19. Juni 2008, 16:44 Uhr ÖLKONFERENZ IN SAUDI-ARABIEN Scheichs lullen den Westen ein
Von Anselm Waldermann
100, 120, 140 Dollar - der Ölpreis springt von Rekord zu Rekord. Saudi-Arabien lädt jetzt zum Krisengipfel, und der Westen nimmt dankend an. Doch die bittere Wahrheit ist: Kein Land der Welt kann die Förderung nennenswert erhöhen, das Angebot bleibt knapp. Experten wetten auf neue Preisschübe.
Hamburg - Es wird ein Gipfel der besonderen Art. König Abdullah von Saudi-Arabien, der "Hüter der zwei heiligen Moscheen", ruft die Welt an diesem Wochenende nach Dschiddah. Minister, Regierungschefs und Präsidenten nehmen die Einladung dankend an - auch wenn sie recht kurzfristig ausgesprochen wurde: Die Idee zu der Konferenz hatte Abdullah erst vor zehn Tagen.
Das Thema ist einfach zu wichtig, um den Ruf des Königs zu ignorieren. Aus allen Kontinenten werden sie deshalb nach Dschiddah strömen, um die Botschaft der Saudis zu vernehmen: Öl ist nicht knapp, macht euch keine Sorgen, die Preise werden wieder sinken. "Psychologischer Effekt"
Der Krisengipfel wurde nötig, weil der Ölpreis auf immer neue Rekorde klettert. Zuletzt sprang er auf rund 140 Dollar pro Fass - doppelt so viel wie vor zehn Monaten. Die Welt stellt sich nun die bange Frage: Geht das ewig so weiter? Oder lässt sich der Preis irgendwie drücken?
Genau das wollen die Gipfelteilnehmer in Dschiddah erörtern. Im Kern geht es darum, neue Ölquellen zu erschließen, vorhandene Felder besser auszubeuten und die Förderkapazitäten voll auszulasten. Mit anderen Worten: das Angebot zu erhöhen, damit der Preis wieder sinkt.
Weltweit werden derzeit 81,5 Millionen Barrel am Tag gefördert. Auf der Konferenz in Dschiddah soll nun beschlossen werden, die Produktion um 200.000 bis 300.000 Barrel auszuweiten. Das ist zumindest der Wunsch der Saudis. Doch Fachleute sind skeptisch. "Die Menge ist eigentlich nichts", sagt Eugen Weinberg, Ölexperte bei der Commerzbank. "Es geht eher um den psychologischen Effekt."
An den Rohstoffmärkten ist denn auch keine große Reaktion zu erwarten. "Die höhere Förderung ist schon eingepreist", sagt Weinberg. Mit anderen Worten: Der aktuelle Ölpreis spiegelt die Ergebnisse der Konferenz bereits wider.
Schlimmstenfalls könnte der Ölpreis am Montag nach der Konferenz sogar steigen, schätzt Weinberg. "Spekulanten werden dann Gewissheit haben: Das weltweite Ölangebot erhöht sich nur unwesentlich."
Gut Wetter mit den Amerikanern
Dabei besteht noch eine weitere Gefahr. Denn wenn Saudi-Arabien seine Produktion um die besagten 200.000 bis 300.000 Barrel erhöht, dann hat das einen entscheidenden Nebeneffekt: Die Reserven des Landes werden schneller aufgebraucht als bisher. "Das könnte die Märkte nervös machen", sagt Manfred Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Im Ergebnis würde der Ölpreis steigen."
Ähnlich sieht das Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln: "Das ist ein Doppelspiel. Einerseits fahren die Saudis die Produktion ein wenig hoch. Andererseits äußern sie Bedenken, dass die Versorgungssicherheit langfristig in Gefahr ist - und treiben damit den Preis nach oben."
Immerhin: Einen gewissen Handlungsbedarf sehen die Scheichs durchaus - sonst hätten sie nicht zur Krisenkonferenz geladen. Für Bardt vom IW war das vor allem eine politische Entscheidung: "Es geht um gut Wetter mit den Amerikanern."
Andererseits gibt es aus saudischer Sicht auch realwirtschaftliche Gründe, die für die Konferenz sprechen. Denn wenn der Ölpreis weiter steigt, stürzen die Industrieländer zwangsläufig in eine Wirtschaftskrise. Das jedoch könnte die Ölnachfrage mittelfristig drücken. "Saudi-Arabien sieht diese Gefahr und will jetzt reagieren", sagt Horn vom DIW.
Das Problem ist nur: Andere Opec-Länder wollen nicht mitziehen - oder sie können nicht. Die meisten Mitglieder des Kartells produzieren schon jetzt am Maximum ihrer Kapazitäten (siehe Tabelle). "Iran zum Beispiel kann seine Ölexporte nicht erhöhen", erklärt Horn. "Die haben einen extrem hohen Eigenbedarf."
Nennenswerte Kapazitäten sind nur in Saudi-Arabien selbst vorhanden. "Theoretisch hätte das Land Spielraum, die Förderung stärker auszuweiten als angekündigt", sagt Horn. "Aber warum sollten sie - bei den Preisen."
BP meldet weltweit sinkende Ölproduktion
Entsprechend groß ist die Sorge in der Ölindustrie. Der französische Total-Konzern geht mittlerweile davon aus, dass sich die weltweite Ölförderung nicht mehr wesentlich steigern lässt. Bei 100 Millionen Barrel am Tag sei Schluss, sagte kürzlich Unternehmenschef Chistophe de Margerie. Kritisch äußerte sich auch BP: In einer aktuellen Studie stellt das Unternehmen fest, dass die weltweite Ölproduktion im vergangenen Jahr rückläufig war.
Nur mittel- und langfristig könnte mehr Öl auf den Markt gelangen: Je höher der Preis, desto mehr investieren die Firmen in die Förderung. Ein Beispiel ist Brasilien, wo nun neue Felder erschlossen werden. Auch in der Tiefsee und am Nordpol könnte sich die Ölförderung demnächst lohnen - zumindest wenn die Preise weiter steigen wie bisher.
Theoretisch haben auch der Irak und Nigeria großes Potential - dort macht aber die politische Lage eine Förderung im großen Stil unmöglich. "In Nigeria stoppen Rebellen gerade die Produktion von 250.000 Barrel täglich", erklärt Weinberg von der Commerzbank. Das heißt: Die zusätzliche Förderung aus Saudi-Arabien hilft gerade einmal, um diese Lücke zu füllen.
"Irgendwann knallt es"
Kapazitäten hätten außerdem noch Länder wie Russland oder Venezuela. Allerdings wird es dort immer schwieriger, Öl und Gas zu fördern. Denn die Regierungen wollen das Energieangebot bewusst knapp halten - und verweisen ausländische Firmen des Landes.
"Auf der Angebotsseite tut sich nicht viel", fasst Horn zusammen. Stattdessen erwartet der DIW-Experte eine Reaktion der Nachfrageseite. Soll heißen: Der hohe Ölpreis wird die Verbraucher veranlassen, weniger Öl zu kaufen. "Ich gehe davon aus, dass es irgendwann knallt", sagt Horn. In manchen Ländern wie Thailand machen die Energieimporte bereits zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. "Das kann nicht ewig gutgehen."
Bisher haben vor allem Industrieländer wie Deutschland und die USA ihren Ölverbrauch gesenkt. Künftig dürften aber auch Entwicklungsländer folgen. "Die Weltwirtschaft wird sich deutlich abkühlen", erklärt Horn. In der Folge dürfte die Nachfrage nach Öl zurückgehen - und damit der Preis.
www.spiegel.de ----------- "Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie ein rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt.
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