2.03.2006 19:13 Uhr
Sehr krummes Denken
Die seltsame Welt der Geheimdienste Ach wie gut, dass niemand weiß... Deutsche Nachrichtendienstler gebärdeten sich in den Kriegstagen 2003 wie Rumpelstilzchen. Ein Lehrstück über Doppelmoral und Wichtigtuerei. Ein Kommentar von Hans Leyendecker
Die Welt der Nachrichtendienste steckt bekanntlich voller Mythen. Aber Mata Hari und der geheime Kurier im Orient-Express gehören längst ins Reich der politischen Kolportage, und nur noch die Alten in den Diensten erinnern sich an die seligen Zeiten, als die Erforschung von Bettgeheimnissen die wichtigste Quelle der Erkenntnis war.
Der frühere Resident des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Spanien sagte deshalb gern: „Man kann ein Freudenhaus nicht mit Hilfe eines Bischofs aufklären.“
Selbst diesem redseligen Nachrichtendienstler wäre vermutlich zu der merkwürdig unscharfen, schemenhaften Zeichnung, die jetzt so viel Wirbel macht, kein passender Spruch eingefallen.
Der wie von Kinderhand gefertigte Schneckenplan mit hingestrichelten Verteidigungsringen der irakischen Armee, Kringeln, geraden Linien und Pfeilen hinterlässt Ratlosigkeit.
Der innerste Ring soll angeblich die rote Linie in Bagdad darstellen, bei deren Überschreiten sich für Angreifer die Hölle auftun sollte.
Trotz aller scheinbar so harten Dementis quält die Verantwortlichen beim BND die Frage, ob es nicht doch einer der ihren war, der den Amerikanern die seltsame Skizze heimlich zugesteckt hat.
Dabei waren sie einst freudig bewegt gewesen, dass ein deutscher Nachrichtendienstler, „Gardist“ genannt, im Reich des US-Kommandeurs Tommy Franks platziert wurde und für die da draußen unsichtbar und anonym blieb.
Die sonst oft so großspurigen amerikanischen Kollegen waren auf die menschlichen Quellen des BND angewiesen oder taten zumindest so.
Keine Angst vor der Apokalypse, kein Krieg
„In vielen Besprechungen kam Stolz auf“, erinnert sich, nicht ohne Pathos, ein deutscher Nachrichtendienstler. Lauter Rumpelstilzchen, die sich in den Kriegstagen 2003 freuten, dass die Öffentlichkeit nicht ahnte, was sie wussten.
Das alles ist ein Lehrstück über Diplomatie und Doppelmoral, Legenden und Wichtigtuerei. Von Anfang an stand fest, dass die rote Linie, hinter der die Republikanischen Garden angeblich beim Häuserkampf in Bagdad C-Waffen einsetzen wollten, ein gigantischer Schwindel war – und das wussten beide Seiten.
Saddams ehemaliger Schwiegersohn Hussein Kamel, ein Überläufer, hatte schon im Sommer 1995 den Amerikanern berichtet, sämtliche C-Waffen-Arsenale seien vernichtet worden. Als ehemaliger Chef des irakischen Rüstungsprogramms kannte er jedes Detail. Aber ohne Warnung vor der Apokalypse hätte es keinen Krieg gegeben.
Wer etwa im Standardwerk „Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert“ stöbert, bekommt Einblicke in ein Milieu, das manchmal nicht weniger merkwürdig anmutet als das der Kopfjäger in Burma. Eingebildete Bedrohungen haben über alle Zeitläufe hinweg das Überleben des Berufsstandes nicht gefährdet, sondern gesichert.
Schutz vor der bösen Realität
Nach der Logik des zweitältesten Gewerbes ist selbst eine falsche Warnung immer nur scheinbar falsch. Der Aggressor hat von dem Alarm Kenntnis bekommen und es sich daraufhin anders überlegt.
Beliebt ist auch die Variante, dass korrekte Informationen des Nachrichtendienstes von irgendjemand falsch interpretiert worden seien.
Kritikern halten Geheimdienstler entgegen: „Sie können den Sachverhalt gar nicht beurteilen, weil Sie nicht wissen, was wirklich passiert ist, und wir dürfen es Ihnen nicht verraten, weil das geheim ist.“
Das Geheimnis, dessen Bedeutung in diesen Tagen so oft von den Regierenden in Berlin beschworen wird, ist zum Schutz vor der bösen Realität geworden.
Faszination eines Indianerspiels
Um so heftiger stößt die geheime Welt auf Neugier. Dass der Kampf um die Macht im Dunkeln auf Erwachsene die Faszination eines Indianerspiels ausübt, mag damit zusammenhängen, dass das Genre in Literatur und Film ein wichtiges Vehikel ist, um Geschichten, Stoffe und Plots zu transportieren.
Graham Greene und John Le Carré arbeiteten viele Jahre für den britischen Geheimdienst. Jeder Romancier habe etwas von einem Spion, sagte Greene einmal, und Le Carré beschrieb sich als „Schriftsteller, der zum Spion wurde.“ Das sei für einen Autoren die „geeignetste Linse“.
Wer durch diese Linse schaut, blickt auch nicht durch.
Nachrichtendienstler in Pullach und Berlin suchen in diesen Tagen nach Spuren, Motiven der Tippgeber aus ihrer Intelligence-Community, die über die heimliche deutsch-amerikanische Kooperation auspacken.
Nach der in BND-Kreisen gängigsten Theorie sollen die Enthüllungen irgendwie mit „Curveball“ zusammenhängen.
„Curveball“ war der amerikanische Deckname für einen irakischen Überläufer, der beim BND über angebliche mobile Biowaffenlabore Saddams schwadroniert hatte und den die Amerikaner zum Kronzeugen ihrer Anklage gegen Saddam gemacht hatten.
Im Baseball nennt man „Curveball“ einen Ball, der mit Drall geworfen wird und eine schwer berechenbare Kurve fliegt. Man muss sehr krumm denken, um die „Curveball“-Variante nachvollziehen zu können.
Tausendundeine Nacht
Denn für die US-Regierung spielte die Wirklichkeit vor dem Irak-Krieg nur eine untergeordnete Rolle. Das Pentagon, dessen Geheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) der amerikanische Lieblingspartner des BND ist, hatte sich seine eigene Weltsicht gebastelt, um den Krieg zu begründen.
Der Geheimdienst war in den Fängen von Ideologen – wie in dem Film „Syriana“, in dem ein „Komitee zur Befreiung Irans“ den Ton angibt.
Als es um den Irak ging, wurden Geschichten wie aus Tausendundeiner Nacht kolportiert, Pseudo-Informationen wurden für den politischen Gebrauch zurechtgekocht.
„Curveball“ war nur ein Name, der den Regierenden den Vorwand liefern sollte. Dass der BND Ende 2002 die DIA vor „Curveball“ warnte und wenige Monate später im Krieg mit der DIA kooperierte, gehört zu den Mysterien des Geschäfts. Eigentlich sollen Geheimdienste dazu da sein, der Regierung unbequeme Wahrheiten zu sagen.
Schrecken für Staatsanwälte
Der BND ist in den vergangenen Jahren kompetenter geworden, und dennoch ist die Qualität seiner Berichte oft noch dürftig. Amtliche Hinweise aus den Diensten sind der Schrecken für Staatsanwälte.
Bei näherem Hinsehen stimmen die Details nur selten, und wenn es etwa um Verfahren im Zusammenhang mit der Lieferung von Waffen geht, stellt sich häufig heraus, dass die verdächtigen Lieferanten zumindest Quellen von Nachrichtendiensten sind.
Schätzungsweise zwei Millionen Menschen auf dem Globus haben irgendwie mit Spionage und Abwehr zu tun. Allein in den USA gibt es 15 Nachrichtendienste, deren Gesamtetat bei mehr als 30 Milliarden Dollar jährlich liegt – da ist der deutsche Verteidigungsetat kleiner.
Weil trotz dieses riesigen Aufwands die klandestinen Tätigkeiten in den vergangenen Jahrzehnten sträflich vernachlässigt worden sind, fehlt es den amerikanischen Diensten chronisch an Spitzeln, Zuträgern und Informanten, und auch deshalb musste man auf BND-Mitarbeiter in Bagdad zurückgreifen.
Die meisten Dienste sind völlig verstopft mit Informationen aus elektronischer Überwachung, mit denen sie zugleich ihre Selbstzweifel betäuben: „Ich sammle, also bin ich.“ Wozu das Ganze?
Vermutlich handelt es sich um einen Fall von Potlatsch, also um eine ritualisierte Form gesellschaftlicher Verschwendung.
Der Westen gewann den Kalten Krieg, obwohl die Ost-Geheimdienste, die allerdings auf Recht und Gesetz keine Rücksicht nehmen mussten, deutlich überlegen waren.
Den Kalten Krieg, so sinnierte der Agent Smiley 1991 im Le-Carré-Roman „Der heimliche Gefährte“, hätten die richtigen Leute verloren, aber die falschen gewonnen. Sie gewinnen noch immer.
(SZ vom 3.3.2006)
http://www.sueddeutsche.de/,tt4m3/ausland/artikel/247/71176/
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