SPD VOR DER ZERREISSPROBE
Eiserner Kanzler, Kriegskredite, Ermächtigung
Von Markus Deggerich
Die Regierungspartei SPD steht vor der schwierigsten Entscheidungen ihrer jüngeren Geschichte, die weitreichende Folgen für die Zukunft der Sozialdemokratie haben kann. DPA Eiserner Kanzler: Gerhard Schröder Berlin - Der sozialdemokratische Bundeskanzler fordert einen Vertrauensvorschuss. Gerhard Schröder verlangte am Mittwoch von seiner Fraktion und der Partei einen Kriegs-Kredit an vorauseilender Zustimmung: "Ich wünsche und erwarte eine eigene Mehrheit", hatte der Kanzler schon am Vortag eisern verkündet. Schröder verlangt, dass ihn der Deutsche Bundestag ermächtigt, deutsche Waffen und Soldaten für den Anti-Terror-Krieg bereitzustellen - mit unbekanntem Ziel. Doch diese und kommende Woche im Bundestag und direkt danach auf dem Bundesparteitag stehen die Sozialdemokraten mit ihrer Haltung zu deutscher Beteiligung an einem unkalkulierbaren Krieg vor einer Zerreißprobe.
Die Sozialdemokraten stellen die größte Fraktion im Bundestag. Sie sind verantworten die Hauptlast einer Entscheidung, die Schröder zu Recht "historisch" und eine "Zäsur" nennt. Unabhängig davon, wie sich der grüne Koalitionspartner verhalten wird, deren Stimmen sich Schröder wie bei der Mazedonien-Entscheidung im Zweifelsfall auch bei der willfährigen FDP oder den Konservativen holt, muss die SPD Farbe bekennen.
"Sonst können wir dem nicht zustimmen"
In der Fraktion hatte es bereits am Dienstag differenzierte Stimmen zur geplanten Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten gegeben. Fraktions-Vize Gernot Erler, der in einer ersten Stellungnahme die amerikanische Taktik kritisch hinterfragte, stellte klar, dass der jetzige Beitrag "angemessen" sei. Jedoch müsse die Kommandobefugnis für die angeforderten Soldaten klar in deutschen Händen liegen. "Es kann nicht passieren, dass wir uns plötzlich in Operationen wiederfinden, wo wir sagen: Da können wir nichts dafür, da sind wir reingeraten", sagte Erler. Die Fraktion müsse klipp und klar wissen, wo die Bundeswehr eingesetzt werden soll und wie lange sie da sein soll: "Sonst können wir dem nicht zustimmen."
Wenn dieser Maßstab gilt, werden die Roten ihrem Kanzler nicht helfen dürfen. Denn genau diese Informationen lässt der vom Kabinett am Mittwoch beschlossene Antrag an den Bundestag vermissen. Schröder war eigens in die Fraktionssitzung geeilt, um für seine außenpolitische Linie zu werben. Er sei nur kühl und mit kurzem Applaus empfangen worden, berichtet ein Teilnehmer. Fraktionschef Peter Struck versuchte die Situation zu retten, indem er den Kanzler lobte, "der bis an die Grenze der Erschöpfung in aller Welt Kriegsdiplomatie betreibt." Damit habe Struck dann doch noch wärmeren Applaus für den Regierungschef rauskitzeln können. Schröder schickte sodann seine Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul vor, die von der humanitären Katastrophe in Pakistan und Afghanistan berichtete und damit versuchte, einem deutschen Militäreinsatz ein menschliches Antlitz zu geben, dem man getrost zustimmen kann.
SPD-Abgeordnete hielten sich am Mittwoch mit öffentlichen Äußerungen zurück. Aber hinter den verschlossenen Türen der Fraktion gab es kritische Fragen, ob die Strategie der Amerikaner richtig ist. Im Mittelpunkt steht das Unbehagen über Mangel an Informationen. Weder Taktik, noch Mittel und Ziele der Allianz sind bekannt. Zur Erleichterung vieler Abgeordneter muss in dieser Woche allerdings auch noch nicht abgestimmt werden. Auf strikten Ablehnungskurs geht bei der SPD öffentlich bisher nur der Abgeordnete Uwe Jens. Er hatte schon am 19. September jener Bundestagsentschließung die Zustimmung verweigert, mit der das Parlament die grundsätzliche Bereitschaft zur Beteiligung an der militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus offerierte. "Mit Sicherheit keine eigene Mehrheit" Noch herrscht gespannte Ruhe in der Fraktion. Wegen des vermeintlichen Widerspruchs in den Aussagen von US-Verteidigungsminister Rumsfeld und Schröder über die amerikanische Anforderung, gab es zunächst auch in der SPD-Fraktion Irritationen. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Detlef von Larcher, bat am Mittwoch in einem Schreiben an Fraktionschef Peter Struck vergeblich, den Kabinettsbeschluss zu stoppen. Nach den Äußerungen von Rumsfeld werde es dafür im Bundestag "mit Sicherheit keine eigene Mehrheit" geben, schrieb von Larcher. Doch genau die hat Schröder bereits unmissverständlich gefordert. Bekommt er sie nicht, müsste er eigentlich die Vertrauensfrage stellen. "Ich selbst kann unter den Umständen nicht zustimmen", schrieb von Larcher. Diesen Brief zog er zurück, nachdem er über Rumsfelds spätere Äußerung informiert worden war, wonach die US-Generäle doch konkrete Aufgabenbereiche benannt haben, für die sie deutsche Unterstützung anfordern. Aber die SPD-Strategen sind sich sicher, dass die Partei-Linke ihre Bedenken nur auf Eis gelegt hat. Druck von der Basis Denn Druck kommt auch von der Basis, mit der Schröder sich vergangene Woche bereits hochmütig angelegt hatte. Der SPD-nahen IG Metall beschied er barsch, sie solle sich um ihre Mitglieder kümmern, nicht um Außenpolitik, als die Gewerkschafter es wagten, eine Feuerpause zu fordern. Schröders harte Linie, zu der er bedingungslosen Gehorsam verlangt, erinnert manchen Sozialdemokraten schon an den eisernen Reichskanzler Bismarck. Der hatte gesagt: "Historisch notwendiges entscheidet man nicht mit Debatten und Mehrheiten, sondern mit Eisen und Blut." So drastisch formuliert es Schröder nicht. Er sagt aus "staatspolitischer Verantwortung": "Erst das Land, dann die Partei" und macht dabei für viele Sozialdemokraten gleichzeitig den Eindruck: Der Staat bin ich. Die Rückkehr von Lafontaine Sein alter Rivale Oskar Lafontaine, eigentlich persona non grata in der SPD, nutzte gleich die Chance, sich in Erinnerung zu rufen: "Das Ganze ist nicht durchdacht, teilweise ist auch Wichtigtuerei im Spiel", kritisierte Lafontaine den Kurs der Bundesregierung. Der Tod unschuldiger Menschen in den USA könne nicht "durch den Bombentod unschuldiger Afghanen gesühnt werden". Als Parteivorsitzender würde er deutlich machen, "dass die SPD noch in der Tradition von Willy Brandt steht". Andererseits will sich die SPD nie wieder vorwerfen lassen, sie verkenne das staatspolitisch notwendige, das nationale Interesse und sei ein "vaterlandsloser Verein."
Die Geschichte der SPD, die Lafontaine geschickt beschwört, gibt Hinweise auf die Dimension der Entscheidung, vor der die Partei steht - mit unabschätzbaren Folgen für die Zukunft der Sozialdemokratie. Als nach Beginn des Ersten Weltkriegs die SPD unter dem Eindruck der nationalen Hochstimmung am 4. August 1914 im Reichstag geschlossen für die Kriegskredite zur Landesverteidigung stimmte, war das der Beginn ihrer Spaltung. Schon damals hatten sich 14 Abgeordnete parteiintern gegen die Kredite ausgesprochen, sich bei der Abstimmung des Reichstags aber der Fraktionsdisziplin gebeugt. Zudem verpflichtete sich die SPD mit dem so genannten Burgfrieden, für die Dauer des Krieges auf jede Auseinandersetzung mit den anderen Parteien sowie auf jegliche Agitation gegen die Reichsregierung zu verzichten. Die Konsequenz war 1917 die Abspaltung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) unter Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aus der später die KPD hervorging. Angst in der Parteizentrale Im Willy-Brandt-Haus macht sich die Sorge breit, dass sich heute wieder viele Wähler und Mitglieder durch den Krieg polarisiert an ihr linkes Herz erinnern und die Neue Mitte verlassen. Egal ob die sich dann PDS nennen oder "Attac", oder unter der Führung Lafontaines den innerparteilichen Putsch versuchen: Auf die SPD kommen turbulente Zeiten zu, ausgerechnet in einer Phase, in der sich ihr Vorsitzender immer weiter von der Basis entfernt. Auf die Sozialdemokraten könnten nun die heftigsten Wochen seit der Wiedervereinigung zukommen, in denen sie die Weichen für ihre Partei in einer veränderten Welt neu stellen müssen. Höhepunkt dieser Auseinandersetzung dürfte der Parteitag ab dem 19. November werden, wenn sich Schröder und Co. der Basis stellen müssen. Der Ort des Geschehens ist berüchtigt für historische Parteitage: Nürnberg.
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