so behauptet ein Ermittler.
Joschi, Joschi, gehts jetzt ans Eingemachte?
Gerät sogar Joschka Fischer in die Visa-Affäre?
Von Helmut Buchholz
Der Untersuchungsausschuss "Sicherheitsrisiko Visapolitik" nimmt heute seine Arbeit auf. Er soll klären, ob das Auswärtige Amt allen Warnungen der Sicherheitsbehörden zum Trotz hunderttausendfach Visa-Missbrauch in deutschen Botschaften in Kiew, Minsk, Tirana und Chisinau (Moldawien) zuließ, vielleicht sogar begünstigte.
Warteschlangen vor dem deutschen Konsulat in Belgrad: Der Volmer-Erlass erleichterte 2000 die Erteilung von Touristen-Visa. Vor allem in ehemaligen Ostblockstaaten wurde davon Gebrauch gemacht, vor dem deutschen Konsulat in Kiew brach das Chaos aus.
Das Bundeskriminalamt sagt gar nichts. Die Kölner Staatsanwaltschaft offiziell auch nicht. Nur die Berliner Ermittler räumen ein, dass gegen drei Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und anderer Ministerien wegen des Verdachts der Bestechlichkeit in der Schleuser-Affäre ermittelt wird. Das ist dem Untersuchungsausschuss jedoch nicht genug. Seinem Vorsitzenden, dem CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhl, geht es nicht darum, in diesem "Skandal einzelne korrupte Beamte herauszufischen". Die Frage laute vielmehr: "Hat das Außenministerium den Nährboden geschaffen für die organisierte Schleuserkriminalität?" Gab es Deckung von ganz oben? Gar von Außenminister Joschka Fischer? Der sagt, er habe von allem nichts gewusst.
"Schweres Fehlverhalten"
Die besten Zeugen Uhls sind der Kölner Richter Ulrich Höppner und der Oberstaatsanwalt Egbert Bülles. Der Ermittler Bülles brachte Anatoli Barg vor die 9. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts. Die Kammer verurteilte den gebürtigen Ukrainer nach 57 Verhandlungstagen am 9. Februar 2004 zu fünf Jahren Haft - wegen Menschenhandels und Schleusung von Kriminellen, Prostituierten und Schwarzarbeitern. Dieses Urteil entwickelte eine enorme Sprengkraft, denn die Kammer bescheinigte den Bundesbehörden "schweres Fehlverhalten" und gab der Visa-Politik eine Mitschuld an den ungeheuerlichen Zuständen.
Warteschlangen-Mafia
Tatsache ist, sagen die Kölner Ermittler, dass Barg 35 Reise-Firmen in der ganzen Bundesrepublik gründete, und teilweise über diese täglich bis zu 500 Personen mit Visa von der deutschen Botschaft in Kiew und anderen GUS-Staaten nach Deutschland schleuste. Hier verdingten sie sich als Schwarzarbeiter auf Baustellen zu Dumpinglöhnen, ja sogar die tschetschenischen Terroristen Rusian und Abri Daudov, die am Überfall auf das Moskauer Musicaltheater im Oktober 2002 beteiligt waren, mischten sich unter den illegalen Flüchtlingsstrom. Tatsache ist auch, dass im Jahr 2001 die Visazahlen allein in Kiew auf 329 258 hoch schnellten. Drei Jahre zuvor waren es 134 969.
Erleichtert wurde der Anstieg vom damaligen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer. Auf Weisung von Minister Joschka Fischer hat er am 3. März 2000 per Erlass alle deutschen Botschaften im Ausland angewiesen, Touristen-Visa großzügiger zu erteilen. Justament zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Botschaft in Kiew schier in offensichtlich getürkten Einreise-Anträgen erstickte und dies auch dem Auswärtigen Amt mitteilte. Sogar Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt warnten die Behörden vor den Machenschaften der Schleuserbanden. Vor der Botschaft herrschten damals chaotische Zustände. Es soll sich sogar eine "Warteschlangen-Mafia" gebildet haben, die bestimmte, wer wo in der Reihe vor der Botschaftstür zu stehen hatte. Erst 2003 mit einem neuen Erlass des Auswärtigen Amts entspannte sich die Situation. Und die Zahl der Visa-Anträge ging von 314 000 (2002) auf 194 000 (2003) zurück.
Eintrittskarten in den Westen
Der Weinsberger Versicherungsmakler Heinz K. spielt in dieser undurchsichtigen Geschichte aus Menschenhandel und Korruption nach den Ermittlungen der Kölner Staatsanwälte eine Schlüsselrolle. Er fungierte sozusagen als Versicherer der Visa-Antragsteller und genoss das Vertrauen des Auswärtigem Amtes und des Innenministeriums. Mehr noch: Zusammen mit dem Ministerien entwickelte er den so genannten Reise-Schutz-Pass. Er kostete 50 bis 70 Euro. Eine fälschungssichere Versicherungspolice, die die Bundesdruckerei in Berlin herstellte, und die praktisch die bequemste Eintrittskarte für illegale Einwanderer nach Deutschland darstellte.
K. war Geschäftspartner von Anatoli Barg. Beiden droht ein Prozess vor dem Kölner Landgericht, von dem K. sagt, "dass er nie zustande kommt, denn ich bin unschuldig". Dass Barg ein Menschenhändler war, habe er nie gewusst, er habe auch niemanden bestochen, sondern "nur" Versicherungen verkauft. "Die Visa-Prüfung lag allein in den Händen der deutschen Botschaft in Kiew." Heute kommt sich der Versicherungskaufmann aus der Provinz im Weinsberger Tal vor wie ein "nützlicher Idiot". Er habe da in etwas hineingegriffen, das er weder überschauen noch begreifen könne.
"Ich dachte immer, Deutschland wäre keine Bananenrepublik, aber es ist eine." (Ein Kölner Ermittler)
Das Desinteresse der Ermittler an offensichtlich sehr heißen Spuren macht die Affäre allerdings noch merkwürdiger. Eine dieser vernachlässigten Spuren führt wieder zu Anatoli Barg: Er wurde am 8. April 1964 in Nikolajew (Ukraine), einem Ort in der Nähe Odessas, geboren, wo er auch aufwuchs. Am 1. November 1992 reiste er zusammen mit seiner Mutter als jüdischer Kontingentflüchtling in die Bundesrepublik ein. Am 28. Februar 2002 erhält Barg neben der ukrainischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit.
Der als Zigarettenschmuggler vorbestrafte Mann besitzt ärztliche Atteste, wonach er unter Angstzuständen und Antriebsschwäche leide und deshalb keine körperlichen und geistigen Arbeiten verrichten könne. Er lebt von der Sozialhilfe. Die Dokumente, die dies alles belegen, fanden Fahnder bei Barg während einer Hausdurchsuchung. Über die angebliche Antriebsschwäche haben die Ermittler gestaunt. Denn Barg sei in Wirklichkeit Tag und Nacht damit beschäftigt gewesen, Personen aus Osteuropa einzuladen. Er soll seine Tätigkeit sogar als Visumfabrik bezeichnet haben.
Pikant an Bargs Biografie ist aber nicht nur, wie er die Kölner Ämter hinters Licht führte, sondern auch sein Status als jüdischer Kontingentflüchtling. Denn er war nicht der Einzige, der auf diese Weise ins gelobte Land, die Bundesrepublik, kam. Die Ermittler sagen das zwar nicht laut, aber Top-Positionen in der Russen-Mafia sollen öfter von jüdischen Kontingentflüchtlingen aus den ehemaligen GUS-Staaten besetzt worden sein. Jüdische Emigranten aus dem Osten genossen eine Vorzugsbehandlung bei der Übersiedlung. Dabei soll es nicht immer mit rechten Dingen zugegangen sein.
Es gibt zurzeit Gespräche zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Zentralrat der Juden, um die Zuwanderung von Juden aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland neu zu regeln. Hintergrund einer möglichen Zuzugsbeschränkung sind Forderungen Israels. In Jerusalem wünscht man sich eine Streichung des besonderen Status jüdischer Emigranten aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. In den vergangenen drei Jahren sollen von dort mehr Juden nach Deutschland als nach Israel ausgewandert sein.
ADAC weist Vorwürfe zurück
Unklar ist bis heute, warum gerade der Weinsberger so gute Beziehungen zum Auswärtigen Amt hatte. Schließlich soll in seinem Auftrag die Bundesdruckerei 112 000 Reise-Schutz-Pässe gedruckt haben. Allerdings fragt K. auch, warum er der einzige Reise-Schutz-Pass-Verkäufer sei, der angeklagt werden solle. Es habe eine Handvoll Assekuranzen und Betriebe gegeben, die ähnliche Versicherungen in der Ukraine vertrieben. "Doch an die Großen traut man sich nicht ran", sagt K., der beispielsweise den ADAC und sein "Carnet de Tourist" nennt. Als "Unverschämtheit", bezeichnet Peter Hemschik, ADAC-Pressesprecher, solche Verdächtigungen. "Wir haben eine blütenreine Weste." Es stimme zwar, dass der ADAC, beziehungsweise sein Automobilclub-Partner in der Ukraine, "Carnet de Tourist" an Visa-Antragsteller verkaufte. "Doch der Absatz war minimal und da ging alles mit rechten Dingen zu."
Agent wider Willen?
Noch ein Verdacht steht im Raum, bisher ungeprüft: K. könnte wirklich ein "nützlicher Idiot" gewesen sein - und zwar für das Bundeskriminalamt und den deutschen Geheimdienst. Vielleicht wurde er ohne sein Wissen zu einem Agenten gemacht, der als trojanisches Pferd in die Schleuser-Ringe eindringt, und am Ende die Hintermänner verrät. Der Bundesgrenzschutz hat den Computer von K. konfisziert und die Adressen von 349 Vertriebspartnern daraus aufgelistet; übrigens auch ein halbes Dutzend Reisebüros und Agenturen aus dem Unterland. Wenn es sich so verhält, würde dieses erklären, warum die Behörden so lange alle Mahnungen vor K. in den Wind schossen und ein "kleiner" Versicherungsmakler aus der Provinz zum wichtigen Geschäftspartner des Auswärtigen Amtes aufstieg.
20.01.2005 00:00
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