen, ein Kopftuch zu tragen? Im Rahmen der Biographieforschung haben wir von 1990 bis 2000 ungefähr 250 Interviews unter muslimischen Frauen durchgeführt. Ab Mitte der 90er Jahre tritt das Kopftuch häufiger auf und wird auch allmählich von den Frauen spontan thematisiert. Die Analyse hat uns sechs Gründe dafür erkennen lassen. Zum einen gibt es bei diesen Frauen - sie stellen eine Minderheit dar - einen zunehmenden Einfluß und Druck der Moscheegemeinden auf die Familien. Hinzu kommt als zweites die Teilnahme an der Pilgerreise nach Mekka; die Frauen kommen nie ohne Kopftuch zurück. Und das Dritte ist die Androhung von Gewalt durch - bei uns in den Interviews waren es marokkanische, türkische und iranische - Männer, die auf der Straße den Mädchen nachrufen „Du gehörst doch zu uns, wenn du das Kopftuch nicht anziehst, dann ficken wir dich". Dieses Phänomen wurde von den vielen muslimischen Studentinnen in meinen Seminaren aus eigener Erfahrung bestätigt. Der vierte Grund ist die Erziehung mit der Angst vor Gott und den Strafen im Jenseits. Der fünfte Grund hängt mit der muslimischen Mädchenerziehung zusammen. Diese Erziehung zielt nicht wie bei uns auf ein individualisiertes Subjekt, das sich selbst entscheiden und selbst handeln kann, sondern auf Verinnerlichung von Autoritäten und auf Fügsamkeit. Dies erfolgt durch eine suggestive Erziehung und das Einüben von autosuggestiven Techniken. Sie reden sich später immer wieder selbst ein, die Stimme der Autorität sei der eigene Wille. Die letzte Feststellung ist ein Problem, das wir eigentlich lösen könnten: Muslimischen Frauen wird die Anerkennung zu unserer Gesellschaft verwehrt, sie werden immer wieder fremd gemacht und finden hier bei uns keine Zugehörigkeit. Das verletzt sie sehr und sie wenden sich als Ersatz den Moscheegemeinden zu, und da werden sie bereitwilligst aufgenommen.
Was bedeutet es, wenn Lehrerinnen wegen ihrer islamischen Religion ein Kopftuch tragen? Wir haben muslimische Lehrerinnen seit vielen Jahren im Schuldienst, sie tragen kein Kopftuch und wollen auch keines. Beim Fall Ludin vermute ich, daß ein Fall von suggestiver Erziehung und von religiöser Indoktrination vorliegt, wie sie gerade im wahabitischen Islam durchgeführt werden. Frau Ludin hat gerade in der sensiblen Phase der Pubertät in Saudi-Arabien die Schule besucht und dort das Kopftuch tragen gelernt.
Begrüßen sie ein gesetzliches Verbot von Kopftüchern bei Lehrerinnen? Auf jeden Fall, weil das Kopftuch ein Symbol ist für die Unterdrückung von Frauen und die Herrschaft der Männer. Dies widerspricht zum einen unserem Grundgesetzartikel 3 II, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, und auch dem Artikel 1 der UN-Charta, wonach Männer und Frauen vor dem Gesetz gleich sind. Das Kopftuch symbolisiert eine Kultur oder eine Religion, in der Männer und Frauen nicht gleichberechtigt sind.
Welche Einflüsse gehen denn vom Islam auf unsere Gesellschaft aus? Zunehmend mehr, das haben wir alle lange nicht gesehen. Zum politischen Islam gehört auch der Zentralrat der Muslime Deutschlands (ZMD), den Nadeem Elyas 1994 gegründet hat. Diese Organisation hat jetzt zusammen mit dem König Fahd-Komplex einen unverkäuflichen Koran herausgegeben. Überall verschenken sie die arabisch-deutsche Ausgabe, in der ganz eindeutig der Wunsch nach einer islamischen Parallelgesellschaft klar wird. Man kann das auch an diesem Bekleidungsvers ausmachen. Nur in jener arabisch-deutschen Ausgabe steht: Damit sie erkannt werden als freie ehrbare Frauen, im Gegensatz zu den nichtehrbaren Frauen. Das steht nicht im arabischen Originaltext und in keiner der anderen elf Übersetzungen, die ich sonst analysiert habe. Die Frauen sollen also unterschieden werden in ehrbare, die das Kopftuch tragen, und in nichtehrbare, die es nicht tragen. Das kann enorme Folgen haben, wenn das gepredigt wird in Moscheen und im islamischen Religionsunterricht.
Wie groß ist der Rückhalt und die Unterstützung unter den Muslimen in Deutschland für diese Entwicklung? Das ist schwer zu sagen. Es ist eine Minderheit, aber diese Minderheit wächst. Es kommt hinzu, daß sie zum Beispiel von vielen aus den Kirchen unterstützt werden - besonders aus der evangelischen Kirche. Und wie wir bei der Grünen-Mitgliederversammlung gesehen haben, gibt es auch deutsche Politiker, die das unterstützen. Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Tobias Heinz.
Hiltrud Schröter arbeitete als Lehrerin, unter anderem unterichtete sie rein muslimische Schulklassen. 1988 wurde sie an den Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Frankfurt abgeordnet. Dort forschte Schröter auch im Bereich Migration, Islam und Frauen. Ihre Dissertation trägt den Titel "Arabesken - Studien zum interkulturellen Verstehen im deutsch-marokkanischen Kontext" (Verlag Peter Lang, Frankfurt), für die sie den Elisabeth-Selbert-Preis des Landes Hessen erhielt. Es folgten die Studien "Mohammeds deutsche Töchter" (Ulrike Helmer-Verlag, Königstein) und "Ahmadiyya-Bewegung des Islam" (Verlag Hänsel-Hohenhausen, Frankfurt). Die Ahmadiyya stellte daraufhin Strafanzeige gegen Schröter wegen Beleidigung von Bekenntnissen, doch schon das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. "Schließlich enthalten meine Publikationen keine Beleidigungen, sondern Forschungsergebnisse", sagt die Wissenschaftlerin.
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"pro Schlüchtern"
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