Der Vorwurf wiegt schwer. 1300 Tote, 5000 Verletzte, zerstörte Wohnhäuser und Felder - die Bilanz in Gaza lässt den Schluss auf Kriegsverbrechen zu. Der Vorwurf wird gegen Israels Armee erhoben aber auch gegen die in Gaza regierende Hamas. Beide Kriegsparteien sollten aber nicht leichtfertig beschuldigt werden. Krieg ist immer schrecklich. Meist sterben mehr Alte, Frauen und Kinder als Uniformierte oder Guerilleros. Das liegt an den Methoden der modernen Kriegsführung. Panzer, Kampfflugzeuge und Raketen stehen gegen die Kriegstechnik von Untergrundkämpfern. Es gibt da eine gewaltige Grauzone: Was ist völkerrechtlich erlaubt, was nicht? Auch das 21. Jahrhundert kennt keinen sauberen Krieg. Aber es gibt Maßstäbe. Sie sind in der Haager Landkriegsordnung und in den Genfer Konventionen festgelegt. Sie gelten auch in Gaza: Der Einsatz von Gewalt muss auf das zwingend notwendige Maß beschränkt bleiben. Das Rechtsinstrumentarium ist erkennbar lückenhaft. Die Methoden der Guerilla-Kämpfer entziehen sich der Kriegsordnung zwischen Staaten. Deswegen sind sie nicht entschuldbar. Genauso wenig ist zu entschuldigen, wenn die Methoden einer Armee gegen die Guerilla auch keiner Kriegsordnung gehorchen. Als Kriegsverbrechen gelten der bewusste kriminelle Akt gegen Soldaten und Zivilisten oder der rücksichtslose und gezielt übermäßige Einsatz von Gewalt. In Gaza sind Schulen der Vereinten Nationen offenbar gezielt beschossen worden, auch das UN-Hauptquartier. Die Standorte waren der israelischen Armee bekannt. Israel führt an, Hamas-Kämpfer hätten aus der Nähe der Gebäude geschossen. Der UN-Generalsekretär bestreitet dies und fordert eine Untersuchung. Das Rote Kreuz, bedacht auf Neutralität in Konflikten, protestiert lautstark gegen den Beschuss von Ambulanzen. Die Hamas-Raketen wiederum zielten auf Wohnhäuser, Kindergärten und Schulen ohne militärischen Wert. Sie flogen jahrelang und töteten Zivilisten. Nur Völkerrechtler und Militärexperten können beurteilen, was geschehen ist. Dazu müssen sie Beweise sammeln, keine Emotionen. Das wird schwer, das wird dauern. Aber es kann funktionieren. Der Kriegsschauplatz ist überschaubar: 360 Quadratkilometer in Gaza und die Städte und Kibbuze in Südisrael. Es gibt unparteiische Augenzeugen wie die UN-Mitarbeiter, und es gibt Analysen von Menschenrechtlern. Es gibt die Erklärungen der israelischen Armee. Und auch die Hamas wird sich äußern müssen, nachdem sie ihre Kämpfer so auffällig aus dem Rampenlicht gezogen hat. Juristisch alleine lässt sich der Fall nicht klären. Krieg ist immer auch ein politisches Instrument. Israel wollte den Raketenbeschuss unterbinden und die Hamas schwächen, wenn nicht gar niederzwingen. Das ist legitim. Aber beide Ziele wurden nur teilweise erreicht. Nach dem einseitig von Israel verkündeten Waffenstillstand flogen wieder Raketen. Und Israel will lediglich 250 von 10000 militanten Kämpfern getötet haben. Die Zerstörung der Infrastruktur der Hamas ist groß. Aber die meisten ihrer Führungsfiguren haben überlebt. Israel wollte die Schmugglertunnel nach Ägypten zerstören - sie werden bereits wieder repariert. Israel verfolgte vor allem auch ein politisches Kriegsziel: Die Regierung Olmert wollte die Glaubwürdigkeit der israelischen Abschreckung wiederherstellen. Im Libanon-Krieg 2006 hatte der Ruf der Armee als kampfstärkste Truppe in Nahost gelitten. Sie konnte der Hisbollah nicht Herr werden. Der Gaza-Krieg hat diese Abschreckung wiederhergestellt - auf denkbar brutale Weise. Nur so ist der Einsatz einer Kriegsmaschinerie zu erklären - der Kampf gegen Hamas-Militante hätte nämlich auch anders geführt werden können. Israel argumentiert, dass sich ein Krieg gegen eine im Schatten von Zivilisten operierende Guerilla-Organisation nicht ohne Tote unter eben diesen Zivilisten führen lässt. Das stimmt. Aber warum werden Wohngebiete mit weit streuender Artillerie und Phosphormunition beschossen? Warum wurden nicht mehr Präzisionswaffen verwendet, bei denen zumindest eine höhere Gewissheit besteht, dass sie nicht das Kinderzimmer im Nebenhaus treffen? Und die Hamas? Sie hat Israel mit Raketen beschossen, um ein Ende ihrer selbstverschuldeten politischen Isolation zu erzwingen. Militärisch wertlose Nadelstiche waren das, aber es kamen Zivilisten ums Leben. Mit einem Angriff dieser Wucht haben die Islamisten nicht gerechnet, sie haben sich verkalkuliert. Auf Kosten von 1300 Menschen. Ihre Militanten haben zwischen Zivilisten gekämpft - und sie bewusst den Bomben ausgesetzt. Legitim ist das nicht. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um ein Kriegsverbrechen. Ob Generalstabschef oder Milizenführer, ob Premier oder Islamisten-Chef - die Verantwortlichen sollten sich verantworten. Krieg ist ein zu blutiges Geschäft, um ihn als Wahlkampf-Instrument (in Israel) einzusetzen oder um die Hamas als Gesprächspartner der Weltgemeinschaft durchzusetzen. Das alles ist eine Untersuchung wert. Nicht in Talkshows. Sondern vor internationalen Institutionen. |