Weltwirtschaftsforum DavosDas grosse Zappen durch die Weltprobleme Alle Jahre ist es das Gleiche. Das World Economic Forum (WEF) weckt grosse Emotionen, nicht nur bei vielen Aussenstehenden, sondern auch bei so manchen Teilnehmern. Und Jahr für Jahr entzieht sich das WEF einem eindeutigen Urteil. Sicher ist es nicht so nutz- und wirkungslos, wie es desillusionierte Kritiker behaupten, sicher ist es aber auch nicht die Weltverbesserungsinstitution, als die es die Veranstalter selbst sehen. Und erst recht ist es nicht jene dämonische Ansammlung von Macht, jene heimliche Weltregierung ohne demokratische Legitimation, die die Globalisierungsgegner an die Wand malen; sie überschätzen damit das «Grosse Davoser Welttheater» bei weitem.
Das WEF des Jahres 2005 lässt einen mit besonders ambivalenten Eindrücken zurück. Natürlich ist man wie jedes Jahr beeindruckt von der Organisation eines solchen Grossanlasses, von der Effizienz - und Freundlichkeit - aller Verantwortlichen, von Klaus Schwab an der Spitze bis zu den Frauen an der Garderobe, beeindruckt von der Prominenz der Teilnehmer, der Möglichkeit des direkten Kontaktes mit fast jedermann und der Qualität vieler Äusserungen. Man empfindet auch, wie jedes Jahr, das WEF als Bienenhaus und fragt sich, ob es nicht längst zu gross geworden ist und sich vielleicht von den Strukturen her überholt hat. Dieses Jahr fühlt man sich aber darüber hinaus stellenweise wie im falschen Film, so viel ist von Solidarität und Hilfe, vor allem für Afrika, und ganz allgemein von der Verbesserung der Welt die Rede - gewiss alles noble Anliegen. Aber es braucht eine Basis für all dies. Ob wohl am Weltsozialgipfel in Porto Alegre stattdessen Wirtschaftswachstum und Unternehmensprofit im Mittelpunkt stehen?
Warum die Führungskräfte aus der Wirtschaft dieses Jahr noch mehr verunsichert wirken als nach den Bilanzskandalen, ist schwierig zu eruieren. Handelt es sich um eine Art Überreaktion auf die als Globalisierungskritik getarnte Kapitalismus-Schelte? Suchen die Manager jene gesellschaftliche Anerkennung, die sie in der erfolgreichen Führung von Unternehmen nicht finden? Wollen sie ihr kollektives schlechtes Gewissen beruhigen? Sind sie von den vielen hehren Worten, die sie in Davos hören und selber äussern, wirklich überzeugt? Oder ist das Ganze eine Art sonntägliches Selbstanklage- Ritual, das am Werktag wieder vergessen geht? Die Veranstalter haben selbst dazu beigetragen, dass sich 2005 der «Davos Man» in Richtung eines «Gutmenschen» entwickelt - mit dem Motto «Verantwortung für schwierige Entscheide übernehmen» und mit einem dem Populismus Vorschub leistenden sogenannten Town Hall Meeting.
An diesem Treffen konnten 700 Führungskräfte darüber diskutieren und abstimmen, was die sechs wichtigsten Probleme der Welt sind und wie sie anzugehen wären. In vielerlei Hinsicht reflektiert diese Neuerung in einem positiven Sinn den «Spirit of Davos». Zu den Aktiva zählt das offene Gespräch zwischen Menschen aus allen Ecken der Welt und mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund. Ebenfalls zu den Pluspunkten gehört die glaubwürdige Betroffenheit vieler Teilnehmer vom Elend dieser Welt. Dem stehen jedoch problematische Tendenzen gegenüber, die man sonst eher in Kreisen findet, denen ihr Idealismus den Blick für die Realitäten verstellt. Diese Tendenzen ziehen sich durch das ganze WEF 2005.
Dazu gehört, erstens, eine gewisse Oberflächlichkeit. In kürzester Zeit die grossen Weltprobleme abzuhandeln, hat etwas Unseriöses an sich, genauso wie in vier Tagen und über 200 Veranstaltungen fast jedes vorstellbare Thema anzusprechen. Die Folge ist ein Mangel an Tiefe in der Analyse. Was die Ursachen der Probleme sind, kommt in den Diskussionen in Davos erstaunlich selten zur Sprache. «Es muss etwas geschehen», ein beliebter Satz am WEF, mag von persönlichem Engagement zeugen, nicht aber von ernsthafter Auseinandersetzung. Daraus ergibt sich, zweitens, dass viele Ursachen - aus Feigheit? - gar nicht oder nur wenig thematisiert werden. Diktatorische und korrupte Regime in der Dritten Welt oder der Protektionismus der reichen Länder als Ursachen der Armut finden am WEF 2005 viel weniger Beachtung als das Ausmass der offiziellen Entwicklungshilfe.
Gravierend ist, drittens, das permanente Zelebrieren eines fast unbegrenzten Machbarkeitsglaubens. Immer wieder wird suggeriert, es sei alles nur eine Frage des Geldes und es brauche gar nicht besonders viele Mittel, um die grossen Probleme (vgl. Textkasten) zu lösen. Damit verbunden ist, viertens, ein geradezu erschreckender Mangel an Denken in Zusammenhängen und in Opportunitätskosten. Was bedeutet es etwa für die Bekämpfung der Armut, wenn man mit Blick auf die Klimaveränderung die Erdölpreise mittels Lenkungssteuern hochzustemmen versucht? Oft gewinnt man den Eindruck, die Manager und Politiker am WEF reagierten ein wenig wie Leute, die von Meinungsforschern befragt werden, ob sie weniger arbeiten, mehr verdienen und länger leben möchten. Zumindest die Wirtschaftselite sollte wissen, dass der Einsatz für noch so wichtige Ziele immer einen Preis hat, der über das Monetäre hinausgeht und andere, ebenso wertvolle Ziele gefährdet.
Vielleicht die gefährlichste Aberration der Diskussionen am WEF ist jedoch die Suggestion, Wirtschaftsführer seien kraft ihres Amtes kompetent und verantwortlich, die grossen Probleme der Welt zu lösen. Ausgerechnet Bundeskanzler Schröder erinnerte die Teilnehmer daran, dass es ein zentraler Beitrag zur Stabilität und zum Fortkommen der Welt ist, wenn man das eigene Haus in Ordnung hält. Das gilt auch mit Blick auf die Manager. Gelegentlich fällt am WEF zwar die Aussage, es sei die nobelste und sozialste Aufgabe der Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen, die nachgefragt werden, und damit Gewinne zu erzielen. Insgesamt aber scheint ein solches Bekenntnis zur Kernkompetenz am WEF 2005 geradezu Mut zu verlangen, mehr jedenfalls als die Demonstration von Betroffenheit und gutem Willen.
Eine Frage, die sich im Zusammenhang mit dem WEF immer wieder stellt, ist die nach dem Nutzen. Wem bringt es wirklich etwas? Sicher profitiert die Landschaft Davos unmittelbar durch den grossen Gästestrom und indirekt durch die weltweite Werbung. Für die Schweizer Politik ist das WEF von fast unersetzbarem Wert; hier ist innert weniger Tage vermutlich mehr gezielte Kontaktpflege auf höchstem Niveau möglich als sonst während eines ganzen Jahres. Ob die Führungskräfte viel Nutzen aus dem WEF ziehen, lässt sich wohl nicht schlüssig beantworten. Der Markttest ist insofern nicht gültig, als diese Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Regel auf Kosten «ihrer» Firmen in Davos weilen. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass sie gänzlich ohne neue Anregungen und Kontakte vom WEF zurückkehren. Doch könnten sie beides nicht auch anderweitig erhalten? Klarer dürfte der unmittelbare geschäftliche Nutzen sein, vor allem für die vielen Unternehmen aus der Finanzbranche, die nicht nur am WEF selbst, sondern weit darüber hinaus stark in Davos vertreten sind.
Und die Welt als Ganzes? Vielleicht wird tatsächlich am WEF das eine oder andere angestossen. Der Enthusiasmus hält allerdings nicht immer sehr lange. Viel wichtiger wäre daher, die Eliten aus aller Welt würden sich am WEF der Verbesserung ihrer ureigensten Aufgabe, der Unternehmensführung, verschreiben: Mehr «Schuster, bleib bei deinem Leisten» und weniger «think big» - das wäre wohl die sinnvollste Form der «Weltverbesserung».
G. S. (Davos)
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