Das Problem der Russland-Investoren ist für viel mehr Kleinanleger relevant, als es scheint Deutsche Kleinanleger bleiben auf ihren Zertifikaten auf russische Originalaktien sitzen. Das ist ein generelles Problem dieser „ADRs“. Eine Schutzfunktion von Aktien fällt dadurch weg. Andreas Neuhaus 15.08.2022 - 12:32 Uhr „Pech gehabt“, könnte man sagen. Wer als deutscher Kleinanleger in russische Aktien investierte, hat seit dem Kriegsbeginn ein Problem: Er hält nicht die Originalaktien, sondern Hinterlegungsscheine auf selbige, sogenannte ADRs. Und die sind seit Anfang März nicht mehr handelbar. Nun versuchen die Anleger verzweifelt, ihre ADRs in Originalaktien zu tauschen – meistens vergeblich.
Auf den ersten Blick ist das ein isoliertes Problem einer Gruppe, von der niemand weiß, wie groß sie genau ist, und die auch kaum eine Lobby hat. Schließlich hat Russland die Krim bereits im Jahr 2014 annektiert. Jeder Anleger hätte ahnen müssen, dass hier beträchtliche Risiken lauern, sagen Kritiker.
Auf den zweiten Blick ist das Problem aber für viel mehr Anleger relevant: nämlich für alle, die generell ADRs halten.
ADRs sind eigentlich praktisch: Sie machen Aktien von ausländischen Unternehmen handelbar, die nicht über ein Zweitlisting an den entsprechenden Börsen verfügen. Dafür kauft eine Bank die Auslandsaktien, legt sie in das Depot bei einer Bank des entsprechenden Landes und gibt hierauf die American Depositary Receipts (ADR) genannten Zertifikate heraus.
Das hat bislang so wunderbar profitiert, dass vielen Anlegern gar nicht bewusst war, dass sie keine Aktien halten, sondern Zertifikate. Der Handel war liquide, sie hatten Stimmrechte und bekamen eine Dividende ausgeschüttet.
Jetzt funktioniert das für Russland-Anleger nicht mehr, weil sie durch die Sanktionen im Ukrainekrieg vom russischen Kapitalmarkt ausgeschlossen sind. Und das ist kein rein russisches Phänomen, sondern kann theoretisch bei den ADRs aus jedem Land passieren.
Deutsche Anleger halten China-ADRs, keine Originalaktien China-Anleger sollten sich beispielsweise fragen, wie sie mit ihren ADRs verfahren wollen, und Szenarien durchspielen, was passiert, wenn das Land Taiwan angreift. Ja, vielleicht betreibt China derzeit nur ein strategisches Spiel – und würde das Risiko einer Invasion nicht eingehen. Das hatten sich die Russland-Anleger allerdings auch im Fall der Ukraine gedacht.
Bewusst machen sollten sich ADR-Anleger auf jeden Fall, dass diese ADRs einen wichtigen Vorteil von Aktien nicht haben: den Schutz vor Krieg und Krisen. In den sieben größten Kriegen der vergangenen 120 Jahre standen die globalen Aktienmärkte in fünf Fällen zum Kriegsende über dem Niveau zu Kriegsbeginn.
Je länger der Konflikt dauerte, desto höher standen die Kurse sogar am Ende. Deutlich niedriger (minus 22 Prozent) standen die Kurse nur zum Ende des Ersten Weltkriegs, wobei hier das Kriegsende mit dem Ausbruch der Spanischen Grippe zusammenfiel. Doch davon können Anleger nur profitieren, wenn sie tatsächlich die Besitzer der Aktien sind und diese in ihren Depots liegen. Bei den ADRs ist das nicht der Fall.
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