Der Konflikt bestand schon zu Zeiten Jelzin/Clinton. Der nachfolgende Artikel ist zwar schon etwas älter, zeigt aber in groben Zügen die wahren Hintergründe des Konflikts am Kaukasus.
Machtkampf um das kaspische Öl Von Chris Marsden 23. November 1999 aus dem Englischen (18. November 1999) Im Verlaufe des siebenwöchigen Krieges Russlands gegen Tschetschenien haben sich die Spannungen zwischen Russland, den USA und Europa verschärft. Seit Beginn des Krieges wurden etwa 4.000 tschetschenische Zivilisten und 1.200 Soldaten getötet; 200.000 Zivilisten waren gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen.
Als die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) letzte Woche ihren Gipfel in Istanbul abhielt, gaben die Regierungen der USA und Europas Erklärungen ab, die Russlands Bombardierung von Grosny und anderen Städten verurteilten. Der russische Präsident Boris Jelzin wies diese Kritik zurück und erklärte, die westlichen Länder "haben kein Recht, Russland für die Vernichtung von Banditen und Terroristen auf seinem eigenen Territorium zu kritisieren".
Auf beiden Seiten ist jede Menge Zynismus und Heuchelei im Spiel. Die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die anderen NATO-Mächte äußern Entsetzen und Abscheu über Moskaus wahllose Bombardierung von Städten und anderen zivilen Zielen in Tschetschenien, nachdem sie selbst erst vor wenigen Monaten brutale Luftangriffe auf serbische Städte geflogen hatten. Ein russischer Vertreter beklagte sich darüber, dass Washington von "Kollateralschäden" gesprochen hatte, als amerikanische Raketen serbische Zivilisten töteten, aber jetzt, da russische Bomben tschetschenische Zivilisten töteten, spreche man von "Menschenrechtsverletzungen".
Nicht einem der mehreren Tausend westlichen Journalisten, die über den OSZE-Gipfel berichteten, fiel auf, wie ironisch es war, dass die amerikanischen und europäischen Führer Menschenrechte, Demokratie und Frieden ausgerechnet von einem Land aus beschworen, das für seine polizeistaatlichen Methoden berüchtigt ist und mit seinem Krieg gegen die Kurden im Südosten des Landes einen der längsten und blutigsten Kriege gegen ethnische Minderheiten führt.
Die Russen ihrerseits rechtfertigen eine brutale Aggression, mit der sie die Kontrolle über das Land, die Bodenschätze und die verarmten Völker des nördlichen Kaukasus aufrechterhalten wollen, als eine Polizeiaktion gegen Terrorismus.
Wie immer bei Konflikten zwischen kapitalistischen Mächten gibt es die öffentlich verkündeten Motive und die wirklichen, unerklärten Ziele und Interessen, die hinter der Propaganda stehen. Wie scharf die Gegensätze inzwischen geworden sind, wird an einer Erklärung deutlich, die der russische Verteidigungsminister Igor Sergejew letzten Freitag abgab. Er beschuldigte die USA vor einer Versammlung hoher russischer Militärführer, die tschetschenischen Rebellen zu unterstützen: "Das nationale Interesse der Vereinigten Staaten erfordert, dass der von außen angezettelte militärische Konflikt im Nordkaukasus ständig neu angefacht wird." Sergejew fügte hinzu: "Die Politik des Westens besteht darin, Russland herauszufordern, um seine internationale Position zu schwächen und es aus strategisch wichtigen Regionen heraus zu drängen."
In einem Bericht über Sergejews Äußerungen schrieb die New York Times am 15. November: "Ein solcher Verdacht ist in Russland durch den amerikanischen Versuch genährt worden, ehemalige sowjetische Republiken in der Region dafür zu gewinnen, eine Ölpipeline zu bauen, die Russland und Iran umgeht."
Das ist ein Hinweis auf eine Schlüsselfrage des gegenwärtigen Konflikts in Tschetschenien. Es wird dort ein Großmachtkampf zwischen den USA, Russland und Europa über die Kontrolle des strategisch wichtigen Kaukasus ausgetragen, der an das Kaspische Meer grenzt, wo sich die größten unerschlossenen Ölreserven der Welt befinden. Es geht in diesem Wettbewerb um Milliarden Dollar Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft und um die riesigen militärischen und geopolitischen Vorteile, die derjenigen Macht zufallen, welche die beherrschende Position in Zentralasien gewinnt.
Transkaukasien hat für westliche Konzerne und die Regierungen der USA und Europas eine strategische Bedeutung, weil es eine Brücke zwischen den kaspischen Ölfeldern und Europa darstellt, die entweder über das Schwarze Meer oder das Mittelmeer führen kann.
Im Oktober 1997 gab Le monde diplomatique eine nüchterne Einschätzung der Bedeutung des Konflikts über die Kontrolle der kaspischen Region für die Beziehungen zwischen den USA und Russland: "Die amerikanischen Ölkonzerne hatten ihr Interesse am Kaspischen Meer längst entdeckt, bevor das Außenministerium der USA eine kohärente Politik für diese Region formulierte... Die Aushandlung von Erdölverträgen ermöglichte Washington, sein direktes Interesse an der Region zur Geltung bringen.
Die amerikanische Regierung betrachtet das Gebiet als ergänzenden Energielieferanten für den Fall, daß die Lieferungen aus dem Persischen Golf gefährdet sein sollten. Zugleich strebt sie danach, die ehemaligen russischen Sowjetrepubliken sowohl politisch als auch wirtschaftlich von Russland zu lösen, um die Bildung einer Union unter der Führung Moskaus zu verhindern. Im Frühjahr 1997 schrieb der ehemalige US-Verteidigungsminister Weinberger: ‚Sollte es Moskau gelingen, die Oberherrschaft am Kaspischen Meer zu erlangen, so wäre dieser Sieg bedeutsamer, als die NATO-Erweiterung für den Westen.‘"
Abschließend schrieb Le monde diplomatique, der Kaukasus stelle sich "als ein unübersichtliches Geflecht von Allianzen dar, wobei jede [Republik] den Schutz einer oder mehrerer Großmächte sucht. Als Nachzügler versuchen die Vereinigten Staaten, sich einen guten Platz zu sichern und gleichzeitig die russische Präsenz wie die iranischen Ansprüche zurückzudrängen. Die Russen verfolgen, noch unter dem Schock der Niederlage in Tschetschenien, mit eifersüchtigen Augen die Entwicklung in diesen Gebieten, die für sie noch nicht lange Ausland sind. Demnach ist zu erwarten, daß die nächste Etappe in der Geschichte des Kaukasus einerseits vom wachsenden Einfluß der Amerikaner, andererseits vom Widerstand der Russen geprägt sein wird." ( Le monde diplomatique, 17. Oktober 1997)
Seit mehreren Jahren gibt es rivalisierende Pipeline-Projekte um die Kontrolle der Ölreserven. Die amerikanischen Konzerne Amoco, Exxon, Pennzoil und Unocal führen ein gemeinsames Ölkonsortium von Aserbaidschan, einem Anrainerstaat Tschetscheniens, und elf westlichen Gesellschaften - das Azerbaijan International Oil Consortium (AIOC). Sein Ziel ist es, eine Pipeline zu bauen, um den größten Teil des aserischen Öls vom Grunde des Kaspischen Meers zu befördern.
Die amerikanische Regierung hat von Anfang an darauf gedrängt, die Pipeline von Aserbaidschan durch Tschetscheniens anderen Nachbarn Georgien in die Türkei zu führen, obwohl diese Route doppelt soviel kostet wie eine wesentlich kürzere Route von Aserbaidschan in den Iran. Washingtons Ziel ist es, die Ölversorgung für russische und iranische Störmanövern unerreichbar zu machen. Die von den USA unterstützte Pipeline würde pro Jahr fünfzig Millionen Tonnen Öl von Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan leiten.
Auch die europäischen Interessen in der kaspischen Region sind bedeutend. Ihr zentrales Projekt ist ein Handelsweg zwischen dem Schwarzen Meer und Zentralasien, eine Verbindungsstraße von der nordtürkischen Industriestadt Samsun nach dem georgischen Hafen Batumi. Das Ölfeld Shadheniz am Kaspischen Meer wird von einem Konsortium unter Führung europäischer Gesellschaften ohne Beteiligung der USA erschlossen, das eine Pipeline durch den Iran bauen könnte.
Der Streit ums Öl stand im Zentrum der damaligen Entscheidung, als Rußland im Dezember 1994 den Krieg gegen Tschetschenien eröffnete, denn seine einzige funktionierende Pipeline für das kaspische Öl war von islamischen Separatisten bedroht. Bei den Überlegungen der separatistischen Rebellenführer in Tschetschenien, die bekanntermaßen Verbindung zum organisierten Verbrechen nicht nur in Europa haben, spielt die potentielle Kontrolle über Öltransportrouten und Pipelines im nördlichen Kaukasus eine zentrale Rolle.
Ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung Russlands, seine Militäroperationen 1996 zu beenden, war die Befürchtung, dass es alle Chancen verlieren könnte, seine amerikanischen und europäischen Handelsrivalen um die Kontrolle der kaukasischen und zentralasiatischen Ölreserven abzuwehren. Seitdem hat Russland sich bemüht, auf den amerikanischen wirtschaftlichen Vormarsch in der kaspischen Region zu reagieren.
Am 29. November letzten Jahres gab das unter russischer Führung stehende kaspische Pipeline-Konsortium den Plan bekannt, eine 2,2 Mrd. Dollar teure Pipeline vom kasachischen Ölfeld Tengiz im kaspischen Becken zum russischen Schwarzmeerhafen Novorossijsk unter Umgehung des rebellischen Tschetschenien zu bauen.
Die 1.500 km lange Pipeline ist das erste Projekt, das die Vorräte des kaspischen Beckens erschließen wird. Russland plant diese Pipeline als eine Alternative zu dem von den USA geführten Projekt für Aserbaidschan und hat sich einen zeitweiligen Vertrag für die Förderung von fünf Millionen Tonnen aserischen Öls bis zum Jahre 2003 gesichert, wenn das unter amerikanischen Führung stehende AIOC-Projekt seine volle Förderleistung erreichen soll.
Als 1.200 tschetschenische Rebellen im August in Dagestan Bombenanschläge verübten, musste die russische Pipeline vorübergehend geschlossen werden. Diese Störung war für die Jelzin-Regierung ein wichtiger Grund, einen neuen Angriff auf Tschetschenien vorzubereiten.
Russlands Besorgnis über Tschetschenien wuchs infolge des amerikanischen NATO-Kriegs gegen Serbien und der anschließenden Besetzung des Kosovo durch die NATO. Am Ende des Krieges befahl der NATO-Oberkommandierende, General Wesley Clark, am 12. Juni den britischen und französischen Truppen, die russischen Soldaten mit militärischer Gewalt daran zu hindern, den Flughafen von Pristina unter ihre Kontrolle zu bringen. Der britische Kommandant der NATO-Bodentruppen im Kosovo, Michael Jackson, wies die Befehle des amerikanischen Generals mit der Bemerkung zurück: "Ich werde für Sie nicht den Dritten Weltkrieg anfangen."
Die Bedeutung dieser Ereignisse - und die Einrichtung eines de facto US-Protektorats im Kosovo - entging der militärischen und politischen Elite Russlands nicht. Gleichzeitig wurde die Jelzin-Regierung durch ihre nachgiebige Politik gegenüber den westlichen imperialistischen Mächten im Balkan-Krieg schwer diskreditiert.
Auf dem Hintergrund einer wachsenden Feindschaft der Bevölkerung gegenüber den USA fühlten sich die rechtesten nationalistischen Kräfte in der Nomenklatura und dem Militär ermutigt, die Verteidigung der russischen Interessen im Kaukasus zu fordern. Die Intervention in Tschetschenien war eine Warnung an die Westmächte - und die angrenzenden kaukasischen Republiken - dass mit Russland immer noch zu rechnen sei. Der Chef der russischen Luftwaffe, Anatoli Kornukow, warnte Anfang der Woche: "Wir stellen die Ordnung in unserem eigenen Land wieder her, und niemand hat das Recht, noch wird er in der Lage sein, uns daran zu hindern. Russland ist nicht der Irak und nicht Jugoslawien, und jeder Versuch einer [ausländischen] Einmischung wird entschieden zurückgewiesen werden."
Das zunehmend militaristische Auftreten der USA und die aggressive nationalistische Reaktion Russlands sind Vorboten weit schlimmerer Ereignisse als die menschliche Tragödie, die sich heute schon in Tschetschenien abspielt. Amerikas neue Pläne, einen Raketenabwehrschirm als nationalen Schutzschild gegen Atomraketen zu entwickeln, ist ein Bruch des amerikanisch-russischen Anti-ballistischen Raketenabkommens (ABM) von 1972. Der ABM-Vertrag beschränkt die Anzahl der Abschussrampen für solche Raketen in den USA und in Russland auf jeweils eine - North Dakota und Moskau. Es wird aber erwartet, dass die Clinton-Regierung nächstes Jahr ein neues anti-ballistisches System in Alaska billigen wird, das angeblich Angriffe von "Schurkenstaaten" wie Nordkorea, Iran oder Irak verhindern soll.
Jelzin schrieb in einem Brief an Clinton, solche Pläne könnten "extrem gefährliche" Folgen für die Abrüstungsverträge haben, während General Wladimir Jakoblew von den russischen strategischen Raketenstreitkräften sagte, dass Russland sich an "keine Waffenkontrollverträge" mehr gebunden fühlen werde, sollte der ABM-Vertrag geändert werden". Anfang dieses Monats führte Russland zwei Raketentests durch; der eine war der Test einer Anti-Raketen-Rakete, der andere - zum erstenmal seit sechs Jahren - einer nuklearwaffenfähigen, taktischen SS-21-Rakete.
Quelle: http://www.wsws.org/de/1999/nov1999/kasp-n23.shtml
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