Kein Knockout im deutschen WahlkampfTV-Duell dürfte folgenlos bleibenDas zur Entscheidungsschlacht hochstilisierte Streitgespräch vor fast 21 Millionen deutschen TV-Zuschauern wird den Wahlausgang kaum beeinflussen. Weder Merkel noch Schröder gelang ein rhetorischer Schlag, welcher den anderen ausser Gefecht gesetzt hätte. Das bestätigt der äusserst gemischte Chor der Meinungsmacher. spi. Der Tag nach einem Fernsehduell ist für die Meinungsbildung in der Bevölkerung oft entscheidender als das Streitgespräch der Kontrahenten selbst. Dies zeigt die Erfahrung aus den USA, wo schon eine weit längere Tradition des direkten medialen Schlagabtausches besteht. Kommt es zu keinen desaströsen Fehlleistungen oder rhetorischen Sternstunden, sind die meisten Zuschauer nach einem solch langen und detailreichen Diskurs meist überfordert. Sie orientieren sich daher eher an der sich in den Medien gebildeten Einschätzung als an ihrer eigenen. Dies dürfte nach dem Fernseh-Grossereignis in Deutschland nicht anders sein. Jeder vierte Deutsche schaute zuDabei ist die Aufmerksamkeit, welche die eineinhalbstündige Sendung gefunden hat, durchaus beeindruckend. Nach Angaben der ARD haben insgesamt fast 21 Millionen Deutsche am Sonntagabend die Diskussion verfolgt, also praktisch jeder Vierte. Dies ist um so überraschender, als die beiden Kandidaten im öffentlichen Leben der Deutschen ja seit Jahren laufend präsent sind. Das ist in den USA anders, wo viele Leute die Spitzenkandidaten bei diesen Anlässen erstmals richtig wahrnehmen. Allerdings sorgte in Deutschland die Tatsache, dass alle vier grossen Sender das Duell übertrugen zu einer Art kollektivem Zwang. Blitzumfragen für SchröderDass es zu keinem eigentlichem K.-o.-Schlag gekommen war, wie etwa im berühmten Fall Nixon-Kennedy im Jahr 1960, war schon klar, bevor die beiden Kontrahenten ihr auswendig gelerntes Schlusswort gesprochen hatten. Die direkt im Anschluss durchgeführten Blitzumfragen, die Schröder als «Sieger» ausweisen, sind deshalb mit Vorsicht zu geniessen. Kein Aussenseiter-CoupDiese Umfrageergebnisse könnten einfach die zuvor allenthalben verbreitete Erwartung widerspiegeln, dass der Bundeskanzler ein populärer Rhetoriker ist, und es die Herausforderin schwer haben wird. Nun hat sich zwar Merkel achtbar geschlagen, konnte aber keinen solchen Aussenseiter-Coup landen, wie etwa 1980 Reagan gegen Carter. Viel aussagekräftiger ist etwa die Zusatzfrage von Infratest, die ergab, dass mehr als die Hälfte der angeblich Unentschiedenen das Duell als nicht hilfreich für ihre Meinungsbildung ansahen. Chefredaktoren sehen Vorteil für MerkelDer Chor der Meinungsmacher und Kommunikationsexperten zeigt ein ebenso wenig eindeutiges Bild. Sechs von acht durch «Bild-Online» befragte Chefredaktoren führender Zeitungen und Zeitschriften sahen einen leichten Vorteil für Merkel. Viele zeigten sich überrascht, dass Merkel «so gut mithalten konnte» (Frank Schirrmacher, «FAZ) und der grosse Kommunikator Schröder sich «unter Wert verkaufte» (Helmut Markwort, «Focus»). BeisshemmungFür den von «Spiegel-Online» zitierten Psychologen und Politikberater Ulrich Sollmann ist hingegen eindeutig Schröder der Überlegene gewesen. Merkel sei nach einem forschen Beginn schwach und unter Stress gewesen. Einen Patt diagnostizierten der TV-Experte Uwe Kammann vom Adolf-Grimme-Institut sowie der Parteienforscher Jürgen Falter. Letzterer führte die unerwartet blasse Leistung des Kanzler darauf zurück, dass dieser bei einer Frau als Gegnerin eine «Beisshemmung» gehabt habe. Als Fazit der Aufarbeitung des zuvor als Entscheidungsschlacht hochstilisierten Anlasses bleibt festzuhalten: Der Einfluss der Sendung auf den Ausgang der Wahl wird marginal bleiben. Vermutlich sind lediglich bestehende Haltungen der Wähler bestätigt worden. Nichts ist in diesen eineinhalb Stunden geschehen, was eine Überzeugung umstossen könnte oder auch nur einen Unentschlossenen in eines der Lager ziehen würde.
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