So, ich habe es nun auch geschafft, mich durch den Jahresbericht sowie durch die aktuelle Präsentation durchzuarbeiten und nebenbei noch meiner Erwerbsarbeit nachzugehen... Schauen wir doch mal, was mir aufgefallen ist:
Fangen wir mit den bisherigen Zielgrößen Umsatz, eigene F&E und adj. Ebitda an.
1) Umsätze trotz Cyberangriff gestiegen. Während man im ersten Quartal noch 30% über Vorjahresquartal lag (Rekordquartal), war es am Ende des Jahres 23 nur noch 4 %. Ca. 70 Millionen schätzt man die entgangenen Umsätze im Basisgeschäft, also nicht stattgefundene Aufträge weil potenzielle Kunden sich gleich eine andere CRO gesucht haben. Ohne die neue Biologika-Sparte wäre sogar ein Umsatzrückgang zu verzeichnen gewesen... Auch bei Innovate lief es nicht und es wurden 13,3 Millionen weniger Umsatz aus Meilensteinen generiert als im Vorjahr. Forschungserfolge sind nicht planbar, deswegen erwarte ich da (derzeit) gar nichts, aber natürlich hätte ich mich über eine Meilenstein-Überraschung gefreut, die man natürlich aber schon über das Jahr hätte kommen sehen müssen, da die relevanten Meilensteine ja meist einzeln verkündet werden...
Insgesamt also nur 4% Umsatzwachstum bei praktisch gleichgebliebener Kundenanzahl. Das ist natürlich für ein Wachstumsunternehmen desaströs. Die Biologika-Sparte "Just Evotec Biologics" war die Umsatzrettung und das zeigt sich auch in der geplanten neuen Berichterstattung...dazu später mehr. Die Auftragsforschung und die Erlöse aus der Pipeline konnten jedenfalls nach dem Cyberangriff nicht mehr die ursprünglichen Ziele erreichen, die Prognose wurde nach unten angepasst.
Für 2024 wird jetzt "Resetting" angestrebt, was natürlich nicht gut klingt. "Never change a runnig system" ist mehr mein Leitspruch und bei Evotec hat der Cyberangriff wohl einiges ausgelöst. Was wird nun im Umsatz prognostiziert? Niedriges zweistelliges Umsatzwachstum und wenn man jetzt ganz schockiert, vom niedrigst denkbaren zweistelligen Umsatzwachstum ausgeht, dann wären wir bei 10% und damit bei grob 860 Mio Euro in 2024 ganz konservativ). 2025 wäre dann immer noch die Umsatzmilliarde möglich, wie es ja auch vom Management weiter angestrebt wird. Ob da nun Aufträge von Kunden gewonnen werden können, die Evotec während der Auswirkungen des Cyberangriffes nicht bekommen hat, oder ob "Just" weiter so brutal wächst und die Auftragsforschung im Umsatzmix weiter verdrängt oder ob gar Meilensteine eine signifikante Rolle in 2024 spielen werden, bleibt abzuwarten... Grundsätzlich jedoch zeigt sich die Entscheidung (ja auch von WL) im Jahr 2019 "Just" zu kaufen und auf Biologika als Hersteller zu setzen(neben dem Forschungsgeschäft) bisher als Erfolg. Craig Johnstone und sein Team leisten einen Super-Job.
2) Die unverpartnerten Forschungsausgaben symbolisieren den Anspruch Evotec ein weltweit führendes Unternehmen der medizinischen Forschung zu sein. Investitionen in die Forschungsplattformen und das eigene Vorantreiben in Pipeline-Assets ohne Partner bis zu dem Zeitpunkt, wo ein Partner am Horizont auftaucht und in das Projekt einsteigt und die Finanzierung übernimmt, sind sozusagen die Voraussetzungen für zusätzliche Umsätze von übermorgen. Das gesagt, so wurde in 2023 ein Minus von 8 % bei den unverpartnerten Forschungsausgaben im Vergleich zu 2022 erzielt. Und natürlich wurde auch die urspüngliche Prognose für 2023 verfehlt. Mit dem Cyberangriff und den daraus resultierenden Umsatzeinbrüchen konnte man es sich schlicht nicht leisten, die unverpartnerten Programme wie geplant weiter zu betreiben.
Für ein Wachstumsunternehmen wie Evotec mit dem bisher kommuniziertem weltweitem Anspruch von Evotec ist das wieder desaströs. Und damit nicht genug..., wird für 2024 gleich nochmal eine Reduktion angekündigt. Ich gehen hier von mind. 10 % Reduktion aus, was diese Ausgaben 2024 irgendwo bei 58 Millionen landen lassen würde, was Evotec bereits 2021 erreicht hatte... Ich denke ein Teil der Kursereaktionen bei Bekanntgabe der Zahlen lassen sich so begründen, hier hat ein Unternehmen offen davon Abstand genommen weltweit eine führende Rolle in der Wirkstofforschung einzunehmen. Was genau wurde nun gespart? Seite 37 im GB 23 zeigt die absoluten Zahlen, in den Bereichen Neurologie/Schmerz, ansteckende Krankheiten und Investitionen in die Plattformen. Nun in Folie 22 der Präsentation ist von "first-in-class"-Projekten die Rede, auf die man sich weiter fokussiert...keine Rede ist mehr von "best-in-class"...das bedeutet für mich, dass man in den Schwerpunkt-Indikationen vorerst zumindest nur noch dort weiter unverpartnert und mit eigenem geistigem Eigentum forscht, wo man auch am ehesten eine Erstzulassung am Markt annehmen könnte...Projekte, wo andere schon weiter sind, werden demgegenüber zurückgestellt. Ob unter dem neuen CEO und mit dem neuen Aktionsplan 2030 (den ich erwarte) der Leistungsindikator "unverpartnerte F&E" überhaupt weiter fortgeführt/reported wird, bleibt abzuwarten.
3) Wenn die Umsätze wegbrechen und man sogar bei den prestigeträchtigen eigenen Forschungsaufwendungen sparen musste, dann wird unten das Ergebnis am meisten leiden...So kam es dann natürlich auch. Der Leistungsindikator "adjustiertes Ebitda" brach 2023 um 35% ein und ist die logische Folge des Cyberangriffs. Genaueren Einblick liefert hier die Segmentberichterstattung der Seiten 39-41 des GB 2023. Die Hauptlast des Cyberangriffes musste Execute tragen, dort waren die IT-Systeme, welche zeitweilig abgeschaltet wurden, lokalisiert ... Von einem positiven Ergebnisbeitrag in 2022 gelangte man zu einem negativem Ergebnisbeitrag in 2023.
Lichtblick war hier das Segment Innovate, welches laut Bericht weniger vom Cybervorfall betroffen war. Mehr Umsätze in 2023 und eine bessere Fixkostendeckung der beitgestellten Forschungsplattformen sorgte für ein leicht positives adjustiertes Ebitda und ein stark verbessertes, wenn auch noch immer negatives operatives Ergebnis gegenüber 2022. Auch die Bruttomarge von Innovate erhöhte sich auf starke 31%. Und das, obwohl ja die Meilensteine in 2023 (welche Innovate zugerechnet werden) gar nicht so gut liefen. Das Basisgeschäft im Bereich Innovate mit den festen Kooperationen mit BMS und anderen sorgte hier für das Umsatzwachstum.
Für 2024 rechnet man insgesamt mit "mittleren zweistelligem" Wachstum des adjustieren Ebitda, konservativ könnte man also hier mit einem Ebitda von reichlich 100 Millionen in 2024 rechnen. Was wieder dem Stand von 2021 entsprechen würde. Die bisher angepeilten 300 Millionen in 2025 erwähnt man nicht mehr.
Was bleibt nun von den Zahlen und den derzeitigen Prognosen? Ist Evotec auf dem Stand von 2021?
Evotec will "leaner" werden. Man will sich für profitables Wachstum resetten, sich ein bisschen neu erfinden und wahrscheinlich auch zukünftig besser einschätzbar sein für den Kapitalmarkt. In der aktuellen Präsentation auf Seite 21 wird eine Änderung der Segmentberichterstattung angekündigt, welche ab Q1 24 angewendet werden soll. Das bisherige Basisgeschäft ohne die Biologika-Sparte wird nun zum Segment "Shared R&D", dort fließen auch die (derzeit kaum existenten) Innovate Meilensteine rein, aber auch die bisher gut wachsenden Basisgeschäfte mit festen Partnern des Segment Innovate. Tatsächlich macht das Sinn, weil Evotec die Kunden ja auf seinen Forschungsplattformen halten will und ob die Kunden nun mit eigenem Wissen auf den Evo-Plattformen forschen (vormals Execute) oder zusammen mit Evotecs geistigen Eigentum auf den Evo-Plattformen forschen (vormals Innovate), ist tatsächlich für die Arbeit der Plattformen egal. Evotec ist ein Plattformunternehmen und stellt als Dienstleister Forschungskapazitäten für alle bereit. Dies ist nun das Segment "Shared R&D".
Alles was nicht auf dieser "Shared R&D"-Plattform läuft, ist die Biologika-Sparte "Just Evotec Biologics", welche nun ein eigenes Segment wird und wo derzeit die Wachstumsphantasie spielt. Der JPod2 in Frankreich wird dieses Jahr fertiggestellt werden und dann ab 2025 signifikante Ergebnisbeiträge bringen, das wird sich dann ab 2025 stark auf das Ergebnis auswirken. Bisher wurde Just-Evotec-Biologics in den Geschäftsberichten als Ergebnis-belastung ausgewiesen (Ergebnis plus Ergebnis ohne Just). Nun mit der neuen Berichterstattung zum Segment "Just Evotec Biologics traut man der Sparte nicht nur Umsatzbeitrag sondern auch Eregbnisbeitrag zu.
Wie stark dieser Effekt sein wird, sollte man dann anhand der neuen Segment-Berichterstatung erkennen können. Ich gehe aber von Ebitda-Margen in der Sparte von mindestens 20% aus, wenn Bau-/Investitionskosten der beiden Anlagen ab Ende 2024 langsam wegfallen (immerhin jährlich ca. 100+ Mio seit 2021...). Wenn man also konservativ von 100 Mio Ebitda in 2024 ausgeht und dann ab 2025 die jährlichen Baukosten von ca. 100 Mio. abzieht, wären wir schon bei 200 Mio Ebitda, dann darauf die wachsenden Umsätze, mit hoffentlich bis dahin wieder gestiegenen Margen und je nachdem wie schnell der Jpod2 in Frankreich ausgelastet wird (hat man Erfahrungen gesammelt aus der langsamen Auslastung des Jpod1 in den USA 2022?) dann kann es da signifikant über 200 Mio hinausgehen. Ob es für 300 Mio Ebitda reicht in 2025? Was ist wenn Meilensteine und Abschlagszahlungen zur Abwechslung mal wieder positiv überraschen...? Seite 70 des GB sagt genau das aus, denn eingeplant ist bisher gar nichts davon bei Evotec, auch nicht bei den Prognosen. Und meiner Meinung nach auch nicht im Kurs...
Folie 23 der Präsentation zeigt die Möglichkeiten. Die nun zwei separaten Berichts-Segmente Shared R&D und Just Evotec Biologics machen zusammen 95% der Umsätze aus...Meilensteine Und Royalties unter ferner liefen. Was ist wenn hier in der Pipeline etwas positiv passiert? Diese Zahlungen laufen direkt in das Ergebnis, alle Kosten sind dafür bereits bezahlt bzw. Dienstleistungen geliefert...diese Phantasie bleibt bei Evotec immer, wenn auch eine Nummer kleiner als in der klassichen Biotechnologie (die aber derzeit auch vom Markt abgestraft/neu bepreist wird).
Die Nummer kleiner ist hier bei Evotec das Stichwort. Unter WL war Evotec das Ding mit der "Autobahn to cures", schnelle Erfolge und globale Führung wurden angestrebt ...nun will man mit einem "Reset" hin zu profitablem Wachstum und sich auf die aussichtsreichen Projekte fokussieren. Nun kennen wir die Artund Weise des neuen CEO noch nicht, aber rhetorisch ist das schon eine Nummer kleiner.
Aber stört mich das? -> Nein. Für mich war das Geschäftsmodell von Evotec ausschlaggebend für mein Invest. Nicht die bunte Grafik der Finanzberichte oder die Rhetorik von WL. Das wachsende Geschäft eines Dienstleisters mit der Phantasie eines Wirkstoffforschers ist für mich grundsätzlich intakt.
Durch "Just-Evotec" wird das Dienstleistergeschäft weiter wachsen, auch wenn das klassische Dienstleistergeschäft "Shared R&D" vielleicht gerade schwächelt...und die Pipeline wird länger und breiter...mittlerweile sind 2 Wirkstoffe mit Evo-Genen am Markt. Das sind jetzt keine Renditeknaller aber etwas für die Referenzen.
Man wird jetzt am Kapitalmarkt als wachsender Dienstleister mit viel Investitionsaufwand bepreist...die Investitionen werden enden, das Management hat sich offen zu "PROFITablem Wachstum" bekannt (wahrscheinlich haben auch die Anker-Anteilseigner vertreten im Aufsichtsrat ihr Gewicht reingeworfen, dass der neue CEO zu dieser Stoßrichtung passt) und der "Lucky Punch" eines/mehrerer Fortschritte in der Pipeline kann jederzeit passieren. Für mich ein Grund weiter investiert zu bleiben. Ich sehe den aktuellen Preis als attraktiv an und werden jederzeit nachschlagen.
Was ist jetzt für kleinanlegende Investoren zu tun? Sonst habe ich ja immer "hinlegen und weiterschlafen" geschrieben...dies schreibe ich so hier jetzt nicht mehr. Jetzt im Mai kommen die Q1 Zahlen. Warum sind die für mich relativ wichtig (im Vergleich zu sonstigen Q1-Zahlen)? Im GB 23 wird mehrfach darauf hingewiesen, dass Q1 2023 das beste Quartal aller Zeiten war...dann kam Anfang Q2 der Cyberangriff. Wenn also Q1 24 jetzt gegen das bisherige Rekordquartal antritt, nachdem nun der Cyberangriff überwunden ist, sollten wir einen ersten Ausblick auf 2024 erhaschen können...wie stark ist die Shared R&D-Plattform? Wie schnell wächst "just" weiter? Sind weitere Umsatzrekorde möglich? Also das sollte man auch als Langfrist-Anleger sich mal anschauen um einschätzen zu können, ob Evotec topline seine Ziele bis 2025 erreichen kann.
Ja und dann werden natürlich die Halbjahreszahlen im August spannend mit erster Duftmarke des dann neuen CEO plus Mittelfrist-Guidance wahrscheinlich bis 2030... Also in den nächsten 4 Monaten 2 wichtige Termine, dann kann man sich (wahrscheinlich) beruhigt wieder hinlegen und bis zum nächsten GB schlafen...
Ich bin jetzt wenig auf veränderte Märkte bei Execute (derzeit Käufermarkt), Zinsen, Lage der Biotechnologie allgemein, Trend der Ausgliederung der Forschung und Stand EvoEquity eingegangen...aber dann wäre ich wahrscheinlich in einem Monat noch nicht fertig mit dem Post...daher ein Cut jetzt hier.
Grüße euer Connaisseur
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