haben alle auch Vorschriften, die den nach unserem Verständnis weltlichen Bereich betreffen. Im christlich geprägten Teil der Welt ist der Umfang dieser Vorschriften am geringsten, im Islam ist er am höchsten.
Auch aus der Bibel lassen sich weitgehende weltliche Vorschriften ableiten. Aber, wie so oft bei dicken Büchern, kann man auch Stellen finden, die in anderer Weise auslegbar sind. Das hat dazu geführt, daß das Christentum viele dieser Vorschriften relativiert hat. Zusätzlich hat das Christentum auch eine weltliche Macht neben der geistlichen anerkannt ("Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist"). Das Christentum hat außerdem erkannt, daß viele aus der Bibel harausinterpretierte Vorschriften nicht originär religiösen Ursprungs sind, sondern eigentlich weltliche Regeln, die sich aus der Zeit ihrer Entstehung erklären lassen und deshalb in unserer Zeit obsolet sind. Beispiel hierfür ist das Schweinefleischverbot.
Das Christentum hat gelernt, daß seine Schriften interpretiert werden müssen, und daß in diese Interpretation der gesamte Spielraum, den die Schriften bieten, einbezogen werden kann. Der Islam ist heute noch nicht so weit. Die herrschenden Meinungen im Islam legen den Koran unter deutlicher Bevorzugung passender Stellen in einer Weise aus, die eine Trennung von weltlicher und religiöser Macht ausschließt. Bestimmte religiöse Vorschriften des Koran werden als absolut interpretiert und zwar auch dann, wenn sich selbst aus dem Koran eine abweichende Interpretation herauslesen ließe.
Dies führt natürlich zu Konflikten mit der realen Welt. Das Christentum versucht mit mehr oder weniger Erfolg, diese Konflikte durch Diskussion, ggfs. auch durch Anpassung zu überwinden. Der Koran hat für dieses Konfliktproblem nur die Lösung der im Koran ausdrücklich erlaubten "Verstellung", soweit es sich um Konflikte mit oder in der christlich geprägten Welt handelt. Dort, wo es sich um Konflikte aus anderen Gründen handelt (Beispiel: ein Kranker darf auch während des Ramadans essen), gibt es so eine Art allgemeiner Dispens-Regelung. Beiden Regelungen gemeinsam ist aber, daß sie den Kern der religiösen Vorschriften nicht ändern. Sie sind Ausnahmeregelungen, die nur im Notfall angewendet werden dürfen.
In dem Anspruch des Islam, auch das weltliche Leben in allen Details nach den Vorschriften des Koran (genauer: nach dessen derzeit herrschender Auslegung) zu regeln, liegt das eigentliche Konfliktpotential mit der westlichen Welt. Solange dieser Anspruch nicht aufgegeben wird, ist dieses Problem auch nicht lösbar. Lösbar ist es erst dann, wenn sich in den herrschenden Lehrmeinungen des Islam die Auffassung durchsetzt, daß es eine Unabhängigkeit der weltlichen Macht von der religiösen Macht geben sollte. Dies kann dadaurch erreicht werden, daß in die Interpretation des Koran auch andere Stellen als die bisher bevorzugten hineingezogen werden.
Um das zu erreichen, muß man diejenigen Kräfte im Islam stärken und ermutigen, die einer solchen Interpretation gegenüber aufgeschlossen sind. Eine Totalablehnung "des Islam" ist da vollkommen kontraproduktiv. Eine kriecherische Anbiederung oder eine rituelle Verdammung christlichen Denkens aber auch.
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