So einen populistischen Spruch, wonach ja jeder freiwillig mehr Steuern zahlen kann, hätte ich von dir ja nicht erwartet. Das ist ja fast das gleiche „Niveau“ wie die Typen, die meinen, wer mehr Familiennahzug bei Flüchtlingen will, soll doch selbst Flüchtlinge zuhause aufnehmen. Nein, es gibt schlicht staatliche Aufgaben, die der Staat zu erledigen hat, und wofür keine Privatpersonen zuständig sind, die sie aber in dieser halbwegs gerechten Sozialen Marktwirtschaft eigentlich mitfinanzieren sollten.
Fakt ist, wir hatten in den frühen 90er Jahren noch einen Umsatzsteuer auf Aktieninvestments. Im Grunde das was man heute Finanztransaktionssteuer nennen würde. Fakt ist, bis 2008 wurden Finanzgewinne nach dem persönlichen Steuersatz versteuert, was bei vermögenden bzw. gut verdienenden Leuten deutlich mehr als 25% waren.Fakt ist, in den 90ern gab es auch noch eine Vermögenssteuer und unter Kohl auch höhere Spitzensteuersätze. Fakt ist, in den frühen 90ern gab es weitaus mehr Staat bevor die große Privatisierungswelle in diversen Bereichen (Wohnen, Telekommunikation, Verkehr, Gesundheit etc) einsetzte. Ich habe nicht unbedingt den Eindruck als geht es Konzernen seither um langfristige Investitionen in Infrastruktur. Oft geht es denen um kurz/mittelfristige Gewinnmaximierung. Wo kommt eigentlich die Mär her, der Markt würde schon alles richten? Beim Privatisieren und Gewinn optimieren schreien immer alle Hurra, aber wenn dann die Infrastruktur am Boden liegt, nicht mehr genug Geld für Schulen, Sportplätze etc vorhanden ist, schreien zwar alle nach dem Staat, aber mehr Steuern will niemand zahlen. Ich frag mich immer, wieso heutzutage immer so getan wird, als wäre es fast schon Kommunismus, nur weil man auch nur ansatzweise , nur ein klein bisschen in die alte Zeit der Sozialien Marktwirtschaft zurückwill und für etwas mehr Steuergerechtigkeit sorgen möchte. Da kommen dann Leute echt mit so (sorry!) niveaulosen Aussagen, man könne ja gerne freiwillig mehr zahlen. Nein, es sollen eben auch die zahlen, die denken sie müssten im Schlaraffenland des zunehmenden Finanzmarktkapitalismus immer reicher mit Finanzanlagen werden (manche denken gar ans Auswandern, nur weil sie statt 25% vielleicht 28% Steuern auf ihre Finanzgewinne zahlen sollen), während der kleine Arbeiter und Selbstständige kaum in der Lage ist monatlich 30-40 € zurückzulegen. Da ist nix mit der Möglichkeit privat vorzusorgen. Dafür sollte die Parteien mal sorgen, die meines Wissens seit 16 Jahren an der Macht sind. Haben Die Grünen dafür gesorgt, dass wir technologisch im weltweiten Vergleich hinterherhinken? Haben die Grünen dafür gesorgt, dass die Staaten immer mehr Schulden machen, aber die Privathaushalte immer reicher werden, aber es kaum in langfristige Investitionen in die Wirtschaft fließt? Wieso haben wir denn seit 30-40 Jahren weltweit immer höhere Staatsdefizite und immer reichere Privathaushalte? Die Regierungen haben sich schlicht von der Finanzlobby jahrelang auf der Nase rumtanzen lassen, solange bis sie nicht mehr zurückkonnten und nun ständig Banken und ganze Märkte retten müssen.
Ich würde dir hinsichtlich Olaf Scholz sogar zustimmen. Auch ich will keine Steuerpolitik (explizit auch hinsichtlich Finanztransaktionssteuer), wie er sie vorgeschlagen hat. Aber so viel schlechter kann man es gar nicht machen, wie Politiker und Notenbanken in den letzten 15-20 Jahren, im Grunde schon die 20 Jahre davor. Es ist systemisch was im Argen, und das ist sicher kein Kommunismus, wie Krall und Co ständig propagieren und in Foren seit ein paar Jahren übernommen wird. Wir haben nicht zu viel Staat. Das ist ein totales Märchen. Der Staat muss nur effektiver mit dem Geld umgehen, aber verschwendetes Geld bei einzelnen Projekten ist das kleinste Problem. Die großen Fehler geschehen auf ganz anderer Ebene.
Sorry, ich finde den Egoismus , der in weiten Teilen unserer Gesellschaft vorherrscht, teilweise auch hier in den Foren sichtbar, nur noch ekelerregend. Und das heißt nicht, dass ich denke, der Staat solle in die Wirtschaft eingreifen bzw. wäre der bessere Investor. Darum geht es nicht. Es geht darum, dass er genug Geld haben muss, um seine für ihn typischen Aufgaben in Sachen Infrastruktur, Gesundheit, Energie, Verkehr, Soziales etc nachkommen zu können. Das ist aber kaum noch möglich, weil der Staat ständig Löcher stopfen soll, wenn es am Finanzmarkt mal wieder kracht, egal ob er die sozialen Folgen abfedern muss oder Banken rettet und Geld in die Finanzmärkte pumpt. Und gleichzeitig verdienen wir halbwegs Vermögenden und die ganz Reichen sich an dem System zunehmender Privatisierungen und dem Ersatz von Arbeitseinkommen durch Finanzeinkommen dumm und dämlich. Dass es Leute gibt, die diese Spirale durchbrechen wollen und zumindest zur Sozialen Marktwirtschaft zurückwollen, kann ich sehr gut verstehen. Dass die Leute oft nicht die besten Ideen haben, ist ne andere Geschichte. Da kann man Scholz gerne kritisieren. Damit habe ich kein Problem. Aber wir sollten beispielsweise eine unserer verbliebenen Kompetenzen, wie Umwelttechnologie vielleicht auch mal im weltweiten Wettbewerb nutzen, statt sie immer als Grüne Hysterie auch noch zu bekämpfen. Dümmer geht’s nimmer. Von Sprüchen über freiwillige Steuerzahlungen mal ganz abgesehen. Kannst ja mal ne Umfrage machen, wer aus den Foren hier gerne freiwillig 28% statt 25% Steuern zahlen würde? Die Leute sind dafür schlicht zu egoistisch. Bei Leuten mit wenig Vermögen kann ich das sogar verstehen. Genau für diejenigen wäre ich ja auch für höhere Freibeträge auf Finanztransaktionen als auch Abgeltungssteuer, damit sie private Altersvorsorge betreiben können. Aber wenn ich in den Finanzforen mit Leuten diskutiere, die auswandern wollen, weil sie mehr Steuern zahlen sollen, dann sind das eher reiche Typen, die zumindest von sich behaupten, mindestens hohe sechsstellige Depotvolumen zu haben. Und wenn die mir dann was von angeblichem Sozialismus unter Merkel erzählen oder das Gespenst der ach so linken Grünen an die Wand malen, muss ich entweder laut lachen oder werde richtig wütend. ----------- the harder we fight the higher the wall
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