Deutsche Firmen drängen in die Schweiz Von Alice Chalupny
Unternehmerfreundlich, überschaubar, sicher: Die Schweiz lockt deutsche Firmen gleich reihenweise über die Grenze - trotz der Rezession. Das missfällt den deutschen Behörden. Deshalb schicken sie ihre Steuerfahnder sogar in die Info-Seminare der Eidgenossen.
Hamburg/Zürich - Am 1. September zieht die Flohr Industrietechnik GmbH um, von Waldshut geht es dann nach Mellikon. Im Gepäck: ein wesentlicher Teil der Produktion. Der Hersteller von Antriebskomponenten, der unter anderem Bosch und Siemens beliefert, will künftig deutlich weniger in der süddeutschen Kleinstadt fertigen. Dafür mehr im schweizerischen Mellikon.
Dem Familienbetrieb wurde es in Waldshut zu eng. "Wir hatten keine Möglichkeiten mehr, unser Betriebsgelände auszuweiten", sagt Stefan Flohr, der stellvertretende Geschäftsführer. Weil ein substantieller Teil der Kundenbasis in der Schweiz angesiedelt sei, habe der Expansionsschritt auf die gegenüberliegende Seite des Rheins auf der Hand gelegen.
Aber nicht nur deshalb. "Die Schweizer sind uns bei der Unterstützung von Firmen einen Schritt voraus", sagt Flohr. Das Klima sei spürbar unternehmerfreundlicher als in Deutschland. Was Flohr sagen will: In der Schweiz sind die Lohnnebenkosten geringer, die Bestimmungen beim Kündigungschutz lockerer, die Steuersätze niedriger und die Chancen besser, Fachkräfte zu rekrutieren und langfristig zu halten. Hinzu kommt eine hohe Rechtssicherheit und politische Stabilität.
Mit der Entscheidung in die Schweiz zu gehen, steht Flohr nicht alleine da. "Das Interesse deutscher Firmen an unserem Wirtschaftsstandort ist ungebrochen", bestätigt Daniel Küng, Chef der Schweizer Außenwirtschaftsförderung Osec - und zeigt sich über die anhaltende Nachfrage überrascht. "Ich habe erwartet, dass die Rezession das Interesse erst mal dämpft - doch das ist nicht eingetreten."
Allein dem Ostschweizer Kanton St. Gallen, der gezielt in Deutschland wirbt, ist es nach eigenen Angaben gelungen, im vergangenen Jahr 30 neue Firmen anzusiedeln. Die Mehrheit der Unternehmen sind Klein- und Mittelständler. Große Konzerne, die sich in der Schweiz in den letzten Jahren niedergelassen oder ihre Präsenz verstärkt haben, sind unter anderem Würth, Stihl, BASF und Süd-Chemie.
Kampf gegen Steuersünder verschreckt die Unternehmen
Als Begründung nennt Küng das "attraktive Set an Möglichkeiten", das die Schweiz den Unternehmen biete - und liegt damit auf einer Linie wie der deutsche Unternehmer Flohr. Doch hinter vorgehaltener Hand kursiert bei den Schweizern noch eine zweite These: Das radikale Vorgehen der deutschen Regierung im Kampf gegen vermeintliche Steuersünder verscheuche die Unternehmen. Das mittlerweile hochkomplizierte Steuersystem sorge außerdem zusätzlich für schlechte Stimmung - was die Firmen darin bestärke, den Schritt ins Ausland zu wagen.
Doch so interessant die Schweiz für die deutschen Unternehmen ist, so zurückhaltend sind sie darin, ihr Interesse auch zu zeigen - und die Vorsicht hat einen Grund. Denn auf den Informationsveranstaltungen der Osec in deutschen Großstädten haben sich nach Angaben von Beteiligten mehrfach deutsche Steuerfahnder unters Publikum gemischt. "Die wollten wissen, was das für Firmen sind, die sich ins Steuerparadies Schweiz absetzen wollen", berichtet ein Teilnehmer. An den Osec-Infoseminaren können sich deutsche Firmen an Vorträgen und in Workshops über die Geschäftsmöglichkeiten in der Alpenrepublik informieren.
Die Finanzministerien der Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern - hier ist die Osec besonders aktiv - geben sich auf Nachfrage ahnungslos. Die jeweiligen Pressesprecher betonen unisono, nichts von Steuerfahndern zu wissen, die bei Info-Veranstaltungen erschienen sind. "Allerdings", räumt Ulrich Soppe, Sprecher des niedersächsischen Finanzministeriums, ein, "wissen wir natürlich nicht über die Aktivitäten jedes einzelnen Fahnders Bescheid." Ermittle ein Behördenvertreter in einem konkreten Fall, könne ein solches Vorgehen vorstellbar sein.
Stephanie Hagelüken, Sprecherin des nordrhein-westfälischen Finanzministerium, ergänzt, "dass es nicht unbedingt unsere eigenen Fahnder gewesen sein müssen", die bei den Tagungen erschienen seien. "Ermittlungen können über die Ländergrenzen hinaus erfolgen", erklärt Hagelüken.
Das Bundesfinanzministerium jedenfalls stellt sich hinter die Länder: "Selbstverständlich darf und soll die Steuerfahndung Erkenntnisse über die Steuergestaltung und Steuervermeidung sammeln. Dies liegt im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung", schreibt Sprecher Oliver Heyder-Rentsch auf Anfrage.
Die Osec musste mittlerweile mehrere ihrer Info-Seminare in Deutschland absagen - zu viele Unternehmen haben einen Rückzieher gemacht. Als die Verantwortlichen bei den Firmen nachfragten, ließen diese durchblicken, dass sie Nachfragen vom Fiskus befürchten. "Da präsentiert man sich den Behörden ja auf dem Silbertablett", argumentierte ein Teilnehmer.
"Die Osec prüft nun internetbasierte Info-Seminare für Europa", sagt Osec-Chef Küng. Das Interesse sei sehr groß. Der Vorteil dieser anonym abgehaltenen Sitzungen: Die Unternehmen müssen sich nicht schon in der Sondierungsphase zu erkennen geben.
Dass die deutsche Regierung Firmen frustriert, sehen auch Wirtschaftsexperten so. Die Steuerrechtler Wolfgang Blumers von der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr und Michael Elicker, Privatdozent von der Universität des Saarlandes, warnten in einem Aufsatz in der "Neuen Zürcher Zeitung", dass die Länder, aus denen man fliehe, mit ungerechten und ökonomisch unsinnigen Steuersystemen ihre Steuersubjekte regelrecht vertrieben. Die deutsche Steuerpolitik sei "kurzsichtig fiskalisch, wachstumsfeindlich" und bedrohe "letztlich das Steueraufkommen".
Das aber stört die deutschen Behörden wenig - im Gegenteil: Das deutsche Steuersystem wird bald um ein Gesetz reicher sein, denn der Deutsche Bundestag hat den Fiskus Anfang Juli bevollmächtigt, Steuerpflichtige, die Geschäftsbeziehungen zu nicht kooperierenden "Steueroasen" unterhalten und darüber nicht Auskunft geben, mit Sanktionen zu belegen. Das "Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung" verlangt von solchen Firmen und Privatpersonen umfangreiche Auskunfts- und Nachweispflichten. Wer nicht mit den Steuerbehörden kooperiert, muss unter anderem damit rechnen, dass der Steuerabzug von Aufwendungen aberkannt wird, die in solchen Ländern anfallen.
Warum das Gesetz für Deutschland wichtig ist, begründet Finanzminister Peer Steinbrück so: "Wer Steuern hinterzieht, der schadet dem Gemeinwesen, der verhöhnt den Rechtsstaat in Deutschland und schwächt den Staat in einer Zeit, wo dieser Staat mehr denn je handlungsfähig sein muss." Einige Länder hätten es Steuerhinterziehern in der Vergangenheit leicht gemacht, Geld bei ihnen zu parken. Die Bundesregierung verschließe jetzt diese Hintertürchen für Steuerflüchtige.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) reagierte verärgert auf die Vorlage. Zwar sei es grundsätzlich begrüßenswert, die Steuerhinterziehung weiter zu erschweren, räumte der BDI in einer gemeinsamen Stellungnahme mit anderen Wirtschaftsverbänden ein. Doch das geplante Gesetz schieße "weit über das Ziel hinaus". Der Vorschlag könne zu gravierenden Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des Standorts Deutschlands führen. Hinter vorgehaltener Hand wurde das geplante Gesetz beim BDI bereits umbenannt: "Auskunftserzwingungsgesetz zu Lasten Dritter" heißt es dort.
Wirtschaftsverbände laufen Sturm
Derzeit erarbeitet die Regierung eine entsprechende Verordnung zum Gesetz. Ein Entwurf drang bereits an die Öffentlichkeit: Einem Bericht der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" zufolge laufen die Wirtschaftsverbände Sturm gegen das Papier. Nach der Rechtsverordnung, die der Zeitung vorliegt, soll es allein dem Bundesministerium der Finanzen vorbehalten sein, "mit Zustimmung der obersten Finanzbehörden der Länder" die Staaten oder Regionen zu benennen, die nicht zur Kooperation in Steuersachen mit den deutschen Finanzbehörden bereit sind. Bislang war vorgesehen, dass jeweils der Bundesrat zustimmen muss.
Die Verordnung soll bereits Anfang August vom Bundeskabinett verabschiedet und am 18. September vom Bundesrat abgesegnet werden. Würde eine solche Verordnung auch die Schweiz treffen, könnte dies den Geschäftsverkehr zwischen den beiden Staaten lähmen - schließlich haben Zehntausende von deutschen Unternehmen Niederlassungen in der Schweiz.
Unternehmer Stefan Flohr will keinen direkten Zusammenhang zwischen Gesetzgebung und Firmenverlagerungen ins Ausland herstellen. Standortentscheidungen würden letzten Endes aufgrund von strategischen Überlegungen gefällt, sagt er, betont aber: "Uns Klein- und Mittelständlern stößt es sauer auf, wie der Fiskus mit uns umspringt." Nicht jeder, der seine Steuern zu optimieren versuche, hege gleich kriminelle Absichten. Das deutsche Steuerrecht sei mittlerweile derart komplex, dass es schon mal vorkommen könne, dass sich Unternehmen unwissentlich falsch verhielten. Denn: "Ab zehn Angestellten ist man doch gar nicht mehr dazu in der Lage, das Thema ohne externe Hilfe zu bewältigen."
Flohr freut sich deshalb auf den Teilumzug in die Schweiz. "Da ist vieles einfacher."
Mit Material von ddp
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