Aktien Dax steht vor Bewährungsprobe Viele Charttechniker bewerten den jüngsten Index-Anstieg als Strohfeuer. Warnung vor selektiver Wahrnehmung Von Beatrix Fricke
Berlin - Die überraschend starke Aufwärtsbewegung des deutschen Leitindex in der Vorwoche hat bei vielen Börsianern den Optimismus geschürt. Die Mehrheit der fundamental ausgerichteten Aktienstrategen prophezeit - vor allem in Erwartung fortgesetzt positiver Nachrichten im Zuge der Quartalsberichtssaison - weitere Kursgewinne. Deutlich weniger zuversichtlich präsentieren sich indes die Charttechniker und Börsenpsychologen. Sie rechnen eher mit nachgebenden Notierungen.
"Die dynamische Bewegung der letzten Tage dürfte auslaufen", lautet etwa die Prognose der Charttechniker bei der WGZ Bank. Nicht nur, dass sich die Indikatoren im überkauften Bereich bewegten - zudem rangiere der Dax vor seinem massiven Widerstand bei 5730 Punkten, der einen weiteren Anstieg nur wenig wahrscheinlich mache. Vielmehr sei nun eine zyklische Abwärtsbewegung zu erwarten, die sich über mehrere Wochen erstrecken und den Dax in einen Korridor zwischen 5150 bis 5240 Punkten führen könne. Ähnlich beurteilt Martin Siegert von der Landesbank Baden-Württemberg die Lage. "Der jüngste Dax-Anstieg ist als Teil einer Korrektur nach oben zu bewerten, die den Index im besten Fall bis auf 5870 Zähler hieven könnte", sagt er. "Doch zeigt die Bewegung insgesamt so wenig Dynamik, dass ich eher auf eine baldige neuerliche Abwärtsbewegung tippe." Als Haltemarken macht Siegert dabei 5244 beziehungsweise 5100 Punkte aus. Dies entspräche vom jetzigen Indexniveau aus einem Verlust von rund zehn Prozent.
Die skeptische Sichtweise ist umso erstaunlicher, als die jüngste Rallye den Dax eigentlich in eine komfortable Lage gebracht hat. "Dank der Kursgewinne am vergangenen Freitag hat es der Index geschafft, aus einer Dreiecksformation auszubrechen", erläutert Jörg Scherer, technischer Analyst bei HSBC Trinkaus & Burkhardt. In der Grafik ist die obere Dreiecksbegrenzung als "kurzfristiger Abwärtstrend" gekennzeichnet. Schafft es ein Index, einen solchen Widerstand zu überwinden, ist laut Lehrbuch mit weiter steigenden Kursen zu rechnen. Und nicht nur das: Zugleich erkennt der HSBC-Experte im Chartbild eine inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation, die als klassische Umkehrformation gilt und weitere Kursgewinne andeuten könnte. Dafür müsse es der Dax allerdings unbedingt schaffen, die so genannte Nackenlinie zu halten, die bei 5689 Zählern verlaufe, betont Scherer. "Gelingt dies, könnte der Index aus diesen Formationen heraus einen Angriff auf sein altes Jahreshoch bei 6162 Punkten starten."
Allerdings macht auch der HSBC-Charttechniker einen Wermutstropfen aus, der das freundliche Szenario stört. "Die Umsätze auf dem Parkett sind sehr mau und im August ist an der Börse meist erst recht Lethargie angesagt", so Scherer. Um die Kursziele tatsächlich zu erreichen, sei der Dax daher wohl auf Rückenwind angewiesen. Ein "buy trigger" könne dabei ein charttechnisches Kaufsignal von Seiten der US-Indizes sein. Scherer rät, den S & P zu beobachten. "Knackt er nachhaltig die Marke von 1280 Zählern, dürfte sich das hierzulande positiv auswirken."
Grundsätzlich gilt, dass sich Investoren bei ihren Anlageentscheidungen von kurzfristigen Marktbewegungen nicht zu sehr beeindrucken lassen sollten - genauso, wie Kommentare stets gründlich hinterfragt werden müssen. Denn oft wiesen sie auf das Gegenteil dessen hin, was sie eigentlich aussagten, warnt Conrad Mattern, Vorstand der Vermögensberatung Conquest Investment, die sich auf die Psychologie der Finanzmarktakteure (Behavioral Finance) spezialisiert hat. "Mit den starken Kursgewinnen ist die Medienberichterstattung mit bullishem Tenor nach oben geschossen", hat Mattern beobachtet, "zugleich hat die Risikoaversion abgenommen." Dies deute auf einen klaren Anstieg der Sorglosigkeit hin - womit das negative Überraschungspotential merklich zugenommen habe.
So will Mattern zwar nicht ausschließen, dass der Dax kurzfristig weitere Gewinne generiert. Doch erwartet er noch in diesem Sommer ein Abtauchen des Index unter 5200 Punkte und empfiehlt daher, auf sinkende Kurse zu setzen. Die aktuell gute Börsenstimmung fußt seines Erachtens auf einer selektiven Wahrnehmung positiver Nachrichten, während negative News von der Konjunkturseite ignoriert würden. "Der Markt ist in Urlaubslaune", vermutet Mattern: "Im Sonnenuntergang am Strand erscheint einem ein mäßiger Wein auch als köstlicher Tropfen."
Artikel erschienen am Di, 1. August 2006
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