"300.000 Russen haben das Land verlassen
Was passiert, wenn die Lager leer sind, lässt sich schon jetzt in russischen Elektronikmärkten sehen: Dort werden westliche und koreanische Smartphones inzwischen von schlechteren chinesischen verdrängt. So ähnlich dürften sich auch andere Wirtschaftszweige demnächst verändern. Langfristig würden die Technologiesanktionen die russische Wirtschaft am meisten schwächen, glaubt der Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Stefan Meister: „Die Basis der meisten Industrien ist immer noch sowjetisch. Hochtechnologie wird aus dem Ausland zugekauft.“ Viele Hightech-Importe aus dem Westen seien nicht zu ersetzen.
Dabei würden zum Beispiel Mikroelektronik oder moderne Technologien in der Öl- und Gasförderung dringend gebraucht. Damit werde die russische Wirtschaft um Jahrzehnte zurückgeworfen, ihr Geschäftsmodell sei gefährdet. Hinzu kommt ein erheblicher „Brain Drain“: Die Abwanderung von mehr als 300.000 Russen ins Ausland nimmt dem Land neben der Technologie auch noch dringend benötigte Fachkräfte, wie der Analyst der Berenberg-Bank Holger Schmieding darlegt: „Diejenigen, die wegziehen, stammen meist aus der jungen, unternehmerischen und technikaffinen städtischen Elite. Ohne sie wird Russland noch weniger dynamisch sein als zuvor.“ Kurzfristig wichtiger aber scheint ein anderes Problem zu sein, das sich schon abzeichnet: Russland nimmt deutlich weniger Geld ein als im Vorjahr, gibt zugleich aber viel mehr für seinen Krieg aus. So sind die Einnahmen aus dem Öl- und Gasverkauf im Juli gegenüber dem Vorjahresmonat um 22 Prozent zurückgegangen – trotz der hohen Energiepreise. Das liegt vor allem daran, dass Russland viele europäische Kunden nicht mehr mit Gas beliefert. Der Rückgang fällt auch deshalb nicht noch stärker aus, weil europäische Kunden angesichts des demnächst in Kraft tretenden Ölembargos derzeit noch viel russisches Öl einkaufen. Sein Öl wird Russland schon jetzt nur mit einem großen Rabatt los. Die russische Ural-Sorte wird auf dem Weltmarkt für gut 30 Dollar je Barrel (159 Liter) weniger gehandelt als die Nordseesorte Brent.
Aber auch die Einnahmen, die nichts mit Öl und Gas zu tun haben, lagen im Juli um 29 Prozent unter denen des Vorjahreszeitraums, vor allem wegen der ausbleibenden Importe, für die sonst Zölle erhoben werden konnten. Im Juli führte das schon zu einem Haushaltsdefizit. Diese Tendenz werde sich fortsetzen, glaubt Ökonom Enikolopow, und den Kreml zunehmend vor Finanzierungsprobleme stellen. Ob dadurch irgendwann nicht mehr genug Geld für den Krieg vorhanden sein werde, sei aber extrem schwer zu sagen, denn gespart werden könne an anderer Stelle. Das sei wie in dem alten sowjetischen Witz, in dem ein Vater seinem Sohn erzählt, dass die Wodkapreise gestiegen seien. „Heißt das, dass du nun weniger trinken wirst“?, fragt der Sohn, woraufhin der Vater antwortet: „Nein, das heißt, dass du weniger essen wirst.“" https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/...gedArticle=true#pageIndex_2
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