Man muss sich bewusst sein, dass das bisherige Geschäftsmodell auf ultraniedrigen Zinsen und permanent steigenden Immobilienwerten beruhte. Dieses Geschäftsmodell ist auf absehbare Zeit mausetot. Wegen der im Vergleich zu privaten Immobiliendarlehen viel zu kurzen Zinsbindungsfristen stellen die stark gestiegenen Zinsen bei ca. 60% Fremdfinanzierung eine existenzielle Bedrohung dar. Die von Aroundtown und vielen anderen Immobilienfirmen im IFRS Abschluss als Eigenkapital ausgewiesenen perpetual notes (Anleihen unbegrenzter Laufzeit) stellen handelsrechtlich Fremdkapital dar. Echtes EK stellen ausschließlich Aktien und Pflichtwandelanleihen dar. Ohne Berücksichtigung der perpetual notes als EK sinkt die EK-Quote deutlich unter 40%, was in Zeiten stark steigender Zinsen unhaltbar erscheint. Aroundtown und viele andere Immogesellschaften scheinen in den letzten 12 Monaten in eine Art Schockstarre verfallen und in der Hoffnung auf einen erneuten Zinssenkungszyklus nicht in der Lage zu sein, harte Verkaufsentscheidungen für einen signifikanten Abbau der Verschuldung zu treffen. Das mentale Problem scheint darin zu liegen, dass man mit den aktuellen Zinsbindungen noch weitere zwei Jahre relativ gute operative Renditen erzielen wird. Genau diese zwei Jahre müsste der Vorstand aber m.E. für einen Verkauf von mindestens 50% des Immobilienvermögens nutzen, d.h. den Verkauf von Assets im Wert von ca. 15 MRD EUR, was in etwa dem aktuellen Nominalwert der Nettofinanzverbindlichkeiten (Anleihen (ohne perpetual notes) zzgl. Bankdarlehen) entspricht. Jeder Anleiherückkauf unter Nominalwert würde die Entschuldung natürlich erleichtern. Auf der anderen Seite dürfte ein Immobilienverkauf im Wert von 15 MRD EUR im aktuellen Umfeld auch nur mit deutlichen Preisabschlägen (20% - 40%) realisierbar sein. Solange der Vorstand die zwingende Notwendigkeit eines radikalen Abbaus der Verschuldung nicht erkennt, haben wir Aktionäre bei AT1 m.E. schlechte Karten. Der Aktionärsfokus auf den NAV je Aktie ist m.E. brandgefährlich solange die dem NAV zugrundeliegenden Immobilienwerte nicht näherungsweise realistisch erzielbaren Verkaufspreisen des Gesamtportfolios entsprechen. Der Transaktionsmarkt ist seit Monaten faktisch tot, da die Immobilienfirmen in der Hoffnung auf eine schnelle Zinswende, steigende Mieten und eine Stabilisierung der Immobilienpreise noch immer nicht bereit sind, große Immobilienportfolien mit hohen Preisabschlägen (20% bis 40% auf den Buchwert) zu verkaufen. Als Aktionär muss man darauf hoffen, dass die Geschäftsleitung endlich klar erkennt, dass die Bilanz radikal verkürzt werden MUSS und dass die Zeit schuldenfinanzierter Immobiliengiganten in der neuen Zinswelt vorbei ist. Kein privater Vermieter würde Gewinnausschüttungen vornehmen, solange die entsprechende Immobilie nicht vollständig abbezahlt ist. Schon gar nicht würde er sich auf Grundlage unrealisierter Wertsteigerungen zusätzlich verschulden, um u.a. hohe Dividenden auszuschütten. Wenn die Mietrendite dauerhaft unter den Fremdkapitalkosten liegt, ist eine Weiterführung des den FK-Kosten zugrundeliegenden Verschuldungsgrades betriebswirtschaftlich unrentabel. Die betriebswirtschaftlich einzig zutreffende Direktive heißt dann: drastische Senkung des Verschuldungsgrades durch Immobilienverkauf und FK-Tilgung! Ich bin mir sicher, dass der Aktienkurs auf die Ankündigung eines groß angelegten Immobilienverkaufsprogramms stark positiv reagieren würde, selbst wenn man dafür drastische Preisabschläge in Kauf nähme. Allein das Signal, die Marktreaktion verstanden zu haben und sich dem drastischen Zinsanstieg mit einem ebenso drastischen Entschuldungsprogramm entgegenzustellen, hätte m.E. gute Chancen, das Angstszenario der Shortseller schlagartig zu vernichten. Das neue Geschäftsmodell kann m.E. nur heißen, die Nettofinanzverschuldung durch radikale Immobilienverkäufe vollständig abzubauen, um eine Zukunft als deutlich kleineres, aber unverschuldetes Immobilienunternehmen zu haben. Ich bin mir absolut sicher, dass sich angesichts im internationalen Vergleich unverändert eher moderater deutscher Immopreise - genügend internationale Großinvestoren finden werden, wenn Aroundtown Immobilien im Buchwert von ca. 15 MRD EUR mit 25% Rabatt ins Schaufenster stellt. Es soll ja tatsächlich noch Investoren geben, die eigenfinanziert, d.h. vollkommen unabhängig vom Kapitalmarkt agieren. Ausgehend von der im Geschäftsbericht 2022 berichteten Mietrendite i.H.v. 4,3% würde ein Preisnachlass von 25% einen Anstieg der Mietrendite auf 5,7% bedeuten, was angesichts der enormen Qualität des Mieterportfolios - bereits ohne zukünftige Wertsteigerungen - eine attraktive Rendite für eigenfinanzierte Immo-Fonds wäre. Geht man zusätzlich davon aus, dass die Mieten bis Ende 2023 inflationsbedingt um 5% ggü. VJ gesteigert werden können, würde sich die Mietrendite bei 25% Preisabschlag auf 6,0% erhöhen. Aroundtown würde bei einem Preisabschlag von 25% auf 15 MRD Buchwert einen Kaufpreis i.H.v. 11,25 MRD EUR erzielen, mit dem bei Anleihekursen von 80% Schulden i.H.v. 14 MRD EUR zurückgekauft / getilgt werden könnten. Der bei Verkauf realisierte Buchverlust i.H.v. 3,75 MRD EUR würde bei 15% Körperschaftsteuersatz zzgl. 5,5% SolZ zur erfolgswirksamen Auflösung passiver latenter Steuern i.H.v. ca. 0,6 MRD EUR führen und mithin das Eigenkapital netto mit 3,15 MRD EUR belasten. Nach Durchführung des Immobilienverkaufs (Buchwert 15 MRD EUR; Preisnachlass 25%; Kaufpreis 11,25 MRD EUR) und Rückkauf von Anleihen im Nominalwert von 14 MRD EUR zu einem Durchschnittskurs i.H.v. 80% hätte Aroundtown die zum 31.12.2022 bilanzierten Nettofinanzverbindlichkeiten (EPRA Net debt - siehe Seite 82 des Geschäftsberichts 2022) i.H.v. 15,2709 MRD EUR nahezu vollständig getilgt. Es verbliebe ein mit ca. 6,4 MRD EK, 1,3 MRD perpetual notes und 2MRD Minderheitsanteilen finanziertes Immobilienunternehmen.
https://www.aroundtown.de/fileadmin/user_upload/...022/AT_FY_2022.pdf
Beachte: Zum 31.12.2022 sind im Konzernabschluss passive latente Steuern aus unrealisierten Wertzuwächsen i.H.v. 2,66 MRD EUR verbucht, die bei Realisierung von Buchwertverlusten des Immobilienportfolios erfolgswirksam aufgelöst werden.
Bei einem auf die Aktionäre entfallenden EK i.H.v. 9,58 MRD EUR und passiven latenten Steuern i.H.v. 2,66 MRD EUR könnte Aroundtown Stand 31.12.2022 Veräußerungsverluste i.H.v. 12,24 MRD EUR bilanziell auffangen und dennoch sämtliche Verbindlichkeiten vollständig bedienen. Bezogen auf den Buchwert des Immobilienportfolios i.H.v. 28,8 MRD EUR könnte Aroundtown demnach einen 42,5%-Wertverlust hinnehmen ohne bilanziell überschuldet zu sein.
Wer hier auf eine schnelle Insolvenz zockt geht also implizit davon aus, dass die Wirtschaftsprüfer zum 31.12.2022 einen um mehr als 12 MRD EUR überhöhten Bilanzansatz des Immobilienportfolios testiert haben.
Wer davon ausgeht, dass die Aroundtown Aktie substantiell weniger als 1 EUR wert ist, geht bei aktuell ca. 1,1 MRD stimmberechtigten Aktien implizit davon aus, dass die Wirtschaftsprüfer einen um mehr als 11 MRD EUR überhöhten Bilanzansatz des Immobilienportfolios testiert haben.
Wer hingegen daran glaubt, dass die Aktie mindestens 2 EUR wert ist, geht implizit davon aus, dass ein Komplettverkauf des Immobilienportfolios mit weniger als 10 MRD EUR Preisabschlag möglich ist.
Nun ist jeder Kapitalmarktteilnehmer herzlich eingeladen, zu überlegen, welches der drei Szenarien die höchste Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. das beste CRV aufweist...
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