'); // --> SPIEGEL ONLINE - 21. März 2004, 9:02 URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,291679,00.html Truppenparade zum Irak-Jahrestag "Ich bin froh, dass ich da weg bin"
Aus Heidelberg berichtet Claus Christian Malzahn Beim Sturm auf Bagdad trug das V. US-Korps die Hauptlast. Doch den Helden mit Hauptquartier in Heidelberg ist zum Jahrestag des Irak-Einmarsches nicht zum Jubeln zumute. Die Zeremonie mit Blasmusik geriet zur routiniert abgespulten PR-Show. Im kleinen Kreis unter Soldaten fällt der Rückblick auf den Feldzug wenig glamourös aus. Heidelberg - Unteroffizier Michael Matthews macht seine Sache gut. Tapfer, ohne Anzeichen von Nervosität, blickt er in die Kameras. Jede noch so blöde Frage pariert er ohne Stottern oder verlegene Pausen.
| APAufmarsch zum Jahrestag: Das V. Korps der US Armee in Heidelberg | Die in Heidelberg stationierte Führung des V. Korps der US-Armee - einer legendären Einheit, die schon bei der Landung in der Normandie dabei war, hat Soldat Matthews am Wochenende an der Pressefront in Deutschland in Stellung gebracht. Keine leichte Aufgabe. Aber Matthews wankt nicht. Er sagt Sätze wie: "Es war hart. Männer haben geschluchzt wie Babys, weil sie keine Beine oder Arme mehr hatten." Dann macht Soldat Matthews eine Pause und die Journalisten haben keine Fragen mehr.
Michael Matthews hatte Glück, Arme und Beine sind noch dran. Ihm musste man nach einer Explosion in Bagdad nur ein paar Splitter aus dem Körper ziehen. Es ist unklar, ob Matthews Konvoi angegriffen wurde oder ob sein Humvee über eine Mine fuhr. Jedenfalls knallte es furchtbar, dann verlor der farbige Texaner sein Bewusstsein, und als er Tage später im Armeekrankenhaus wieder aufwachte, haben ihm hohe Offiziere die Purple-Heart-Medaille um den inzwischen vernarbten Hals gehängt, die höchste Tapferkeitsauszeichnung der amerikanischen Armee.
Deswegen steht Matthews jetzt in seiner Wüstenuniform vor dem Exerzierplatz des Hauptquartiers vom V. Korps in Heidelberg und erzählt den Journalisten ein bisschen vom Krieg. Bevor die Zeremonie, die man vorsichtshalber nicht Siegesfeier genannt hat, auf dem roten Sandplatz beginnt, baut sich auch General Ricardo S. Sanchez vor einem Mikrofon auf. Im Hintergrund steht ein grüner Sherman-Panzer, das macht sich gut im Bild. Sanchez musste im vergangenen Jahr den Journalisten in Bagdad erklären, warum den US-Patrouillen im befreiten Irak ständig die Konvois um die Ohren fliegen. Der General bemühte damals sich stets zu lächeln. Das tut er auch heute.
Die Opfer sieht man nicht in Heidelberg
Auch die Frage nach dem Rückzug der Spanier bringt ihn natürlich nicht aus dem Konzept. "Das kriegen wir schon hin", kommentiert er lässig die Fahnenflucht der Alliierten von Madrid. Ansonsten, erklärt Sanchez, sei der Irak "heute ein besserer Ort als vor einem Jahr." Doch sein Statement könnte etwas überzeugter rüberkommen. Dann spricht er noch ein paar Worte an die "Familien der Soldaten, die unheimlich große Opfer bringen mussten." Das stimmt. Aber verletzte Soldaten mit Brandwunden im Gesicht, zu Krüppeln geschossene Veteranen oder auf Krücken daher humpelnde Kämpfer, denen nach einer Attacke ein Bein oder ein Arm amputiert wurden, sieht man heute nicht in Heidelberg.
Stattdessen marschieren jetzt, stellvertretend für die Einheiten des V. Korps, zwölf je etwa 50 Mann starke Kolonnen mit wehenden Fahnen auf den Sandplatz: Pioniere, Grenadiere, Infanteristen, Fallschirmjäger, Militärpolizisten - alle "Units" eben, die das Korps zu bieten hat und die vor einem Jahr dabei waren. Eine Militärkapelle spielt erst die deutsche, dann die amerikanische Nationalhymne. Die Soldaten salutieren, die Zivilisten erheben sich von ihren gepolsterten Plätzen und legen die Hand aufs Herz.
Doch trotz der Feierlichkeit wirken die Akteure der Veranstaltung merkwürdig müde. Die Fahnen flattern unter einem schwarzgrauen Himmel munter im Wind, lebendiger wird es hier heute nicht mehr. Fast scheint es, dass alle Teilnehmer diesen Jahrestag so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen. Denn das "V" des fünften Korps steht ein Jahr nach dem Beginn des Krieges eben nicht für Victory, wie es die Offiziere und Soldaten, die mit etwa 10.000 Männern und Frauen in den Irak einmarschierten, aus der Geschichte ihrer Einheit gewohnt sind. Das V. Korps hat noch keine Schlacht verloren. Aber wie soll man einen Gegner besiegen, der sich gar nicht zeigt, der Autobomben vor Hotels und Moscheen zündet und Minen auf Marktplätzen vergräbt? Auch heute, beim Ringelpietz mit Böllerschüssen in Heidelberg, werden kein General Sanchez und kein Unteroffizier Matthews diese entscheidende Frage beantworten.
Nils Gransberg dagegen grübelt darüber schon lange nach. Der Unteroffizier gehörte bis vor kurzem zum V. Korps; den Krieg hat er als Fahrer eines hohen Offiziers mitgemacht. Seine Familie stammt von norwegischen Einwanderern ab; seit den amerikanischen Freiheitskriegen 1776 kämpfte je ein männliches Familienmitglied in der Armee. Die Gransbergs waren überall dabei. Im Bürgerkrieg (auf Seiten der Nordstaaten), im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, in Korea, Vietnam, im Kosovo und zweimal im Irak. Niemals ist ein Gransberg je im Krieg ums Leben gekommen, "so ist unsere Familientradition", hat er mir vor einem Jahr erklärt.
Ich habe Gransberg im Irak kennengelernt. Er gehörte zu den Panzerpionieren, die ich während des Marsches auf Bagdad im Auftrag des SPIEGEL begleitete. Bei Nadschaf teilten wir uns ein Zimmer in einer notdürftig eingerichteten Kaserne. Gransberg, ein junger Mann mit einem offenen Gesicht, hat manchmal im Schlaf gesprochen, so laut, das er mich geweckt hat - aber das war nicht schwer, denn im Krieg schläft man nie besonders tief. Er hat sich unruhig auf seiner Pritsche hin und her gewälzt und gerufen: "Yes Sir. Very well Sir. No Sir. Hua, Sir!"
Kritik an Bush, aber Glaube an einen gerechten Krieg
Wie fast alle US-Soldaten hat Gransberg geglaubt, dass der Krieg mit dem Sturz der Statur von Saddam Hussein Anfang April 2003 zu Ende sei. Kaum jemand hielt es damals für möglich, dass der Horror jetzt erst richtig los geht und sich US-Soldaten auf Bagdads Straßen bald fühlen würden wie Enten in einem Jagdgebiet. Dieser Mangel an realistischer Lageeinschätzung und Planungssicherheit, der eine erhebliche Schwachstelle in der Strategie der politischen und militärischen Führung der USA offenbarte, nagt bis heute am Selbstbewusstsein der Truppe. Soldaten haben für alles ein Regelwerk; sogar das Pinkeln an der Front wird vorschriftsmäßig abgewickelt. Aber gegen Guerillakrieg ist kaum ein Kraut gewachsen. Das macht diesen Krieg im Irak so unheimlich, und deshalb ist das fahnenflatternde Grinsen in Heidelberg nur ein armseliger Versuch, von den Problemen abzulenken.
Nach seiner Entlassung im Oktober 2003 hat Gransberg sofort geheiratet. Viele Soldaten tun so etwas nach dem Krieg: Heiraten, eine Wallfahrt machen, Kinder bekommen. Solche Sachen nimmt man sich im Krieg vor. Oder besser: in ganz bestimmten Situationen während des Krieges, von denen man glaubt, dass man sie wahrscheinlich nicht überlebt und deshalb Stoßgebete in den Himmel schickt.
Vor kurzem habe ich Gransberg wieder gesehen. Wir hatten uns abends zum Essen verabredet. Ich wollte wissen, wie er diesen Krieg, bei dem er zweimal nur knapp dem Tod entronnen war, heute beurteilt.
Wir trafen uns in einem italienischen Restaurant in Hanau, dort sind die US-Panzerpioniere des 130. Bataillons stationiert. Nils brachte drei Freunde mit, die auch gerade aus dem Irak zurückkehren durften. Ich fragte sie, ob sie nicht verraten wurden von ihrem Präsidenten. Schließlich wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Und vom täglichen Terror wird die Armeeführung immer wieder kalt erwischt - die normalen GIs müssen es ausbaden.
Aber Soldaten versuchen offenbar immer an ihren Krieg zu glauben, auch wenn er vielleicht aus den falschen Gründen geführt wurde. Ein Freund von Nils sagte: "Besser, wir bekämpfen die Terroristen im Irak, als wenn sie alle in die USA kommen und sich da in die Luft jagen." Doch er schien selbst nicht völlig von seiner Fliegenfänger-Theorie überzeugt zu sein. Jedenfalls meinte er plötzlich: "Ach, verdammt, ich weiß auch nicht. Ich bin jedenfalls froh, dass ich da weg bin." George W. Bush hat in der Armee an Sympathie verloren. "Ich wähle beim nächsten mal die Demokraten", sagte einer der Soldaten.
"Die Rakete ist nicht explodiert"
Viele US-Militärs glauben, dass der Blitzkrieg von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu schnell war. "Einige irakische Einheiten haben wir auf dem Vormarsch auf Bagdad links liegen lassen. Denen hätten wir uns stellen müssen. Heute haben wir den Salat!", kritisierte ein anderer. "Wir hatten zu wenig Truppen in Kampfbereitschaft. Die Nachschublinie war zu lang und deshalb verwundbar. Rumsfeld ist immer nur rumgelaufen und hat gesagt: Keep it cheap!", bemängelt ein weiterer Soldat.
Kritik an Bush und seiner Administration ist in der Truppe durchaus verbreitet. Aber grundsätzliche Zweifel am Krieg und der Besatzung? Fehlanzeige. Auch die Soldaten, mit denen ich in Hanau sprach, würden alle in den Irak zurückkehren, wenn sie einen Marschbefehl dazu erhielten. Keiner hatte den Eindruck, einen ungerechten Krieg geführt zu haben. "Saddam war ein Diktator, es ist gut, dass er weg ist," sagte Nils.
Plötzlich malte er eine Skizze von seinem Humvee auf eine Papierserviette. Ich kannte den Wagen, ich war ja oft genug mitgefahren. ""Sie standen oben auf einer Brücke", sagte Nils, "etwa zehn Mann, alle vermummt." Acht oder neun Raketen hätten sie abgefeuert, eine traf unseren Humvee. Die Rakete schlug hinten ein, genau in das Rücklicht; die flog dann am Tank vorbei und trat vorne durch den Scheinwerfer wieder aus. Das war Anfang Mai 2003, nördlich von Bagdad.
Aber Gransberg ist noch am Leben. "Die Rakete ist nicht explodiert", ergänzte er. Ein Wunder? Zufall? Vorsehung? Aus der Sicht eines Soldaten liegt das manchmal dicht beieinander. Wie wird Gransberg damit fertig? "Redest Du noch im Schlaf?", frage ich. Gransberg lacht erstaunt. "Tue ich das?"
Nils Gransberg ist 23 Jahre alt und bereits ein Kriegsveteran. Er lebt heute als Student einer Militärakademie im Staat Washington und bemüht sich, möglichst wenig an die Tage im Irak zu denken, an denen er beinahe seine Familientradition verraten musste.
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