Marktanalyse - Aktienmärkte: Was war der Auslöser für den Kursrutsch? von Sven Weisenhaus
Verehrte Leserinnen und Leser,
der DAX hat in dieser Woche heftige Kursverluste hinnehmen müssen. Auslöser waren Meldungen zufolge schwache Daten zur chinesischen Konjunktur. Der von HSBC und Markit ermittelte Einkaufsmanagerindex war für Januar auf 49,6 Punkte gefallen. Werte unter 50 deuten bei diesem Stimmungsindikator auf eine Kontraktion der Wirtschaft in den kommenden 6 Monaten hin.
Fällt China als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft weg?
Tatsächlich sind wir von den Wachstumsraten von 10 %, die China einst vorweisen konnte, weit entfernt. Experten gehen davon aus, dass auch das aktuelle Wirtschaftswachstum von zuletzt 7,7 % in den kommenden Jahren nicht mehr gehalten werden kann. Und so stellt sich die Frage, ob China als ein wichtiger Wachstumsmotor der Weltwirtschaft wegfallen könnte.
An den Märkten fiel die Antwort angesichts der starken Kursrückgänge offenbar eindeutig aus. Doch sollte man den jüngsten Kurseinbruch am Aktienmarkt wirklich in einen Zusammenhang mit möglicherweise sinkenden Wachstumsraten in China bringen?
Prozentuales vs. absolutes Wachstum
Nehmen wir an, der Umsatz eines Unternehmens wächst innerhalb eines Jahres um 10 % von 100 auf 110 Euro. Dann beträgt das absolute Wachstum 10 Euro. Im nächsten Jahr wächst das Unternehmen mit nur 9,09 Prozent. Bezogen auf den Umsatz von 110 Euro bedeutet dies erneut ein Wachstum um 10 Euro auf 120 Euro. Im dritten Jahr kann die Firma beim Umsatz nur noch 8,34 Prozent zulegen. Trotz sinkenden Wachstumsraten steigt der Umsatz erneut um 10 Euro, von 120 auf 130 Euro.
Obwohl das prozentuale Wachstum sinkt, steigt der Umsatz in absoluten Zahlen im selben Tempo weiter. Und vergleichbar stellt es sich auch beim chinesischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) dar. Lediglich die Wachstumsrate sinkt, während die Wirtschaft in absoluten Zahlen nahezu ungebremst expandiert.
Moderat abnehmende Wachstumsraten in China sind kein Problem für die Weltwirtschaft
Moderat abnehmende Wachstumsraten sind also überhaupt kein Problem für China und somit auch nicht für die Weltwirtschaft. Entsprechend hinkt das Argument, dieser einzelne Stimmungsindikator (Einkaufsmanagerindex) hätte zu derart starken Bewegungen am Aktienmarkt führen können.
Es wird immer nach irgendwelchen Gründen gesucht
Es lässt sich oft beobachten, dass die Medien irgendeine vermeintlich passende Nachricht des Tages heraussuchen, um bestimmte Kursbewegungen zu begründen. Wir irrsinnig solche Auswüchse manchmal bzw. entsprechende Pressemeldungen teilweise sind, lässt sich an einem Handelsblatt-Artikel vom vergangenen Freitag ablesen.
Angespannte Angebotssituation führte zu 10-Cent-Anstieg im Ölpreis?
Dort war Folgendes zu lesen: „Die Ölpreise sind leicht gestiegen. Die Nordseesorte Brent kostete am Freitag zehn Cent mehr als am Vortag.“ Und dann folgte die Begründung für diesen (unglaublich heftigen) Kursanstieg zum Vortag: „Als Grund für den höheren Brentpreis nennen Rohstoffexperten die angespanntere Angebotssituation in Europa.“
Dass eine Kursbewegung um 10 Cent bei einem Brentpreis von aktuell knapp 108 Euro überhaupt eine Meldung wert ist, verwundert schon. Doch schauen wir uns dazu auch noch die Kursbewegung des Ölpreises der Nordseesorte Brent vom Freitag (siehe Rechteck im folgenden Chart) einmal an.
Betrachten Sie vor diesem Hintergrund die Pressemeldung noch einmal. - Natürlich, der „gigantische“ Kursanstieg um 10 Cent hatte „sicherlich“ mit der angespannten Angebotssituation in Europa zu tun. (Ich hoffe, Sie verstehen die Ironie!)
Offen bleibt in dem Artikel leider, wie sich der vorangegangene Kursrückgang um das 15-fache des 10-Cent-Anstiegs (innerhalb des Tages, blaues Rechteck) erklärt und warum es trotz der angespannten Angebotssituation in Europa im Vergleich zu dem Hoch am Mittwoch zu einem insgesamt gesunkenen Ölpreis gekommen ist. Mich würde auch noch der Name der Rohstoffexperten interessieren, die da zitiert wurden (falls es sie überhaupt gibt).
Erst China, dann Argentinien
Glauben Sie nicht jeden Schwachsinn, der täglich so durch die Medien verbreitet wird. Vielleicht hatte die Meldung aus China von Donnerstag ja wirklich etwas mit dem Kursrückgang an den Aktienmärkten zu tun. Allerdings wurden die stärkeren Kursverluste am Freitag schon wieder völlig anders begründet – mit Währungsturbulenzen durch Probleme in Argentinien.
Ein kleiner Schubs führt zum Dominoeffekt
Wir bestreiten den Zusammenhang zwischen bestimmten Meldungen oder Ereignissen und plötzlichen Kursbewegungen nicht. In vielen Fällen sind sie aber lediglich der Auslöser erster Käufe bzw. Verkäufe.
Bei den aktuell starken Kursverlusten dürfte daher folgende Erklärung wesentlich mehr Sinn machen: Der Auslöser erster Verkäufe war eine bestimmte Meldung (vielleicht China, vielleicht Argentinien), die weiteren Verluste führte aus unserer Sicht aber dann ein Dominoeffekt herbei, der einfach aufgrund der überreifen Aufwärtstrends und der längst überfälligen Korrektur entstanden ist.
Viele Anleger haben lediglich einen kleinen Schubs benötigt, um endlich ihre Gewinne mitzunehmen und so auf der Verkäuferseite aufzutauchen. Weitere Anleger sind ihnen wegen der fallenden Kurse gefolgt und haben den Kursrutsch verstärkt. Je weiter die Kurse zurückkamen, desto mehr Anleger sind auf den angefahrenen Zug aufgesprungen. Eine völlig normale, charttechnische Reaktion, die keiner Nachricht oder Meldung bedarf.
US-Notenbank wird wieder in den Fokus rücken
In der kommenden Woche dürfte die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer wieder der US-Notenbank gelten. Ben Bernanke, der Noch-Präsident der Fed, wird am Mittwoch letztmalig im Federal Open Market Committee (FOMC) mit über die geldpolitische Ausrichtung der US-Notenbank entscheiden. Am 1. Februar erfolgt dann die Übergabe des Chefpostens an Janet Yellen.
Assetkäufe dürften ein weiteres Mal reduziert werden
Im Anschluss an die vorangegangene FOMC-Sitzung wurde am 18. Dezember die Reduzierung des Anleihekaufprogramms um 10 Mrd. US-Dollar auf nunmehr 75 Mrd. US-Dollar pro Monat verkündet. Der erste Schritt des sogenannten Tapering war eingeläutet. Auf der kommenden Sitzung dürften die Asset-Käufe erneut um 10 Mrd. US-Dollar reduziert und auf den weiteren Sitzungen in jeweils gleicher Höhe zurückgeführt werden. (Vielleicht haben die Anleger auch aus Angst vor diesem Schritt Gewinnmitnahmen vorgenommen?!)
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
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