Trinkt doch Saft Der erste Einkaufstag der neuen Verpackungsverordnung / Von Mechthild Küpper
BERLIN, 2. Januar. Das Dosenpfand ist ein schwerer Schlag für alle, die mobil leben. Selbst im Edeka-Supermarkt im Berliner Bahnhof Friedrichstraße, in dem sicherlich viele Kunden Reiseproviant kaufen, gibt es kein Pardon: Einwegplastikflaschen und Dosen mit Bier, Mineralwasser und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke werden nur noch gegen ein Pfand von 25 Cent (für den kleinen Behälter) oder 50 Cent (für den großen) verkauft. Der Kunde erhält einen zweiten Kassenbon, auf dem ihm die Zahlung bestätigt wird, und mit diesem Stück Papier sowie den intakten leeren Flaschen beziehungsweise Dosen kann er nach Genuß des Getränks in derselben Filiale das Geld wiederbekommen. In derselben, keiner anderen, und schon gar nicht in einer anderen Stadt. An der Kasse liegen Informationsblätter, die in gräßlicher Prosa erklären, daß sich die Leitung des Ladens entschlossen hat, "Einweggetränke wie folgt zu bepfanden". Sollten Kunden sich nicht vorstellen können, wegen 25 Cent aus, sagen wir, Göttingen wieder nach Berlin zurückzukehren, so werden die Verkäufer ihnen wohl sagen: Trinkt doch Saft. Oder ihnen raten, statt Bier und Sprudel eines der vielen in Dosen abgefüllten dubiosen "alkoholischen Mischgetränke" mit auf die Reise zu nehmen.
Bei der ebenso privilegiert zwischen U- und S-Bahnhof gelegenen Lidl-Filiale am Innsbrucker Platz im bürgerlichen Schöneberg reagierte der Filialleiter schon unwirsch auf die Frage, wie denn der erste Tag mit dem neuen Dosenpfand so laufe: Für ihn war der Donnerstag gar nicht der erste Tag, und bei ihm stünden sie schon Schlange mit ausgetrunkenen Dosen und Flaschen, um ihr Pfand wiederzubekommen. "Ein großes Chaos", mehr sagte er nicht, bevor er hinter den Kulissen verschwand. Dabei sichert das Geschäft seinen Kunden auf Flugblättern sogar zu, daß die alle dort "gekauften bepfandeten Verpackungen" in jeder Filiale zurückgegeben werden können.
Das ist doch ein Angebot, zumal es ein echtes Sonderangebot enthält: Die 0,5-Liter-Dose mit Grafenwalder Pils in Premium-Qualität kostet 29 Cent (plus 25 Cent Pfand). Die Herrschaften, die so gern im Trainingsanzug, links die Büchse Bier, rechts das brennende Zigarettchen, im Bushäuschen verweilen, werden es zu schätzen wissen, daß sie nicht mühsam ihr Vormittagsbierdöschen nachmittags wieder an den Laden an der Heimathaltestelle zurücktragen müssen. (Fortsetzung Seite 2; siehe Wirtschaft.).
Im Drogeriediscountladen, der in den letzten Monaten den auch für zarte Damen ohne Mann im Haus wunderbar leicht zu schleppenden Sechserpack mit 1,5-Liter-Einwegflaschen Mineralwasser immer mehr Platz auf seinen Regalen eingeräumt hatte, hat man sich die lästige Sache mit dem Pfand ganz einfach vom Leib geschafft: Erst gab es einen Ausverkauf zum halben Preis, und nun gibt es keine Einwegverpackungen mehr. Nach den "letzten Feiertagen mit Büchsenbier", wie die Räumaktion und ihre Folgen genannt wurden, geht es nunmehr bei Aldi und Schlecker neuerdings so umweltfreundlich zu, wie es nur in Bioläden schon lange üblich war. In einer Filiale der Bio-Genossenschaft "LPG Naturkost" betreibt man schon seit langem eine große Annahmestelle für alle möglichen Arten von Mehrweg-Behältnissen mit Pfand. Doch Waren in Einwegflaschen oder Dosen werden dort gar nicht verkauft. Wohl aber werden Korken angenommen, die aus der Sorte Einweg-Glasflasche gezogen worden sind, die nach wie vor ohne Pfand zu haben ist, nämlich Wein- und Sektflaschen. Für irgend etwas müssen die drei Riesenbehälter des Glas-Recycling, die alle deutschen Gemeinden verschandeln, schließlich noch gut sein.
Über 95 Prozent der Geschäfte, so ergaben Testkäufe in tausend Läden in Deutschland nach Schätzung von Umweltverbänden, hielten sich schon am Montag an die neue Verpackungsverordnung. Ein netter Kreuzberger Gemüsehändler aber sagte seinen Kunden, er halte es für Betrug, die paar Dutzend Dosen, die er noch feilhält, mit Pfand zu verkaufen - er habe für sie schließlich ja auch kein Pfand bezahlt!
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.01.2003, Nr. 2 / Seite 1
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