"Es ist zermürbend, die Leute leiden zu sehen"
Von Alexander Schwabe
Mit der Zerstörung des großen Elektrizitätswerks im Gaza-Streifen hat die israelische Armee den Lebensnerv der Bevölkerung getroffen. Ohne Strom fallen Wasserpumpen aus, der Sprit für Generatoren wird knapp, Kliniken haben nicht genügend Medikamente.
Hamburg - Mit der Zerstörung des zentralen Kraftwerks im Gaza-Streifen hat die israelische Armee den Nerv des öffentlichen Lebens in dem übervölkerten Gebiet getroffen. 700.000 Palästinenser - rund die Hälfte der Einwohner - werden im Gaza-Streifen für Wochen ohne Strom sein. Und nicht nur das: Die Zerstörung der Stromerzeugung hat gravierende Folgen. "Es ist ein Domino-Effekt", sagt der Schotte Darrin Waller vom palästinensischen Zentrum für Menschenrechte, "ohne Elektrizität kein Wasser. Und bald wird der Treibstoff ausgehen." Ein Großteil des Wassers wird im Gaza-Streifen aus Brunnen gepumpt, die Pumpen laufen derzeit notdürftig mit Generatoren. Dadurch wird der Diesel zunehmend knapp. | AFPKhan Yunis im Gaza-Streifen: Anstehen für Wasser | Auch der Betrieb im größten Krankenhaus wird nur mittels Generatoren aufrechterhalten. Juma Saqa, Chefarzt im Shafa-Hospital, beklagt nicht nur den Mangel an Sprit, sondern auch, dass wegen der totalen Blockade des Gaza-Streifens durch die israelische Armee keine Medikamente und medizinischen Geräte mehr ankommen. "Unser größtes Problem sind die fehlenden Arzneimittel, vor allem für die Anästhesie", sagt Saqa. Um für bevorstehende Angriffe der Israelis mit mehr Verletzten gewappnet zu sein, brauche man viel mehr Medikamente. Georgius Georgantas vom Internationalen Roten Kreuz bestätigt die Knappheit medizinischer Mittel in Gaza. Schon vor der jüngsten israelischen Offensive sei die Versorgung nicht gut gewesen. Sollten die Israelis den Gaza-Streifen weiter kategorisch abriegeln, hätten die Krankenhäuser wegen des Stromausfalls nur noch für ein paar Tage Strom und Wasser. Auch Nahrungsmittel würden knapp, sollten die Handelsumschlagsplätze nicht geöffnet werden. Eine große Anzahl Verletzter, die in den Krankenhäusern hätten verarztet werden müssen, blieb bisher aus. Die israelischen Panzer, Helikopter und F-16-Jets beschossen vorwiegend die Infrastruktur des Gebiets, neben dem Elektrizitätswerk vor allem Brücken, um - so die Begründung - die Mobilität der Entführer eines 19-jährigen israelischen Soldaten einzuschränken, um dessen Befreiung willen die Militäroperation "Sommerregen" in der Nacht auf Mittwoch gestartet wurde. Bisher kam es zu wenigen gezielten Angriffen auf Personen: In der vergangenen Nacht etwa wurden bei einem Angriff auf einen radikalen Islamisten auch ein 18 Monate altes Kind getötet. "Rechnen mit zivilen Opfern in großer Zahl" "Bisher haben wir keine größere Anzahl von Opfern", sagt Menschenrechtler Waller. Rot-Kreuz-Mann Georgantas stellt sich jedoch genau darauf ein: "Israel erhöht den Druck, wir rechnen damit, dass es binnen einiger Tage zivile Opfer in großer Zahl geben wird. Darauf müssen wird vorbereitet sein." Seine Organisation sei bemüht, Arznei-Reserven aus Jerusalem nach Gaza zu transportieren. Es sei jedoch noch offen, ob die israelischen Behörden das Vorhaben genehmigen werden. Die massiven israelischen Angriffe gehen bereits jetzt nicht spurlos an den rund 1,4 Millionen Einwohnern des Gaza-Streifens vorbei. Der Ausfall der Pumpen hat in den Läden zu einem Run auf Wasserflaschen geführt. Die Menschen horten auch Lebensmittel. Der Granatenbeschuss von Land und See bei Sofa im südlichen Gaza-Streifen führte dazu, dass ein paar Dutzend Familien ihre Häuser verließen und bei Uno-Flüchtlingswerk Zuflucht suchten. "Es ist zermürbend, diese Leute leiden zu sehen", sagt Waller. Psychische Folgen zeigten sich bei den Schwächsten: den Kindern. Waller berichtet von seelischen Störungen, die zu Bettnässen und Schlafstörungen führen. Auch Eyad Sarraj, Direktor des Programms für seelische Gesundung in Gaza, berichtet von "hilflosen und verzweifelten" Menschen. Es sei "verheerend", in etlichen Familien würden Kindern Schlaftabletten verabreicht, weil sie sonst nicht schlafen könnten. Sarraj weist darauf hin, dass die Notlage der Palästinenser im Gaza-Streifen nicht allein durch den jüngsten Angriff verursacht ist, sondern durch die bereits seit Wochen andauernde Absperrung des Gebiets. Auf seiner Webseite spricht er von der "mittelalterlichen Belagerung von 1,4 Millionen Seelen in Gaza". Menschenrechtler Waller bezeichnet das Vorgehen von Israels Premier Ehud Olmert als "Kollektivstrafe".
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