Was der moderne Mensch in der heutigen Zeit denken darf, entscheidet sich danach, wo er lebt. Cuis occupatio, eius constitutio heißt die Formel, nach der die Westmächte das Denken dieser Welt nach ihren Maßstäben aufteilten und gegenwärtig gemäß ihrer ideologischen Wertvorstellung aufteilen. Es ist die Abwandlung der berühmten Formel des Augsburger Religionsfriedens von 1555 – Cuis regio, eius religio (Wessen Land, dessen Religion), womit nichts anderes gemeint war, als dass die Untertanen die Konfession ihres Fürsten annehmen mussten, in dessen Gebiet sie lebten. Wer seine Konfession wechseln wollte, musste auswandern. Dieser Grundsatz war der Kernpunkt des Augsburger Religionsfriedens im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, der die Rechte von Katholiken und Lutheranern im öffentlichen Leben regeln sollte. Damit erhielten die Fürsten und Territorialherren die Freiheit, für sich und ihre Untertanen über die Konfession zu entscheiden. So wurde das evangelisch-lutherische Bekenntnis zugelassen und erstmals die Koexistenz zweier unterschiedlicher Glaubensrichtungen im Heiligen Römischen Reich anerkannt.
Der Staatsrechtler Hans Peter Ipsen wandelte 1949 das Prinzip so um, dass nicht mehr der Fürst die Konfession, sondern der Besatzer die Verfassung bestimme, um die Situation im Nachkriegsdeutschland zu beschreiben. So war den Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone lediglich marxistisches Denken erlaubt, und lediglich antifaschistische Lehren aus der Vergangenheit durften gepredigt werden. Die Führung des aus dem Boden gestampften Regimes musste sich entsprechend der Ideologie der Besatzungsmacht, an dem sogenannten Zentralismus der UdSSR orientieren.
Der zweite deutsche Staat entstand im selben Jahr und im selben Herbst, aber mit einer völlig anderen Ideologie. Im Westen entstand die Bundesrepublik Deutschland als eine parlamentarische Demokratie. Diese orientierte sich gemäß der Vorstellung der Westmächte an dem militärisch entstehenden Bündnissystem des Westens. Der Interessensgegensatz zwischen dem politischen System der UdSSR einerseits und der Westmächte andererseits machte sich an den unterschiedlichen sozialen, politischen und vor allem wirtschaftlichen Konzepten bemerkbar, die die beiden Systeme verfolgten. Während man in der BRD den wirtschaftlichen Aufbau nach dem Muster einer kapitalistischen freien Marktwirtschaft vorantrieb, war der Osten Deutschlands, die DDR, geprägt von der Durchsetzung einer am Sozialismus der UdSSR orientierten Planwirtschaft. Was die Deutschen von nun an vertraten, entschied sich also danach, wo, bzw. in welcher Besatzungszone sie lebten. Das deutsche Volk erlebte auf zwei Seiten einen Systemwechsel, der laut dem deutschen Politologen Helmut König ein hochkomplizierter Prozess war, der von den Amerikanern schon seit 1940 mit viel Aufwand und Sachverstand vorbereitet worden war. Deutschland sollte demokratisiert werden.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch des Kommunismus ist der Welt der Kapitalismus geblieben, der seitdem das Prinzip "Unter wessen Besatzung ich lebe, dessen Verfassung [Ideologie] nehme ich an" für sich alleine beansprucht. Dies erklärt die Tendenz der USA, die Dritte Welt im Allgemeinen und die islamische Welt im Besonderen von nun an alleine demokratisieren zu wollen. Entwicklungshilfe wird von demokratischen Reformen abhängig gemacht, südliche Diktatoren müssen sich Belehrungen und Druck gefallen lassen. Selbst die Weltbank hat, wenn auch oft hinter dem Begriff good governance verborgen, die Demokratie in der Dritten Welt als Ziel entdeckt. Die US-amerikanische Regierung hatte bereits unter Präsident Reagan einen "Kreuzzug für die Demokratie" ausgerufen, der jetzt unter anderen Vorzeichen von der Bush-Administration fortgesetzt wird. Auch die Europäische Union gefiel sich Anfang der Neunzigerjahre darin, Entwicklungshilfe von Demokratisierung abhängig machen zu wollen. Und die Wissenschaft hat eine neue "Welle der Demokratie“ ausgemacht, die die Dritte Welt und Osteuropa erfasst habe. Experten sprechen davon, dass Demokratie nicht nur ideologisch attraktiver als ihre Alternativen sei, sondern auch wirtschaftlich und militärisch stärker. Man befinde sich zumindest am Beginn einer dauerhaften Periode friedlicher demokratischer Vorherrschaft – einer Art Pax Democratica.
Den Beweis, dass Demokratisierung nach einer Diktatur möglich sei, lieferte Deutschland nach 1945. Hier wird nur ein winziger Aspekt außer Acht gelassen: Demokratisierung war niemals Grund amerikanischer oder allgemein europäischer Operationen, sondern immer schon Folge und Resultat geopolitischer Ziele und Interessen. Mittel- und Südamerika können bis heute ein Lied davon singen und die islamische Welt ganze Arien.
Kaum jemand kann sich an den Plan des US-Finanzministers Henry Morgenthau jr. erinnern, der vorsah Deutschland zu entmilitarisieren, zu verkleinern und auf den Status eines Agrarstaates zurückzuführen. Er wurde nur deswegen nicht ausgeführt, weil man Deutschland als Puffer und Frontstaat gegen Stalin und den expandierenden Sowjetimperialismus brauchte und aufbauen wollte. Stattdessen kam es zum Marshall-Plan und in der Folge zum Wirtschaftswunder und zur Westbindung. Hierfür gibt es bis heute immer noch Kniefälle und Dankbarkeitsbekundungen.
Gerne hätte man heute diese Dankbarkeitsbekundungen und Kniefälle aus dem Irak. Dies erklärt auch, warum die Bush-Administration sofort einen Richtungswechsel in der Rechtfertigung ihres Präventivkrieges gegen den Irak vollzogen hat. Nachdem sich die Verbindung zwischen Al-Qaida und dem irakischen Diktator als gewaltiger Bluff herausgestellt und sich auch der Nachweis für den Besitz von Massenvernichtungswaffen als große Lüge erwiesen hat, präsentiert sich die US-Regierung offenkundig als "gütige Hegemonie" mit zweifelsohne selbstlosen und uneigennützigen Motiven. Es gehe in Wirklichkeit nicht mehr um Terrorabwehr, Öl, Abrüstung oder geostrategische Ziele, sondern um die Realisierung einer beispielhaften Demokratie im Zweistromland. Mit viel Kriegsromantik, Propagandalärm und rhetorischen Trompetenstößen versucht man jene Ideen unters Volk zu bringen, die im Herbst 2002 einige Chefplaner am Schreibtisch ausgebrütet haben. Nach diesem Plan erwarte die Iraker im Nachkriegsirak "eine leuchtende Zukunft". Natürlich "haben Menschen das Recht, in Freiheit und nicht in Tyrannei zu leben. Das irakische Volk verdient dieses Recht ebenso sehr wie die Europäer oder Amerikaner", so Rice in noch mehr kriegsverklärender Rhetorik.
Dieses Spiel mit den Sehnsüchten der Menschen nach Glück, Wohlstand und Freiheit ist nicht neu, sondern war schon immer Bestandteil des Kolonialismus. Interessen, seien sie nationaler oder globaler Natur, haben sich immer schon mit visionären Ideen gepaart oder sich hinter ihnen versteckt. Das war bei den Conquistatoren in Südamerika schon so; das haben Briten, Deutsche und Franzosen in Afrika und Asien so gemacht, und das wird auch im Mittleren Osten nicht anders sein. Stets geben oder gaben die "Befreier" vor, eine Mission zu haben und bzw. oder im "höheren Auftrag" zu handeln.
Die Politik der Westmächte gegenüber der restlichen Welt, die abfällig Dritte Welt genannt wird, war von zwei scheinbar gegensätzlichen, tatsächlich aber eng verknüpften Aspekten geprägt. Es ist nicht überraschend, dass es immer um die Mehrung des eigenen Nutzens ging, um die wirtschaftlichen, politischen, strategischen und immer den damit verbundenen ideologischen Interessen: Exportmärkte, Zugang zu Rohstoffen, die Ausschaltung lästiger Konkurrenz, Militärstützpunkte, Siedlungsgebiete für "überschüssige" eigene Bevölkerung, die Sicherung von Seehandelsrouten. Diese und weitere Faktoren haben die Westmächte gegenüber der restlichen Welt geprägt. Kolonialismus und indirektere Formen imperialer Kontrolle wären ohne handfeste Interessen kaum sonderlich interessant gewesen. Zugleich aber waren Kolonialismus und imperiale Dominanz immer höchst moralische Unternehmungen. Die Kontrolle der so bezeichneten Dritten Welt wurde auf diese Weise altruistisch verklärt. Sie wurde zum zivilisatorischen Akt. Den Barbaren sollten die Segnungen westlich-abendländischer Kultur zuteil werden. Imperialismus und Kontrolle der Dritten Welt durch die Westmächte waren subjektiv häufig Hilfsakte, um die Barbaren aus Unwissenheit und Armut zu retten. Lange Zeit kam dieser missionarische Eifer im religiösen Gewand als Christianisierung. Es galt Seelen zu retten, indem die Barbaren zuerst unterworfen und dann christianisiert wurden. Die Bibel folgte dem Schwert oder umgekehrt, je nach Bedarf. Und der letzte Akt der Unterwerfung einer fremden Kultur bestand darin, diese zu retten, indem man sie verwestlichte. Nur die Übernahme der Ideologie, der Religion des Westens, würde die Seelen der Barbaren vor der Verdammnis bewahren, so auch heute in Afghanistan und im Irak, die aus der tiefsten Dunkelheit ins Licht geführt werden, geleitet von der "Fackel der Demokratie".
Demokratie ist immer noch ein öffentlich erklärtes Ziel des Kapitalismus, um eben diese Religion des Westens durchzusetzen. Dass man Demokratie, freie Wahlen und Menschenrechte immer dann als zweitrangig betrachtete, wenn die eigenen Interessen bedroht schienen, fallen dabei nicht weiter ins Gewicht Die von der CIA und anderen Diensten inszenierten bzw. massiv geförderten Staatsstreiche gegen demokratische und gewählte Regierungen im Iran (1953), Guatemala (1954), Brasilien (1964) oder Chile (1973) sind nur einige der bekanntesten Beispiele. Solche Operationen wurden in der Regel mit dem Kalten Krieg begründet, mit einer wie auch immer gearteten sowjetischen Bedrohung. Dies bedeutet nicht, dass es nicht handfeste Gründe für entsprechende Interventionen unabhängig vom Ost-West-Konflikt gegeben hätte, wie etwa die westlichen Ölinteressen im Iran als wesentlicher Antrieb zur Förderung des Umsturzes von 1953.
Der damalige US-Außenminister John Foster Dulles erläuterte den Zusammenhang von Interessen und Ideologie 1954 am Fall Guatemala. Dort hatte eine demokratisch gewählte Regierung eine Landreform durchgeführt und so die Interessen des US-amerikanischen United Fruit Konzerns beeinträchtigt, der in dem mittelamerikanischen Land unter anderem riesige Bananenplantagen betrieb. Dulles sagte hierzu: "Selbst wenn die Probleme von United Fruit gelöst würden, wenn sie uns für jede Banane ein Stück Gold gäben, würde das Problem des Zustandes kommunistischer Infiltration in Guatemala bleiben. Darin besteht das Problem, nicht in United Fruit.“ Sowohl John Forster Dulles als auch sein Bruder und CIA-Direktor Allen Dulles waren der United Fruit wirtschaftlich verbunden. Der Fall Guatemala ist besonders interessant, da von einer kommunistischen Unterwanderung auch bei großzügiger Interpretation keine Rede sein konnte. Die Regierung war eher sozialdemokratisch, pragmatisch-nationalistisch orientiert, und sie war aus freien Wahlen mit breiter Mehrheit hervorgegangen. Trotzdem wurde sie durch die CIA Operation Success gestürzt und durch eine ungemein blutige Diktatur ersetzt. Der Diktator wurde mit dem Flugzeug des US-Botschafters zur Machtübernahme in die Hauptstadt geflogen.
Der Westen steht Begriffen wie Demokratie, Menschenrechte und Völkerrecht sehr ambivalent gegenüber. Während man heute, wie im Falle des Irak, die Demokratie aggressiv durchsetzt, zerstörte man in anderen Fällen eben eine Demokratie durch westliche Regierungen. Wesentlich häufiger waren und sind jedoch Praktiken, in denen Demokratien aufgezwungen werden, Militärs gegenüber zivilen Politikern gestärkt werden oder hinter den Kulissen Einfluss darauf genommen wird, Gewerkschaften, linke Parteien oder Bauernverbände von der Macht fernzuhalten. Darüber hinaus gab es Situationen, in denen man auf Wahlen drängte, dann aber mit deren Ergebnissen unzufrieden war und deshalb ihren ordnungsgemäßen Ablauf bestritt – wie in Nicaragua im November 1984, obwohl zahlreiche kompetente internationale Beobachter sie für fair und frei erklärten. Genauso schnell war man dabei, erkennbar gefälschte Wahlen als demokratisch und korrekt zu akzeptieren. Eben dies hatte man sechs Monate zuvor in Panama getan, als General Manuel Noriega ebenso plump wie offensichtlich die Wahlen manipulierte. Selbst nachdem alle Fakten lange auf dem Tisch lagen, erklärte der zuständige Beamte des US-Außenministeriums, die Wahlen "scheinen Panama in den Strom in Richtung Demokratie zu befördern, der sich in dieser Hemisphäre so mächtig bewegt“.
Wer glaubt, dass diese Machenschaften der Vergangenheit angehören irrt gewaltig, denn heute bombardiert man die islamische Welt in Richtung Demokratie. Wahlen "scheinen Afghanistan und den Irak in den Strom in Richtung Demokratie zu befördern, der sich in dieser Hemisphäre so mächtig bewegt". Mit dem Siegesfeldzug über die Diktatur wollte man die Folter abschaffen und foltert, weil Diktatur manchmal scheinbar doch so gut ist, um sich vor den Hassern der Freiheit zu schützen. Dann wiederum möchte man z. B. die Iraker überzeugen, dass Wählen eine gute Sache ist, und dass sie bald eine richtige Verfassung hätten und eine Exekutive, nur dass immer noch Exekutive mit Exekution verwechselt wird. Die Wahlen haben nichts an dem Status des Irak geändert. Der Irak bleibt auch danach ein illegal besetztes Land, das seine Souveränitätsrechte nicht voll wahrnehmen kann, weil die einheimischen Behörden dem Willen der Besatzer unterliegen. Diese sind weiterhin die eigentlichen Machthaber im Lande. Die nachträgliche Zustimmung einer von der Besatzungsmacht abhängigen Regierung zu einer im Wege einer völkerrechtswidrigen Aggression erreichten fremdländischen Besetzung kann aus einem besetzten Land keinen unabhängigen Staat machen. Es ist die zerstörerische Umsetzung des von Ipsen formulierten Prinzips. Dieser ideologische Imperialismus ist das Mittel der kapitalistischen Staatsmaschinerie, um die Welt zu beherrschen, so wie es auch vorher der Kommunismus versucht hat, der im Grunde ebenfalls den Demokratiebegriff für sich nutzen wollte.
Dies sind alles Fakten, sie sind keine Erfindung aus Federn einfacher "Demokratiehasser" oder "Hassern der Freiheit" – Fakten, die auch allein genommen ohne tiefere ideologische Interpretation für sich sprechen müssten oder zumindest Fragen aufwerfen sollten. Aber dennoch stimmen Muslime immer noch in die "Rufe nach Demokratie" in vollem Stimmeinsatz mit ein. Die Realität der Muslime ist eine Botschaft, und es ist niemandem damit geholfen, die verdrehte und manipulierte Realität derjenigen zu übernehmen, die einen Schöpfer negieren.
Demokratie wird die Umma nicht befreien. Der Weg der Befreiung führt nur über den Weg des Propheten und seine Offenbarung, die den Muslimen klar und deutlich sagt: "Und wer eine andere Glaubensordnung sucht als den Islam: niemals soll sie von ihm angenommen werden, und im Jenseits wird er unter den Verlierern sein"(Sure 3, Vers 85) Dieser Weg ist vor 1400 Jahren erfolgreich von jenen beschritten worden, die daran glaubten, dass der Erfolg von Allah (t) abhängt, und sie waren erfolgreich.
VON: KALIFAT.COM
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