Kakophonie in schwarz
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neuester Beitrag: 27.06.05 20:28
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eröffnet am: | 15.06.05 13:21 von: | oneDOLLAR. | Anzahl Beiträge: | 8 |
neuester Beitrag: | 27.06.05 20:28 von: | oneDOLLAR. | Leser gesamt: | 2758 |
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Vermutlich keines von beidem. Die Union hat derzeit ein ganz anderes Problem. Ihr großes Dilemma besteht darin, bis zum 11. Juli ein einigermaßen konsistentes Wahlprogramm präsentieren zu wollen, das zwei Anforderungen gleichermaßen genügt: Es soll die Wählbarkeit der Partei noch steigern und zugleich die Regierbarkeit des Landes erhalten, sollte die Union im Herbst die Macht übernehmen. Das Wahlprogramm darf also nur soviel an Grausamkeiten zumuten, wie CDU und CSU verkraften können, um die erforderliche Mehrheit zu gewinnen; es muss in Maßen einen sozial- und wirtschaftspolitischen Offenbarungseid leisten, damit Merkel das Schicksal Schröders von 2002 erspart bleibt, nach dem Urnengang wegen erwiesener Wahllügen umgehend abgestraft zu werden. Bisher steht allerdings nur fest, dass es nach der Wahl zu Einschnitten kommen wird, und das Zeitfenster dafür - dank einer stabilen Mehrheit im Bundesrat - mindestens drei Jahre lang offen steht. Wie das dafür erforderliche Programm konkret aussehen wird, ist dagegen nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Was wir erleben, erinnert vielmehr an rasende Ratlosigkeit.
Auch wenn "Rot-Grün muss weg" für den Wahlsieg reichen mag, für das anschließende Regieren dürfte es allemal zu wenig sein. Auch das vollmundige Credo von Merkels "Agenda für Arbeit": Alles, was Arbeit schafft, wird unternommen - alles, was Arbeit verhindert, wird unterlassen, will eben erst noch in taugliche Maßnahmen übersetzt werden. Und genau daran ist Rot-Grün soeben kläglich gescheitert.
Bisher spricht vieles dafür, dass die CDU bis zum 11. Juli allenfalls Stückwerk zustande bringt. Spätestens dann wird sich auch erweisen, ob der lauthals verkündete "Wille zur Wahrheit" tatsächlich obsiegt oder ob sich doch wieder das neue Schisma der Union durchsetzt: die CDU für die Härten, die CSU fürs Streicheln. Immerhin wollen in Bayern absolute Mehrheiten verteidigt werden. Und dafür braucht es eben nicht bloß die ökonomischen Eliten, sondern auch die soeben übergelaufenen Unterschichten. Ansonsten dürfte die Union ihren neuen Nimbus als "Arbeiterpartei" (Jürgen Rüttgers) so schnell wieder verlieren, wie sie ihn sich zuerkannt hat.
Wenn Angela Merkel deshalb tatsächlich ernst machen will mit ihrer Ehrlichkeitsoffensive, wird sie besonders ihre südliche Flanke im Auge behalten müssen. Bekanntlich ist schon mancher Bayer als Ankündigungslöwe gesprungen, um schließlich doch wieder handzahm als Bettvorleger zu landen. Es wird sich noch erweisen, ob Merkel mit einem Superminister Stoiber wirklich gedient sein kann.
Eines aber dürfte heute schon feststehen: Gerade wenn die Union ihr Programm der sozialen Härten durchzieht, wird sie sich den nötigen populistischen Kitt woanders besorgen. Ein heißer Tanz auf dem Feld der Außenpolitik zum Thema EU und Türkei gilt deshalb schon heute als beschlossene Sache. Nichts schließt die Reihen der Konservativen bekanntlich besser als ein "gemeinsamer äußerer Feind".
(Albrecht von Lucke)
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Hamburg/Berlin - Fragen zu einer Änderung des Grundgesetz müssten immer jenseits tagespolitischer Erwägungen erörtert werden, sagte Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion. "Die Verfassung ist kein Selbstbedienungsladen", sagte Beck zum Vorstoß von Glos.
Der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos hatte in einem "Stern"-Interview angekündigt, die Union wolle einen Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung bereithalten, falls Bundespräsident Horst Köhler den Bundestag nach einer gescheiterten Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 1. Juli nicht auflösen sollte. Das Recht des Bundestags zur Selbstauflösung soll demnach vorsehen, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments jederzeit Neuwahlen herbeiführen kann.
"Wir werden die SPD damit vor uns hertreiben", sagte Glos. Die Union wolle Schröder die Vertrauensfrage jedoch nicht ersparen und die Gesetzesinitiative erst danach ins Parlament einbringen.
Aber die Union ist offenbar uneins über ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments. Die CDU/CSU-Fraktion strebe gar keinen Gesetzesinitiative an, widersprach der Parlamentarische Geschäftsführer Norbert Röttgen (CDU) damit Glos im "Kölner Stadt-Anzeiger". Es sei allein Sache des Kanzlers, den Weg zu wählen, der zu Neuwahlen führen könne, sagte Röttgen. Schröder habe sich auf die Vertrauensfrage festgelegt. "Wir erwarten die Entscheidung des Bundespräsidenten mit Respekt ab", sagte Röttgen.
Schröder hatte angekündigt, am 1. Juli die Vertrauensfrage stellen zu wollen und diese nicht an eine Sachfrage zu knüpfen. Mehrere Mitglieder seines Kabinetts haben angedeutet, mit ihren Stimmen die zur Auflösung des Bundestages notwendige Abstimmungsniederlage des Kanzlers herbeiführen zu wollen.
Dieser Weg ist unter Verfassungsrechtlern aber umstritten. Bundespräsident Köhler hatte im SPIEGEL angekündigt, als Maßstab für die Entscheidung über Neuwahlen werde er den sachgemäßen Umgang mit der Verfassung anlegen.
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Gruß
Talisker
P.S.: Bsp. für die Kakophonie: Über die gerechte Verteilung von sozialen Kürzungen u.a.
http://www.netzeitung.de/wirtschaft/wirtschaftspolitik/343842.html
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LANDESPARTEITAG DER WASG IN NRW*Lafontaine überzeugt auch die meisten seiner Kritiker. Ängste vor einer Vereinnahmung durch die PDS weiß er zu zerstreuen
Die nordrhein-westfälische WASG hat 1.800 Mitglieder, fast ein Drittel der Gesamtpartei. Ihre Delegierten zwängen sich in einen Saal, der an öffentliche Stadtteil-Bibliotheken erinnert - niedrige Decke, Erdgeschoss, Fenster rechts und links. Zwei Säulen nehmen vielen die Sicht aufs Rednerpult. Der Saal ist überfüllt, etliche stehen; es sind ideale Bedingungen für Spontaneität. Auf diesem Landesparteitag, der ganz selbstverständlich dem "Reißverschlussprinzip" folgt - Frauen und Männer reden abwechselnd -, hört das erregte Gemurmel nie auf, auch wenn ein empörter Gewerkschafter dem Saal und den Leuten in seiner Nähe, die Einschätzungen austauschen, mehrfach Stille verordnet.
Werden sie Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat der Reserve-Landesliste akzeptieren? Werden sie, darin eingeschlossen, die Strategie des "Linksbündnisses" mit der PDS gutheißen? Im Vorfeld ist Widerstand angekündigt worden. Er kommt nicht so sehr von denen, die eine revolutionäre Arbeiterpartei wollen. In der Zeitung der trotzkistischen SAV wird das Bündnis zwar kritisiert, zugleich aber deutlich gemacht, dass man sich mit ihm abfinden müsse, weil es eine Eigendynamik entfalte. Die SAV hat ja einen Vorteil davon: Wenn nun auch die Kommunistische Plattform der PDS mitgenommen wird, gibt es kein Argument mehr, Trotzkisten nicht ebenfalls mitzunehmen. Nein, die dagegen sind, verstehen nicht, weshalb die Partei, die nur sozial und nicht sozialistisch sein wollte, mit dem PDS-Bündnis schon wenige Monate nach der Gründung die Identität wechselt. Doch die Parteiführung musste schnell handeln. Sie versteckt sich nicht: Als bestünde über das Linksbündnis schon Einverständnis, soll Lafontaine nicht nur Spitzenkandidat sein, sondern auch noch um 11 Uhr 30 das "Impulsreferat" halten. Er war es, der das Bündnis fast ultimativ gefordert hatte. Die WASG war weit entfernt gewesen, so etwas anzustreben. Nach kurzer Debatte stimmen die Delegierten der Tagesordnung zu.
Lafontaine redet ohne Aufregung. Wenn Schröder vor dem SPD-Parteitag spricht, würgt er die Sätze nur so heraus; man hat den Eindruck, er muss Seidenfäden aus dem Körper pressen. Lafontaine jedoch bleibt ruhig, selbst wenn er daran erinnert, dass die Menschen bei Hartz IV ihrer Rücklagen beraubt werden, obwohl man sie gleichzeitig zur privaten Altersvorsorge auffordert. Noch den Satz "Das ist ein Irrenhaus!" fügt er in einem Tonfall hinzu, als bitte er für die Krassheit um Entschuldigung. Es geht nicht darum, sich zu echauffieren. Sondern die Fähigkeit ist gefragt, Dinge knapp auf den Punkt zu bringen - je ruhiger, desto besser. Aber der Saal, der ihn teils mit Buhrufen empfangen hat, tobt jetzt vor Begeisterung. Lafontaine macht die Pferde nicht scheu, sondern sattelt sie mit Sätzen. Seine Sätze werden sich im Wahlkampf unendlich oft wiederholen lassen. Auch der von den älteren Arbeitnehmern, die 60.000 Euro eingezahlt haben, nach Hartz IV aber nur 10.000 Euro ausgezahlt bekommen. Da können die Hartz IV-Parteien noch so sehr schreien, er sei "widerlich" und ein Populist, ja ein "Rentner" - so der Bundesaußenminister, der vergessen hat, dass man gegen die Rentner keine Wahl gewinnen kann; die Zeit mag titeln, links sei er nicht, da er ja das linke Hartz IV-Projekt nicht unterstütze - es wird alles nichts nützen!
Dafür, dass er kürzlich den Ausdruck "Fremdarbeiter" gebrauchte, entschuldigt er sich lange. "Es ist richtig", sagt er, "auch die Nazis haben Deutsch gesprochen." Anders als die NPD betrachte er aber nicht die ausländischen Arbeiter, sondern die deutschen Unternehmer als Lohndrücker. Ihm gehe es auch um den Schutz der in Deutschland arbeitenden Türken. Denn für ihn sei deutsche Staatsbürgerschaft nicht ans "Blut" gebunden. Trotzdem, der Fremdarbeiter-Satz hat an seinen blinden Fleck erinnert. In Lafontaines Rede geht nichts über die nationalstaatliche Perspektive hinaus. Dass man für eine andere Regulation nicht isoliert in Deutschland, sondern mindestens in der EU kämpfen muss, kommt nicht vor. Es wäre zwar kurzschlüssig, in Lafontaine einen Nationalisten zu sehen. Denn er beruft sich auf Europa. Zu seinen schlagenden Sätzen gehören auch dieser: Hätte Deutschland Steuerquoten wie Frankreich, Österreich, Holland, dann hätten wir keine Probleme in den öffentlichen Kassen. Wären sie so hoch wie in Skandinavien, gäbe es sogar Überschüsse. Und: In Großbritannien stieg der Reallohn in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent. Dieses Europabild erspart ihm das Nachdenken über eine europäische Regulation. Aber das Bild zeigt nur westeuropäische Staaten. In den neunziger Jahren argumentierte er, das Globalisierungsgerede sei Unfug, da der deutsche Handel sich fast nur in den EU-Grenzen abspiele. Das war vor der Osterweiterung der EU. Diese scheint er noch nicht verarbeitet zu haben.
Die Fremdarbeiter-Frage stößt hier und heute auf wenig Interesse. Heute in diesem Saal fällt die Entscheidung über das "Linksbündnis". Schallt es nicht jetzt schon aus dem Medienwald zurück, Lafontaine habe sich zum nützlichen Idioten der PDS gemacht? Er begründet die Strategie mit der Wandlung zur demokratischen Partei, die die PDS in 15 Jahren durchgemacht habe, und damit, dass es schlecht wäre, wenn zwei linke Parteien miteinander konkurrierten. Statt also auf das Argument einzugehen, ein solches Bündnis stoße im Westen auf zu viel Skepsis, führt er gleich vor, wie man mit skeptischen Wählern redet. Die Kandidatur von WASG-Politikern auf der offenen PDS-Liste bedeutet ihm nur, dass die PDS als deren "Rechtsträgerin" auftrete. Die Kürze der Zeit habe es erzwungen. Vor Vereinnahmung hat er keine Angst, obwohl die andere Partei in der angestrebten Konstruktion formalrechtlich stärker sein wird - für kurze Zeit jedenfalls - als es die KPD bei der SED-Gründung war. Tatsächlich scheint die Angst aufseiten der PDS viel größer zu sein. Mit Gysi ist Lafontaine sicher einig, aber wenn Bodo Ramelow, den Wahlkampfleiter der PDS, auf die WASG schimpft, hört man viel Nervosität heraus. Vielleicht schätzt Lafontaine die Situation ganz richtig ein. Die PDS hat zwar derzeit noch viel mehr Mitglieder, aber seit das Linksbündnis angekündigt wird, sind die täglichen Neueintritte in die WASG von 60 auf 150 gestiegen. Es scheint, dass Lafontaine der Strategie folgt, durch die einst in Frankreich Mitterrand seine Partei formte: einfach linke Gruppen sammeln, die es schon gibt.
Die Debatte nach dem "Impulsreferat" ist spannend. Eigentlich haben die Gegner der Strategie recht gute Argumente. Das ist gar kein Linksbündnis, sagt einer, weil es gar kein Bündnis ist. Ein Bündnis wäre einer Wohngemeinschaft vergleichbar, die einen Mietvertrag gemeinsam unterzeichnet; bei der offenen PDS-Liste ist es aber so, dass die PDS die Vermieterin ist. Und überhaupt, was heißt hier "links"? Oder gar sozialistisch? "Wie viele städtische Wohnungen muss man privatisieren, um zum Sozialismus zu kommen?", stellt einer den rot-roten Berliner Senat in Frage. Mehrere bringen vor, die WASG habe nicht "links" sein, sondern für den Sozialstaat und die Arbeiterrechte eintreten wollen. Die Argumente der Befürworter des Bündnisses klingen oft ideologisch. Das fängt mit der Begeisterung für ein Linksbündnis schon an, bei dem vergessen wird, dass auch der Berliner Senat ein solches vorstellen sollte. Und was sollen Wähler machen, die Hartz IV ablehnen, sich aber keine linke Identität verpassen lassen wollen? Es gibt auch Argumente, die so oder ähnlich bei der SED-Gründung geklungen haben müssen: "Glaubt ihr, die sind der Löwe und wir das Kaninchen?"
So viel ist aber unideologisch wahr: Gysi ist nicht Ulbricht, es steht keine Rote Armee im Land, und es gibt viel mehr Westdeutsche als Ostdeutsche. Jetzt schon sind neun Prozent aller Wähler entschieden, dem Bündnis ihre Stimme zu geben. Bis zur Wahl dürften es mehr werden. Wenn die Gegner des Bündnisses viel Beifall erhalten, dann nur, weil es auch wichtig ist, die "Bauchschmerzen" zu betonen. Um 16 Uhr fasst man unaufgeregt den Beschluss, die WASG solle bei der Bundestagswahl nicht eigenständig kandidieren.