Saxonia Eurocoin Sächsische Geldmaschine Lothar Schnitzler | Quelle: Handelsblatt Online 20.10.2010 3,5 (6) Legende Bei Saxonia Eurocoin dreht sich alles um das liebe Geld: Der 100-Mann-Betrieb aus dem sächsischen Dorf Halsbrücke ist der zweitgrößte Münzrohlinghersteller weltweit. Ein Drittel aller Euro-Münzen wurde aus den Rohlingen des 400 Jahre alten Betriebs gestanzt, den außerhalb der Branche keiner kennt. Ein Drittel der Euro-Münzen kommt aus Sachsen. Bild vergrößern Ein Drittel der Euro-Münzen kommt aus Sachsen. dpa
Wie ein rotgoldener Bach sprudeln die Blechscheiben aus der Maschine, 5000 Stück pro Minute. Sie werden in Kisten gesammelt und dann palettenweise verschickt. "Berlin" ist auf einem Begleitzettel zu lesen, "Dublin" auf einem anderen.
In dieser Fabrik geht es nur um das liebe Geld. "Das werden Ein-Cent-Münzen für die Euro-Zone", ruft Stephan Siegel, um das Rasseln und Klappern zu übertönen, und nimmt einen Rohling aus dem dahinfließenden Strom der Münzronden.
Siegel ist Geschäftsführer der Saxonia Eurocoin, einem 100-Personen-Betrieb im sächsischen Dorf Halsbrücke, fünf Kilometer von Freiberg entfernt. Drei Maschinen weiter rieseln angehende Ein-Baht-Stücke für das thailändische Finanzministerium in einen Trichter. An diesem gewöhnlichen Arbeitstag stanzen die Saxonia-Maschinen rund 20 Millionen Münzronden aus den 1,50 Meter breiten Blechrollen.
Mit diesem sehr speziellen, weil von hohen Anforderungen geprägten Geschäft ist das 400 Jahre alte Unternehmen einer dieser typisch deutschen Nischenhersteller, die außerhalb der Branche keiner kennt, die in ihrer Industrie aber weltweit ganz vorne mitspielen. Saxonia Eurocoin ist nach dem südkoreanischen Wettbewerber Poongsan der zweitgrößte Blankmünzenhersteller. Rund 90 Prozent der Produktion aus Halsbrücke gehen ins Ausland.
Ein Drittel aller Rohlinge für die Euro-Münzen stammt aus Sachsen. Von den Ein- und Zwei-Cent-Münzen wurden sogar 80 Prozent in diesen Hallen ausgestanzt, chemisch bearbeitet und geschliffen, bevor sie ihre Reise in die Prägeanstalten der Euro-Länder antraten. Auch der Schweizer Franken stammt zu großen Teilen aus Halsbrücke. An manchen Tagen stellt die sächsische Geldmaschine Münzronden mit einem angehenden Wert von mehreren Millionen Euro her.
Die Ronden sind alles andere als simple Blechplättchen aus Stahl, Kupfer oder Messing. Immerhin entsteht im Durchschnitt etwa ein Drittel der Kosten zur Münzherstellung bei den Produzenten der Rohlinge, ein weiteres Drittel machen die Rohstoffkosten aus, der Rest der Wertschöpfung entfällt auf die Münzprägung.
Voll ausgelastet
Die Finanzministerien und Prägeanstalten sind äußerst penibel, wenn es um den Gehalt der verschiedenen Metalle bei den Legierungen, um den Grad des Magnetismus, die Toleranzen bei den Abmessungen oder um die Dicke einer Messingauflage geht. Auch die Härte der Blankmünzen ist genau festgelegt. Stundenlang werden sie auf definierten, geheim gehaltenen Temperaturen geglüht und dann kontrolliert und verzögert abgekühlt, damit der Härtegrad stimmt.
Abweichungen dulden die Kunden nicht. Würden beispielsweise in einer Charge der Ein-Baht-Münzen diese nur um 0,03 Gramm im Gewicht schwanken, würde das thailändische Finanzministerium die Ronden umgehend zurückschicken.
Doch weil Retouren selten vorkommen, läuft es gut für die Sachsen. "Wir sind seit drei Jahren voll ausgelastet", sagt Siegel. Bis zum Jahresende werde sich daran dank des gut gefüllten Auftragsbuches auch nichts ändern.
Das war nicht immer so. Als der heute 35-Jährige vor fünf Jahren ins Unternehmen kam, fand er einen Sanierungsfall vor. Die Muttergesellschaft Deutsche Nickel AG hatte gerade eine Pleite hingelegt. Das Management hatte sich nach und nach dünne gemacht oder war gegangen worden. Auch die Vertriebstruppe, bis dahin bei der Deutschen Nickel angebunden, hatte sich aufgelöst. Der Betrieb war hoch verschuldet, weil die Einnahmen in die zentrale Kasse der Vorgängerhol- ding geflossen waren. "Die Banken winkten bei meinen ersten Besuchen gleich ab", erinnert sich Siegel.
Der sportive Manager, zu dessen Steckenpferden Bergsteigen oberhalb der 5000-Meter-Grenze gehört, wusste, was auf ihn zukam. In den Jahren zuvor hatte der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater die Abschlüsse der Holding testiert. Dennoch nahm er den Job an. "Zahlenwerke anderer Unternehmen zu analysieren ist nicht uninteressant", sagt Siegel, "aber ich wollte gestalten."
Die Deutsche Nickel AG hatte zwar während der Euro-Einführung viel Geld verdient, aber sich nur unzureichend auf das Auftragsloch danach vorbereitet. In den Jahren 2004 und 2005 stiegen die US-Finanzhäuser Goldman Sachs, Bear Stearns, Morgan Stanley und Värde Partners ein. Sie hatten Kredite und Anleihen des Pleiteunternehmens günstig erworben und ermöglichten sich und anderen Gläubigern über einen Börsengang den Tausch von Schulden gegen Anteile. Weil so etwas nach deutschem Recht nicht möglich ist, gründeten die Investoren als Nachfolgegesellschaft der Deutschen Nickel AG die DNick plc. Sie ist trotz des Firmensitzes in Schwerte eine britische Aktiengesellschaft.
Noch heute halten Goldman Sachs 23 Prozent und Bear Stearns zehn Prozent an DNick. Dazu gehören neben der Saxonia Eurocoin noch das Auerhammer Metallwerk im sächsischen Aue und die Deutsche Nickel GmbH in Schwerte. Die Schwesterunternehmen produzieren Spezialwerkstoffe aus Metall, zumeist unter Verwendung von Nickel.
Schlimm für den damals blutjungen Manager der Saxonia: Die Vorgänger hatten so gut wie jeden Auftrag angenommen, ganz gleich, ob die Order ein Minusgeschäft oder ob das Werk technisch überhaupt in der Lage war, die Rohlinge herzustellen. "Da gab es Aufträge, die nur zur Hälfte abgearbeitet worden waren", erzählt Siegel, "und an denen seit einem Jahr nichts mehr getan wordewar."
Wo andere aufgegeben oder bestenfalls über einen Vergleich mit den Kunden verhandelt hätten, sah der Jungspund die Chance für neue Geschäfte: "Die kranken Altaufträge waren meine Türöffner." Der Dresdner klapperte die Altkunden ab, in der Regel Finanzministerien und Nationalbanken, und führte deren Aufträge zu Ende. Trotz der von den Wettbewerbern gezielt gestreuten Gerüchte über ein drohendes Ableben der Saxonia fassten die Kunden nach den ersten zu Ende gebrachten Aufträgen Vertrauen und legten bei den Bestellungen nach.
Das wieder hereinströmende Geld nutzte Siegel zur Entschuldung sowie zur Anpassung und Modernisierung der Anlagen. So trennte Siegel die Produktion räumlich von dem benachbarten, ehemaligen Schwesterunternehmen Saxonia Edelmetalle, kaufte Maschinen für die Galvanisierung, wie Metallurgen die hauchfeine Überziehung eines Metallstücks mit einem anderen Metall durch elektrolytische Verfahren nennen.
Diese Investition machte sich bald bezahlt. Denn viele Zentralbanken gingen wegen der steigenden Rohstoffpreise dazu über, Kupfer-, Nickel oder Messingmünzen durch Stahlgeldstücke mit nur einem feinen Überzug der teureren Metalle zu ersetzen. Vor allem bei Münzen mit kleinem Wert überstieg der Metallwert zuvor oft den Nennwert, sodass die Münzen statt in der Kasse beim Altmetallhändler landeten. "Diese Umstellungen der Zentralbanken haben uns beim Neustart geholfen", sagt Siegel.
Seine Bilanz kann sich sehen lassen: Siegel konnte den Umsatz in fünf Jahreauf 80,6 Millionen Euro fast verdoppeln. Der Gewinn vor Zinsen und Steuerkletterte von einer Million auf 7,5 Millionen Euro. Obwohl der Anteil der Saxonia am Umsatz der DNick weniger als die Hälfte ausmacht, kamen die Gewinne (vor Steuern und Zinsen) in den vergangenen beiden Jahren fast ausschließlich von der sächsischen Münztochter.
Schön für Siegel: Sein Geschäft kennt keine Konjunkturzyklen, weil Münzen immer geprägt werden. Unschön: Der Eurocoin-Chef hangelt sich von Projekt zu Projekt: "Was in einem halben Jahr kommt, wissen wir nicht."
Andererseits bleibt die Grundnachfrage stabil - auch wenn der große Schub durch den Austausch der Kupfer-, Messing- oder Nickelmünzen jetzt langsam dem Ende zugeht. Etwa drei Prozent der Münzen weltweit verschwinden jährlich in vergessenen Sparstrümpfen, Gullys oder Münzsammlungen oder müssen wegen Verschleißes ersetzt werden. Und immer wieder gibt es Neuaufträge, weil - wie 2008 in Venezuela - die Finanzminister mit einer Währungsreform nach der Inflation beim Nennwert ein paar Nullen streichen müssen.
Optimistisch sieht auch Analyst Stephan Simmroß von der Frankfurter Investmentbank Equinet die Zukunft des Münzrondenmachers: "Ein großer Teil der Kunden von Saxonia Eurocoin kommt aus den Schwellenländern. Der steigende Wohlstand dort führt zwangsläufig zu einer stärkeren Nachfrage nach Münzen etwa für Parkuhren, als Trinkgeld oder für Mautgebühren."
Bleibt die Frage nach einer möglichen münzfreien Zukunft. "Bis jetzt hat eher die Banknote unter dem bargeldlosen Zahlungsverkehr gelitten", sagt Siegel. In den kommenden zehn Jahren werde das Münzgeschäft wohl kaum zurückgehen. Danach könnte aber vielleicht das Zahlen kleiner Summen per Handy dem Münzwesen zusetzen. Deshalb arbeitet Siegel schon jetzt an Plänen, wie er das dann wegbrechende Geschäft ausgleichen kann. Seine Ideen will der gewiefte Sachse allerdings nicht herausrücken: "Man darf es seinen Wettbewerbern ja nicht zu leicht machen."
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