AIG - Das gefährlichste Unternehmen der Welt
Maurice Greenberg und sein Erbe: Wie der Versicherer American International Group zu einer Bedrohung für die globale Wirtschaft wurde. Von Nikolaus Piper
Ben Bernanke hat sich in der Öffentlichkeit meist im Griff. Am Dienstag allerdings bebte die Stimme des US-Notenbankpräsidenten. Nichts habe ihn wütender gemacht, als die Umstände, unter denen die Versicherung AIG gerettet werden musste, sagte er vor dem Haushaltsausschuss des Senats. "AIG nutzte eine riesige Lücke im Regulierungssystem. Es gab keine Aufsicht über die Abteilung für Finanzprodukte. Das war ein Hedgefonds, der an eine große und stabile Versicherung angehängt wurde."
Damit hat Bernanke die Katastrophe um AIG treffend umschrieben, abgesehen davon, dass er ein wichtiges Detail ausließ: Es war sein Vorgänger Alan Greenspan, der die "riesige" Lücke in der Aufsicht einst zuließ. Die Folgen machten diese Woche wieder Schlagzeilen: AIG schrieb mit 61,7 Milliarden Dollar den höchsten Quartalsverlust der Wirtschaftsgeschichte und vernichtete 2008 insgesamt fast 100 Milliarden Dollar. Weitere 30 Milliarden Dollar Staatshilfe, zu den bereits gezahlten 150 Milliarden, sind nötig. Die Aktie der einst größten Versicherung der Welt ist für 50 Cent zu haben.
Gefälschter Geburtsschein
Das Drama um Aufstieg und Fall von AIG hat eine lange Vorgeschichte, und die begann am 4. Mai 1925 in New York. An diesem Tag wurden dem Taxifahrer Jacob Greenberg und der Hausfrau Ada Rheingold ein Sohn geboren, den sie Maurice Raymond nannten. Als der Junge fünf Jahre war, starb sein Vater bei einem Verkehrsunfall; die Mutter heiratete ein Jahr später einen Farmer aus Swan Lake in den Catskill Mountains. Dort wuchs der Junge auf. Die Catskills sind ein idyllisches Mittelgebirge nördlich von New York, sie waren aber damals, in der Weltwirtschaftskrise, vor allem eines: bettelarm. Im Alter von 17 fälschte Maurice seinen Geburtsschein, um früher als erlaubt in den Krieg ziehen zu können. 1944 war er bei der Landung der Alliierten in der Normandie dabei, er gehörte er zu den Befreiern des Konzentrationslagers Dachau und kämpfte spätere in Korea. Dann verließ er die Armee mit Auszeichnung und wurde Versicherungsmanager.
Für Greenbergs Karriere entscheidend war das Jahr 1960. Damals schloss er sich einer kaum bekannten Versicherung namens C.V. Starr & Co an. Der Gründer des Unternehmens war ein Außenseiter namens Cornelius Vander Starr. Er hatte 1919 in Schanghai angefangen, angeblich mit 330 japanischen Yen in der Tasche. Der Erfolg stellte sich relativ schnell ein, weil Starr, anders als die britische Konkurrenz, auch chinesische Manager einstellte. 1925 gründete Starr eine Niederlassung in New York, die nach dem Krieg Firmensitz wurde. "Kleine Gedanken eines kleinen Mannes"
Greenberg stieg bei Starr schnell auf und wurde 1968, nach dem Tod des Gründers, zum Chef. Er krempelte Starrs kleines Reich um. Die Anteile der beiden Firmen C.V. Starr und Starr International Co (Seico) übertrug er auf eine Holding, die er American International Group (AIG) nannte und 1969 an die Börse brachte. Er internationalisierte das Geschäft konsequent und machte aus AIG einen der mächtigsten Konzerne der Welt. Der Gewinn vertausendfachte sich von 13,6 Millionen 1967 auf 14 Milliarden Dollar 2006.
AIG bot Versicherungen für Firmen und Privatkunden auf globaler Basis an, wurde Marktführer im Flugzeugleasing und baute das Geschäft mit gewagten, aber sehr profitablen Finanzprodukte aus. Maurice Greenberg, inzwischen unter seinem Spitznamen "Hank" bekannt, wurde in Davos ebenso hofiert wie in New York und Washington. Seinen Verwaltungsrat bestückte er mit Prominenten wie Richard Holbrooke, heute Afghanistan-Berater von Präsident Barack Obama, Ex-Verteidigungsminister William Cohen oder dem Starökonomen Martin Feldstein.
Bezeichnend ist eine Episode von der AIG-Hauptversammlung 1980. "Ich denke einfach, dass Sie der erstaunlichste, unglaublichste Mensch der ganzen Branche, wenn nicht der Welt sind", rief ein Aktionär Greenberg zu, worauf dieser entgegnete: "Denken Sie, dass ich jetzt widerspreche?" Greenberg war ein Egomane. In seiner Umgebung verbreitete er Furcht und Schrecken. "Das sind kleine Gedanken eines kleinen Mannes", soll er einmal einen Kritiker angeherrscht haben. Zwei seiner Söhne vertrieb er aus dem Unternehmen. Das Magazin Fortune wählte ihn 1980 in die Reihe der zehn härtesten Bosse Amerikas.
http://www.sueddeutsche.de/finanzen/165/460796/text/
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