Vorbei sind die Zeiten, als Marktteilnehmer für die Entwicklung des Euro-Dollar-Wechselkurses nur eine Triebkraft nannten: das immense Leistungsbilanzdefizit der USA. Für die seit dem Jahr 2002 andauernde Dollar-Talfahrt machten Ökonomen bisher vor allem die Lage der amerikanischen Leistungsbilanz verantwortlich. Diese hat sich zwar keineswegs nachhaltig entspannt. Dennoch spielen bei der Beurteilung des Euro- Dollar-Kurses andere Faktoren inzwischen eine wichtigere Rolle. Die jüngste Schwächephase des Euro akzentuierte sich am Dienstag, und die Gemeinschaftswährung fiel im Handel mit dem Dollar bis auf $ 1.2311, nach $ 1.2466 am Montag. Die Europäische Zentralbank stellte den Referenzkurs für einen Euro bei $ 1.2331 (Vortag: $ 1.2472) fest. Etwas Unterstützung bekam der Euro am Nachmittag von einem schwach ausgefallenen Einkaufsmanagerindex in den USA. Derzeit nennen Beobachter für die seit spätestens Mitte März laufende Entwertung des Euro vor allem zwei Gründe: die Abstimmungen zur Verfassung der Europäischen Union (EU) und die Zinsdifferenz zwischen den USA und Euro-Land.
Wirtschaftsreformen könnten stocken Nachdem am Sonntag die Franzosen der EU- Verfassung abgelehnt haben, werden die Niederländer bei ihrer Abstimmung am heutigen Mittwoch die Verfassung gemäss den jüngsten Prognosen wohl noch deutlicher ablehnen. Manche Beobachter befürchten, dass der nun ins Stocken kommende Prozess der weitergehenden europäischen Integration die Entscheidungsprozesse erschweren und sich negativ auf wirtschaftliche Reformen in der EU auswirken könnte. Die derzeitige schwierige politische Situation fällt mit einer schwierigen ökonomischen Lage zusammen. Einige grosse Länder der EU wie Deutschland und Italien haben grosse Probleme mit ihrem ausufernden Staatsdefizit und weisen zudem enttäuschende Wachstumszahlen auf.
Zugleich expandiert die amerikanische Wirtschaft noch immer oberhalb des Potenzialwachstums, weshalb die Leitzinsen in den USA mit 3% inzwischen deutlich höher liegen als im Euroraum, wo sie 2% betragen. Diese Zinsdifferenz - die sich im Urteil von Ökonomen in den kommenden Monaten noch ausweiten wird, da die US-Notenbank im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank weiterhin an der Zinsschraube drehen dürfte - macht die USA für Investoren attraktiver als den Euroraum. Bis Ende vergangenen Jahres konzentrierten sich die Marktteilnehmer derart stark auf das «Mega»-Thema Leistungsbilanzdefizit, dass alle anderen Entwicklungen, wie die Wirtschaftsschwäche in Europa oder die zunehmende Aufweichung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, vernachlässigt oder verdrängt wurden. Diese Zeit scheint zumindest mittelfristig vorbei zu sein.
Technische Faktoren forcieren Kurstief Für den markanten Taucher am Dienstag dürften auch technische Faktoren eine wichtige Rolle gespielt haben. Der Euro durchbrach die als wichtiger Widerstand geltende Zone um $ 1.2460 im asiatischen Handel und schmierte dann bis auf rund $ 1.2360 ab. Das Durchstossen dieser charttechnischen Barriere dürfte grössere Verkäufe ausgelöst haben, was den Kurszerfall beschleunigte. Einige Beobachter mutmassen, dass der Euro in den kommenden Wochen nun die Marke von $ 1.20 testen wird.
Ebenfalls aus charttechnischer Sicht hat sich der an den wichtigsten Handelswährungen gemessene Dollar seit Jahresbeginn deutlich erholt und eine abwärts gerichtete Trendlinie nach oben durchbrochen. Die amerikanische Devise stieg von ihrem Tief bei rund 80 Punkten auf derzeit etwa 87,5 Zähler. Damit drehen die technischen Signale für den «Greenback» langsam von «bearish» auf «bullish».
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