SPIEGEL ONLINE - 15. Mai 2007, 19:00 URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,483114,00.html
MINDESTLOHN
SPD und Union suchen Entscheidungsschlacht
Von Carsten Volkery
Die Große Koalition feiert ihr jüngstes Gipfeltreffen als Erfolg, doch die Stimmung ist ganz anders. Denn der Mindestlohn-Streit wurde nicht beigelegt - jetzt belauern sich SPD und Union wie Gegner. Der 18. Juni wird zum Stichtag für eine Einigung: Sonst endet die Waffenruhe.
Berlin - Die CSU war im Wettlauf um die Deutungshoheit am schnellsten: Unmittelbar nach der fünfstündigen Sitzung des Koalitionssausschusses gestern Abend verkündete CSU-Chef Edmund Stoiber ein neues "Betreuungsgeld" von 150 Euro pro Kind.
Müntefering mit Merkel: "Das Große und Ganze ist unbefriedigend"
Die Interpretation hatte aber nur wenige Stunden Bestand: Einen solchen Beschluss gebe es nicht, sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck am Vormittag. Vielmehr sei nur ein "Prüfauftrag" erteilt worden: Nach 2009 werde geprüft, ob ein solches Betreuungsgeld überhaupt finanzierbar sei. Fest beschlossen sei hingegen der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für alle Ein- bis Dreijährigen, ein "großer Erfolg" der SPD.
Es gehört zu den Ritualen eines Koalitionsgipfels, dass beide Seiten hinterher den Sieg für sich reklamieren. Während die SPD den Kita-Rechtsanspruch feiert, verweist die CDU darauf, dass Familienministerin Ursula von der Leyen ihr Projekt des Krippenausbaus durchsetzen konnte. Bis 2013 soll die Zahl der Krippenplätze auf 750.000 verdreifacht werden.
Union frustriert Müntefering
Die SPD kann sich darüber nur bedingt freuen. Zwar entspricht dies inhaltlich ihrer Politik, doch erntet die CDU-Familienministerin wieder einmal den Ruhm - was keinem Genossen schmeckt. Noch bitterer wird der Kita-Kompromiss dadurch, dass die Union dem sozialdemokratischen Arbeitsminister Franz Müntefering gestern einen ähnlichen Triumph beim Mindestlohn verweigert hat.
Denn beim zweiten großen Thema des Abends, über das zwei Stunden lang geredet wurde, gab es keinerlei Annäherung. Müntefering zeigte sich entsprechend unzufrieden. "Das Große und Ganze ist unbefriedigend geblieben", sagte er der ARD.
Der Vizekanzler, der bisher zu den entschiedensten Verfechtern der Großen Koalition gehört, verliert allmählich die Geduld mit dem Koalitionspartner. Er will Lohnuntergrenzen in Branchen einziehen, in denen Niedriglöhne von wenigen Euro gezahlt werden. Fraktionschef Struck nannte als Orientierungsmarke für die SPD ein Mindesteinkommen von 1050 bis 1080 Euro pro Monat, was einem Stundenlohn von 6,50 Euro entspreche.
Die Union hingegen lehnt solche Untergrenzen kategorisch ab. Mindestlöhne kosteten Arbeitsplätze, bekräftigte Unionsfraktionschef Volker Kauder.
Jetzt droht ein Wahlkampf zweieinhalb Jahre vor der Wahl
Der Mindestlohnstreit steuert nun seinem Höhepunkt entgegen. Im Koalitionsausschuss am 18. Juni soll noch ein letztes Mal nach einer gemeinsamen Lösung gesucht werden. Komme es dort erneut zu keiner Einigung, dann würden die Gespräche auf Eis gelegt, heißt es in Koalitionskreisen. "Dann heißt es hopp oder topp", sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Alle Argumente sind ausgetauscht, beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, in ideologischen Gräben zu sitzen. Mit dem Eingeständnis des Scheiterns wären auch beide Koalitionspartner frei, verbal aufzurüsten.
Damit bräche der Wahlkampf aus - zweieinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl.
Die Regierung gibt sich offiziell noch optimistisch und rechnet mit einem Kompromiss am 18. Juni. Auch SPD-Chef Kurt Beck mag noch nicht aufgeben. Es gebe nun eine "Denkphase" bis zum nächsten Treffen, sagte er. Vielleicht werde man sich dann auf die Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen einigen.
Doch das dürfte Müntefering kaum reichen. Auch SPD-Fraktionschef Struck stellt sich bereits auf eine Eskalation ein. Er sehe bei der Union "überhaupt keine Bewegung", sagte er heute. Seine Prognose: "Das wird uns die nächsten zweieinhalb Jahre beschäftigen."
SPD: Herdprämie kommt nie
Dagegen war die Kita-Einigung geradezu ein Kinderspiel. Das Thema wurde gestern Abend als erstes behandelt, weil sich die Koalitionspartner hier zumindest in der Zielvorgabe der 750.000 Krippenplätze bis 2013 einig waren. Der Bund hat nun zugesagt, ein Drittel der geschätzten Gesamtkosten von zwölf Milliarden Euro für den Kita-Ausbau zu übernehmen.
Heikel wird es danach. Ab 2013 soll es einen "Rechtsanspruch auf Betreuung" geben. Über die Auslegung wird noch gestritten. Das beginnt mit dem kleinen sprachlichen Unterschied, dass in der SPD von einer Krippen-Einigung gesprochen wird, in der Union aber umfassender von einer "Verbesserung der Betreuung". Letzteres schließt die Kinderbetreuung zuhause in der Familie mit ein. Im Sieben-Punkte-Abschlusspapier des Koalitionsausschusses steht: "Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von 1 bis 3 Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden."
Den Satz hat die SPD der CSU zugestanden, damit diese im Gegenzug der SPD-Forderung nach dem Kita-Rechtsanspruch zustimmt. Es war jedoch ein rein taktisches Manöver: Die Sozialdemokraten sind sich hundertprozentig sicher, dass diese "Herdprämie" nie Realität wird. Eine Zahlung von 150 Euro pro Kind, wie von Stoiber anvisiert, würde zig Milliarden Euro kosten und daher nie umgesetzt, heißt es in der Partei. "Das wird kein Finanzminister je mitmachen".
© SPIEGEL ONLINE 2007 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH
MfG kiiwii
|