HANDELSBLATT, Mittwoch, 16. Januar 2008, 18:16 Uhr
Weltweites Wettrennen der Superzüge
Von Holger Alich und Joachim Hofer
TGV und ICE/Velaro liefern sich auf dem ganzen Globus ein offenes Duell um den Markt für Hochgeschwindigkeitszüge. Momentan hat der TGV die Nase vorn - doch bald wird China entscheiden, welcher der Züge auf der prestigeträchtigen Strecke zwischen Peking und Shanghai fahren darf. In Europa hat der TGV die Nase vorn. PARIS/MÜNCHEN. Im Prestige-Duell zwischen Siemens und Alstom im Markt für Schnellzügen schicken sich die Franzosen an, den Deutschen beim Export davon zu fahren. Jüngstes Beispiel: die Schnellbahntrasse Buenos Aires – Cordoba. Das Projekt mit einem Volumen von rund einer Milliarde Euro soll von dem von Alstom geführten Konsortium Veloxia realisiert werden. Hier mussten sich die Franzosen indes nicht gegen Wettbewerber durchsetzen.
In Italien dagegen hat Alstom den Konkurrenten Siemens aus dem Feld geschlagen. In den kommenden Tagen dürfte der private italienische Bahnbetreiber NTV verkünden, dass er von Alstom 25 Stück des neuen Schnellzuges AGV (Automatrice à Grande Vitesse)bestellen wird, inklusive Option für zehn weitere Züge. „Wir können nichts offiziell bestätigen, aber wir sind zuversichtlich“, heißt es dazu von Alstom. Doch auch aus italienischen Industriekreisen heißt es, Alstom habe das Rennen gemacht.
Die Italiener werden damit weltweit der erste Kunde des neuen Schnellzuges AGV, den Alstom noch nicht öffentlich vorgestellt hat. Die Züge sollen ab 2010 Jahr die Metropolen Rom und Neapel verbinden.
Weltweit steigt das Interesse an Schnellzügen: China will die Metropolen Peking und Shanghai mit einer Schnellbahn-Strecke verbinden, Russland hegt Ausbau-Pläne und auch der US-Staat Kalifornien setzt auf das umweltfreundliche Transportmittel Zug. Frankreichs Transportminister Dominique Bussereau sagte dem „Figaro“, der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger habe den französischen TGV bereits inkognito getestet.
Moderne Schnellzüge können Strecken von 1 000 Kilometer in rund drei Stunden zurücklegen und gelten damit auf dieser Distanz als gefährliche Wettbewerber des Flugzeugs. Der Verband der internationalen Bahnindustrie schätzt, dass der Absatz von Schnellzügen bis 2015 auf ein jährliches Volumen von 2,6 Mrd. Euro wachsen wird. Vier Konzerne rangeln sich auf diesem Milliarden-Markt: Siemens, Alstom, die kanadischer Bombardier sowie Hitachi, Hersteller des japanischen Schnellzuges Shinkansen.
Im Duell der Europäer um Export-Märkte hatte bislang Siemens die Nase vorn: Die Deutschen verkauften bereits 25 „Velaro“ auf Basis des ICE 3 nach Spanien, acht Züge wurden an Russland verkauft. Auch in China sind die Deutschen schon am Start: 60 Züge sollen auf der Strecke Peking-Tianjin rollen.
Siemens zeigt sich daher selbstbewusst und verweist darauf, dass Alstom nach Argentinien und Marokko noch TGV-Schnellzüge verkauft hat, die auf einem alten Bau-Konzept beruhen: Züge mit je einem Triebkopf hinten und vorne. Im Unterschied dazu sind beim ICE 3 die Antriebskomponenten unter dem Zug verteilt. Das bedeutet weniger Verschleiß der Schiene sowie Platzgewinn im Innenraum.
„Wir rechnen uns daher gute Chancen in wichtigen Märkten wie China, Indien und Russland aus“, meinte daher ein Sprecher der Bahn-Sparte von Siemens. In allen drei Märkten treffen die Deutschen aber auf Alstom und Bombardier als Wettbewerber.
In Frankreich, neben Japan das Land mit den meisten Schnellbahntrassen, wird die Kritik am TGV nicht akzeptiert. Denn mit dem neuen AGV hat nun auch Alstom einen Zug mit der neuen Technik im Programm. „Mit den Produkten TGV und AGV haben wird für jede Märkte das passende Produkt“, entgegnet ein Sprecher von Alstoms Bahnsparte. Er verweist auf das Beispiel Marokko. Dort sei es nicht auf hohe Spitzengeschwindigkeiten, sondern vor allem auf hohe Transport-Kapazität angekommen: „Hierfür ist unser doppelstöckiger TGV wie geschaffen.“
Bahn-Experten verweisen darauf, dass die Franzosen mit ihrem neuen AGV erst beweisen müssten, dass der Zug hält, was er verspricht. Siemens habe mit der Umstellung vom ICE 1 auf den ICE 2 massive Probleme gehabt. Alstom verweist dagegen auf seinen Geschwindigkeitsrekord vom April vergangenen Jahres: In dem umgebauten TGV, der mit exakt 574,8 km/h durch die Champagne raste, kam bereits Komponenten des neuen AGV zum Einsatz.
Mit Spannung blickt die Branche nun auf die anstehenden Mega-Aufträge: Die Chinesen haben immer noch nicht entschieden, wer die Züge für die Verbindung von Peking nach Shanghai liefern soll. Derzeit haben die Chinesen sowohl den deutschen ICE als den japanischen Shinkansen gekauft – wohl, um beide Techniken ausgiebig zu testen.
Und in Frankreich will die Staatsbahn SNCF ihren Fuhrpark erneuern: Zwischen 2012 und 2014 will sie jährlich 15 bis 20 neue Züge kaufen. Guillaume Pépy, Chef der SNCF, widersprach im vergangenen Jahr gegenüber der deutschen Presse der verbreiteten Ansicht, Siemens habe hierbei von vorneherein keine Chance. Er verwies darauf, dass die SNCF rund die Hälfte ihrer Dieselloks bei Siemens kaufe, und gar 90 Prozent der Regionalzüge bei Bombardier. Frankreichs Regierung sieht sich indes als Garant für den Verkaufserfolg von Bahn-Technik à la francaise.
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