Wir leben gleichzeitig in einer Demokratie und im Kapitalismus. Damit tut sich schon mal ein Grundwiderspruch auf, denn in einer Demokratie soll ja alle Macht vom Volke ausgehen, während im Kapitalismus die Macht fast ausschließlich von der reichen, kapitalbesitzenden Minderheit ausgeht.
Die größte Sorge der reichen Minderheit ist, dass es im Volk - wegen wachsender Unzufriedenheit über Ungleichverteilung - zu Volkszorn kommt, der schlimmstenfalls in einem gewaltsamen Umsturz endet. Dann würde der Pöbel dem Kapital seine wichtigste Waffe (das Kapital) wegnehmen, und die einstigen Kapitalbesitzer würden selber zum Pöbel. Für Sie sicherlich eine ekelerregende Vorstellung...
Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, müssen die Kapitalbesitzer das Volk zumindest zum Schein an den Gewinnzuwächsen aus dem Kapital beteiligen, eben um den Volkszorn in kontrollierbaren Grenzen zu halten.
Das Wahlvolk verhält sich normalerweise wie der kleine Häwelmann, dessen unstillbares "mehr, mehr" dem Märchenerzähler Theodor Storm bereits zu Lebzeiten legendären Ruhm beschert hat.
Um das Volk in diesem Sinne bei Laune zu halten, ist das von Ihnen favorisierte FDP-Lindnern (#114) - oder auch südamerikanisches "Fuera!"-Kettensägen - das völlig falsche Konzept. Denn das Volk hat die Vorstellung, dass der Kapitalismus ein dynamisches System sei, das zu wachsendem allgemeinen Wohlstand führe - eben auch beim Volk selbst. Wenn die Kapitalbesitzer aber immer nur von unten nach oben umverteilen - und dazu dient Lindners Hayek'sches Angstsparen letztlich -, dann geht es mit der allgemeinen Wohlfahrt bergab, erkennbar an für das Volk sehr schmerzhaften Phänomenen wie Reallohnabbau, der jegliche Wachstums-Illusion konterkariert.
Der Trick ist daher, mit immer größerer staatlicher Neuverschuldung (siehe Trump) einen allgemeinen Scheinwohlstand loszutreten - der wiederum, um auch die Kapitalbesitzer zufriedenzustellen, durchaus ungerecht verteilt werden darf. Wenn nämlich 90% des Schein-Zuwachses aus Neuverschuldung den Kapitalbesitzern zufließt, während 10% dem Volk die dringend nötige "Es geht voran"-Illusion gibt, dann verläuft die Umverteilung von unten nach oben wesentlich geschmeidiger. Sprich: Sie geht dann mit deutlich weniger "systemgefährdenden" Volkszorn einher, und das ist ja das Ziel.
Das Probem dauerhaft überhöhter Neuverschuldung ist freilich der irgendwann unvermeidliche Staatsbankrott. Für Systemproftierer wie Sie stellt sich daher die Frage: "Wie gehe ich damit um?" Die Antwort lautet: Nehmen Sie auch selber möglichst viel Schulden auf, und kaufen sie auf Kredit (Sie haben ja endlos Bonität) so viel Sachwerte wie irgend möglich.
Beim final eintretenden Staatsbankrott sind Sie dann fein raus. Denn Ihre Schulden lösen sich in der dann folgenden Währungsreform zu null auf, aber die gehorteten Sachwerte bleiben in ihrem Besitz. Mag sein, dass irgendein linker Fanatiker danach noch so etwas wie einen Lastenausgleich durchboxt, das ist eine Art nachträgliche Steuer auf Ihre leistungslosen Inflationsgewinne, aber der Löwenanteil bleibt doch bei Ihnen.
Dem Volk wiederum, das alle seine (meist bei Banken) gesammelten Sparvermögen verliert, geht es dann ziemlich schlecht. Es drohen neue Steckrübenwinter usw. Aber das ist alles nicht weiter schlimm, weil sich in solchen Situationen, die leider oft auch mit Kriegen einhergehen, der Volkszorn nicht gegen Sie, die Kapitalbesitzer, richtet, sondern ganz allgemein gegen die widrige Umstände.
Das heißt: Obwohl sie stark von den Inflationsgewinnen profitiert haben, wird kaum jemand im Volk die Abstraktionsleistung aufbringen, dass Sie dieses Schneeballsystem der Staatsverschuldung im ureigenen Gewinninteresse angeschoben haben. Es waren dann halt höhere widrige Umstände, die "wirklich niemand vorhersehen konnte" ;-) Dies dann vorzutragen ist sehr wichtig, sonst könnte sich der Volkszorn mit Pech doch noch nachträglich gegen sie richten. Es ist auch wichtig, dass Sie Parteien beitreten, die solche Narrative verbreiten. Denn dies stärkt den Anschein von Allgemeingültigkeit.
Ihr Herr Lindner macht das daher völlig falsch. Hayek'sches Angstsparen erzeugt den Volkszorn JETZT schon - zu einer Zeit, in der man seinen Reichtum sonst noch unbehelligt genießen könnte - und er stellt die Kapitalbesitzer JETZT schon in die Ecke der "Schuldigen". Das kann doch nicht wirklich in Ihrem Interesse liegen, oder?
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