Hamburg Räuber Armend (12) jetzt im geschlossenen Heim
Kindergangster ohne Richterbeschluss eingewiesen.
Senator Schill würde den Jungen gern ausweisen.
Von Christian Denso, Ralf Nehmzow
Als der Fall an die Öffentlichkeit gelangte, ging plötzlich alles ganz schnell: Nun handelten die Behörden. Armend E., der zwölf Jahre alte Junge aus Bahrenfeld, als Räuber und Dieb seit seinem neunten Geburtstag polizeibekannt (wir berichteten), ist gestern kurz vor 17 Uhr in das geschlossene Heim an der Feuerbergstraße (Alsterdorf) eingewiesen worden - ohne Beschluss eines Familienrichters. Begründung der Sozialbehörde: eine "dringende Gefahr" für das Kind und "Leib und Leben Dritter".
Der Fall des zwölfjährigen Armend E. hat in Hamburg eine heftige Debatte ausgelöst. Innensenator Ronald Schill (44) beklagte gestern, dass man den gebürtigen Kosovaren nicht abschieben könne. Grund: Die Bundesregierung hat einen Abschiebestopp in den Kosovo verfügt. "Ich würde ihn sofort ausweisen, wenn dies rechtlich möglich wäre", sagte Schill. Auch der Rechtsausschuss der Bürgerschaft überlegt, sich mit der Intensivkriminalität von jungen Tätern zu befassen.
Schill sprach sich erneut dafür aus, die Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre herabzusetzen - was nur bundeseinheitlich möglich wäre. "Unsere alte Forderung knüpft an die Erkenntnis an, dass die Gewaltkriminalität von unter 14-Jährigen stark zugenommen hat." Sonst, so Schill, würden vor allem "gleichaltrige Opfer dem Verbrechen schutzlos ausgeliefert." Justizsenator Roger Kusch (48, CDU) und der FDP-Fraktionsvorsitzende Burkhardt Müller-Sönksen (43) sagten dagegen, bestehende Gesetze müssten nicht verschärft, sondern nur konsequent angewendet werden. Kusch: "Man kann nicht erwarten, dass der Staat von vornherein alles Schlimme verhindern kann." Müller-Sönksen, zugleich Vorsitzender des Rechtsausschusses, forderte zudem, kritisch zu prüfen, ob es Versäumnisse in dem Fall gebe. "Hätte man ihn eher aus dem Verkehr ziehen können und müssen?"
Nach der jüngsten Hamburger Kriminalitätsstatistik ist die Jugendkriminalität zwar 2002 im Vergleich zum Vorjahr um 19,1 Prozent auf 27 652 Straftaten gesunken. Noch immer registriert die Polizei aber knapp 400 junge Intensivtäter. Mehr als ein Drittel aller Gewalttäter (2002: 5667 Verdächtige) fallen unter Jugendrecht. Etwa drei Viertel aller Straßenräuber waren noch keine 21 Jahre alt - erschreckende Zahlen für einen Bereich, in dem die Dunkelziffer als hoch gilt.
Jugendkriminalität ist immer noch Jungenkriminalität, auch wenn Mädchen anscheinend immer öfter vergleichsweise brutal vorgehen. Und: Bei Jugenddelikten begehen wenige Täter viele Taten - zuletzt 3,6 Prozent der unter 21-Jährigen allein 22,3 Prozent der Delikte. Polizei und Staatsanwaltschaft reagieren mit diversen Konzepten, bearbeiten etwa die Akten von Mehrfachtätern zentral von nur einer Dienststelle und einem Staatsanwalt, um näher am Fall zu sein. Bürgernahe Beamte, die so genannten "Cop4U" (Cop for you), sollen Ansprechpartner in Schulen sein, Polizisten kommen zum Präventionsunterricht. Auch die Gerichte urteilen seit dem Regierungswechsel härter: Sie verhängten häufiger Jugendstrafen ohne Bewährung. So erhielten im vergangenen Jahr 321 Jugendliche eine Strafe ohne Bewährung, fast doppelt so viel wie 2001 (180).
Bei Kindern allerdings kann die Polizei bis zu deren 14. Geburtstag Taten nur registrieren: 2002 immerhin 3151 Verdächtige. 914 besonders Auffällige haben Ermittler seit Januar an das Familieninterventionsteam (FIT) der Sozialbehörde gemeldet - wie am Dienstag den Fall Armend E. Das FIT, das den Jungen noch am selben Vormittag zu Hause aufsuchte, soll wegen dieser unerwartet hohen Zahl jetzt noch einmal kurzfristig von 13 auf 18 Mitarbeiter aufgestockt werden, kündigte die Sozialbehörde an.
Für die Härtefälle unter den Kinder-Kriminellen gibt es das geschlossene Heim - dort, wo das zwölf Jahre alte Kind jetzt mit zwei 14-Jährigen sitzt.
erschienen am 17. Jul 2003 in Hamburg
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