HANDELSBLATT, Dienstag, 27. Dezember 2005, 18:04 Uhr SPD-Finanzexperte greift Gesundheitspolitiker an
Koalition streitet über Steuergeld für Kassen
Von Peter Thelen und Karl Doemens
In der Koalition bahnt sich neuer Streit über die künftige Gesundheitspolitik an. Sozialpolitiker von Union und SPD sowie Vertreter der Krankenkassen plädierten am Dienstag dafür, die Krankenversicherung der Kinder künftig über Steuern zu finanzieren und stießen damit umgehend auf den Widerstand der Finanzpolitiker.
BERLIN. „Wir müssen, um die Krankenkassen 2007 vor einem Defizit von bis zu zehn Mrd. Euro zu bewahren, den Steueranteil an der Krankenversicherung erhöhen“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem Handelsblatt. Nach Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) sprach sich auch Bayerns Sozialministerin Christa Stewens dafür aus. Die Steuerfinanzierung von Familienleistungen sei ein Kernelement der solidarischen Gesundheitsprämie von CSU und CDU. Nun muss zügig „diskutiert werden, wie die erforderlichen Mittel aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden können“, sagte sie dem Handelsblatt.
Finanzpolitiker der Koalition sehen das anders: „Es ist immer das Einfachste, das Geld irgendwo anders herzuholen“, konterte SPD-Finanzexperte Jörg-Otto Spiller im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Davon halte ich wenig.“ Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ließ erklären, sie wolle die Reformdebatte nicht durch vorzeitige Festlegungen belasten.
Die Steuerfinanzierung der Kinderversicherung würde den Bundeshaushalt mit bis zu 14 Mrd. Euro im Jahr belasten. Deshalb sind die Finanzpolitiker alarmiert. „Wir haben in der Koalition vereinbart, die Subventionierung der Sozialversicherungen abzubauen“, betonte Spiller. Der Vorstoß bedeute das Gegenteil. Er warf den Gesundheitspolitikern vor, sie suchten einen „einfachen Ausweg, um sich vor schwierigen Entscheidungen herumzudrücken“. Offiziell lehnte das Finanzministerium jeden Kommentar ab. „Wir können uns nicht zu jeder Forderung äußern“, hieß es. Doch ist es ein offenes Geheimnis, dass Ressortchef Peer Steinbrück (SPD) die Steuerzuschüsse für die Kassen auf Null zurückfahren und für die Rentenversicherung einfrieren will.
Lauterbach fordert im Gegenteil, in einem ersten Schritt den Beschluss rückgängig zu machen, den Kassen ab 2007 den Zuschuss von 4,2 Mrd. Euro zu streichen. Außerdem sollten Arzneimittel nur noch mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belastet werden.Dadurch würde verhindert, dass die Kassen durch die für 2007 geplante Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte mit Kosten von rund 800 Mill. Euro im Jahr belastet werden. „Der mit dem Koalitionsvertrag eingeschlagene Weg, den Haushalt über die Streichung von Zuschüssen und höhere Mehrwertsteuer zu Lasten der Sozialkassen zu sanieren, darf nicht beschritten werden“, sagte Lauterbach. Die Folge seien steigende Beiträge und der zusätzliche Verlust sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Durch den Abbau solcher Jobs drohten den Kassen ohne Reform allein 2007 Mindereinnahmen von drei Mrd. Euro.
In dieser Größenordnung bewegten sich auch die Summen, die die Kassen jährlich durch den Wechsel von jungen, gut verdienenden Versicherten in die private Krankenversicherung (PKV) verloren gingen. „Deshalb darf die PKV bei der Reform nicht ausgespart werden.“ Durch eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze auf 5 200 Euro im Monat will Lauterbach die Abwanderung von Besserverdienern in die PKV stoppen. Die Vorstandsvorsitzende der Ersatzkassen, Doris Pfeiffer, fordert sogar eine Abschaffung der Versicherungpflichtgrenze. „Die Steuerfinanzierung der Kinder bringt uns wenig, wenn nicht gleichzeitig sichergestellt wird, dass künftig alle Arbeitnehmer gesetzlich versichert sein müssen“, sagte sie dem Handelsblatt.
Die Union lehnt jeden Eingriff in die PKV bislang ab. „Ich kann ihr nur raten, neu nachzudenken“, appellierte Lauterbach an die Union „Sie muss sich entscheiden, ob sie eine Klientelpartei der Apotheker und Ärzte sein will wie die FDP oder Politik für die 90 Prozent der Bevölkerung machen will, die gesetzlich versichert sind.“
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