Es gibt sie tatsächlich noch, die guten Nachrichten aus der deutschen Wirtschaft. Eine davon ist die Geschichte der Biotech-Firma Morphosys AG in Martinsried. Nach Ansicht der Unternehmenssprecherin Dr. Claudia Gutjahr-Löser belegt Morphosys, dass innovative deutsche Firmen, auch dank bayerischer Innovations- und Clusterpolitik, sich in den Zukunftsbranchen behaupten und wachsen können. „Wir sind hier noch nicht so weit wie in den USA, wo Start-ups es bereits geschafft haben, zu milliardenschweren Konzern zu mutieren. Aber unser Beispiel beweist: Es gibt in Martinsried mittlerweile einige Biotechnik-Firmen von Weltrang. Solche Erfolgsgeschichten sind sehr wichtig für Deutschland“, betont Gutjahr-Löser. So zählt die Bio- und Gentechnik ihrer Ansicht nach zu jenem illustren Kreis von Wirtschaftszweigen, die in einem Hochlohnland wie Deutschland überhaupt noch Zukunft versprechen, mit hohen Wachstumsraten und der so seltenen Schaffung hochqualifizierter, gut bezahlter Arbeitsplätze. So verlockend diese Perspektiven sind, so hoch sind die Probleme, die sich vor Biotech-Firmen auftürmen:
Biotechnik verschlingt extrem viel Kapital, Zeit und Forschungsarbeit und das bei hohen Marktrisiken. Nach Einschätzung von Mario Brkulj, PR-Spezialist bei Morphosys, dauert es durchschnittlich acht Jahre, um ein neues Medikament bis zur Marktreife zu entwickeln. Und es gibt keine Garantie, was am Ende dieses Prozesses herauskommt: Flop oder das Wundermittel, auf das die Welt gewartet hat. Das erfordert auch von den Finanziers und Anlegern viel Vertrauen und einen langen Atem. Da jeder verfügbare Euro sofort wieder in die Forschung gesteckt wird, brauchen Biotech-Firmen außergewöhnlich lange, bis sie schwarze Zahlen schreiben. Im Falle Morphosys sicherte das Zusammentreffen vorteilhafter Umstände den heutigen Firmenerfolg: So brachte der Vorstandsvorsitzende Dr. Simon Moroney 1992 eben nicht nur den nötigen Mut zur Firmengründung mit, sondern auch umfangreiches Know-how aus der akademischen und kommerziellen Forschung über die Entwicklung therapeutischer Antikörper. In Martinsried fand er das gründungs- und innovationsfreundliche Klima, das Start-ups seiner Branche brauchen. So gehört Morphosys zu den rund 30 Firmenneugründungen, die das fast schon legendäre Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB) in Martinsried hervorgebracht hat. Und Moroney hat es geschafft, binnen weniger Jahre selbst Großkonzerne wie Hoffmann-La Roche und Du-Pont von seiner so genannten HuCAL-Technologie zu überzeugen. Dieses Kürzel steht für die Produktion künstlicher Antikörper als Basis für die Entwicklung neuer Medikamente für den großen Kampf der Medizin gegen die bislang schwer- oder unheilbaren Krankheiten: Virusinfektionen, Tumore, Leukämie, Entzündungen, Lebererkrankungen, Alzheimer oder Herz-Kreislauf-Störungen.
Den Großteil seines Kapitalbedarfs stillt Morphosys über Kooperationen mit anderen Firmen. Morphosys ist derzeit an 25 therapeutischen Antikörperprogrammen beteiligt. Die Hälfte der zehn weltgrößten Pharmakonzerne arbeitet heute mit der Firma in Martinsried zusammen, der mit Abstand wichtigste Geschäftspartner ist derzeit Novartis. Ein cleveres Kapitalisierungsmodell: „Der Partner finanziert das Projekt und trägt das Risiko, wir liefern das Know-how“, erläutert Gutjahr-Löser. Morphosys sei an erfolgreichen Abschnitten der Zulassung neuer Medikamente in Form von „Meilensteinen und Tantiemen“ am Erfolg beteiligt. Zweites Standbein von Morphosys ist die Herstellung syntethischer Antikörper für Forschungszwecke. Um diesen Markt zu erschließen, wurde 2003 die neue Geschäftseinheit „Antibodies by Design“ gegründet, die bereits jährliche Wachstumsraten von 15 Prozent erzielt. Nach der Übernahme der Biogenesis-Gruppe in Großbritannien und der USA erhofft man sich in Martinsried, auf diesem Markt noch besser ins Geschäft zu kommen. Glücklicherweise konnte Morphosys mittlerweile einen langwierigen und kostspieligen Patentstreit mit dem britischen Unternehmen Cambridge Antibody Technology (CAT) beenden: Sechs bis acht Millionen Euro pro Jahr musste Morphosys für diese juristische Auseinandersetzung bezahlen, bei einem Jahresumsatz von 22 Millionen Euro (2004) wäre das nicht lange durchzuhalten gewesen. Gutjahr-Löser sagt, sie sei froh, dass dieser „Schatten“ nicht länger über ihrem Unternehmen liege. Relativ unbeschadet hat das Unternehmen auch den Crash des Neuen Markts überstanden: Um sich aller Finanzierungssorgen zu entledigen, ging Morphosys 1999 als erste deutsche Biotech-Firma an die Börse – ein spektakulärer Schritt mit spektakulären Folgen. Im Boomjahr 2000 hatte die Morphosys-Aktie die beste Performance aller deutschen Wertpapiere, zwischenzeitlich war die junge Firma in Martinsried an der Börse mehr wert als die Deutsche Lufthansa. Nach Ansicht von Gutjahr-Löser haben nicht zuletzt die charismatischen Fähigkeiten ihres Firmenchefs Morphosys nach dem Börsenabsturz gerettet. „Der Druck von außen, von Anlegern und Investoren, war in der Krise natürlich brutal, aber an der Seriösität von Simon Moroney hat niemand gezweifelt. Und das Vertrauen in unsere tollen Technologien war immer da, das war der Unterschied zu anderen Firmen“, so die Firmensprecherin. Moroney selbst sagt, dass die Hochzeit des Neuen Marktes von großen Spekulationen geprägt war. Heute ist das Unternehmen mit immerhin 220 Millionen Euro bewertet, ein großer Unterschied gegenüber der Goldrausch-Stimmung in den Boomjahren des Neuen Marktes. „Da wurde mit Erwartungen spekuliert, die kein Unternehmen erfüllen kann. Insofern hatte diese Börsenberuhigung auch ihren Vorteil“, erläutert der Firmenchef. Gleichwohl erzwang der Absturz an der Börse harte Schritte. Moroney baute ein Viertel der Arbeitsplätze ab und ordnete eine Strategieanpassung an – weg vom reinen „cash-burn“, dafür hin zu mehr Eigenkapital und einem profitablem Wachstum. Die Erfolge des Turn-arounds kamen früher als erwartet: Im vergangenen Jahr erreichte Morphosys erstmals die Gewinnzone, für das erste Halbjahr 2005 liegt man bei Umsatz und Gewinn deutlich über Plan – mit einem Umsatzplus von 73 Prozent auf 15,4 Millionen Euro und einem Nettogewinn von 1,8 Millionen Euro (Vorjahr: Minus 1,2 Millionen Euro), bei einer soliden Eigenkapitalbasis von 48 Millionen Euro. Offensichtlich müssen sich die 170 Morphosys-Mitarbeiter (140 davon arbeiten in Martinsried) wenig Sorgen machen. Laut Claudia Gutjahr-Löser peilt man für die nächsten Jahre weiter zweistellige Wachstumsraten an und will noch mehr Marktanteile hinzugewinnen. Die Chancen stehen gut, glaubt PR-Mann Mario Brkulj. Morphosys könne mit seinen flachen Hierarchien schneller und flexibler auf wechselnde Marktbedürfnisse reagieren als die Pharma-Riesen. Etwa 2009/2010 könne man mit dem ersten Medikament „Made in Martinsried“ auf dem Markt rechnen, ein Mittel gegen Blutkrebs werde bereits am Menschen erprobt. Man arbeite mit Volldampf daran, den Druck auf der „Produkt-Pipeline“ zu erhöhen.
Wichtig für Morphosys ist seiner Ansicht nach der vor kurzem geglückte Einstieg auf dem Markt für Forschungsantikörper in Japan. Japan habe den Trend zur Biotechnologie lange Zeit „komplett verschlafen“ und unternehme nun immense Anstrengungen, um in dieser Branche aufzuholen. „Japan ist der kommende Markt für Biotechnologie, daher wollten wir unbedingt bei dieser Aufholjagd dabei sein“, erklärt Brkulj. Trotz des weltweiten Engagements fühlt sich Claudia Gutjahr-Löser in Martinsried immer noch rundum wohl. Die größten Vorteile des Standorts sind in ihren Augen das große Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften und das gründungs- und wirtschaftsfreundliche Klima der Region. Probleme mit Genehmigungen oder bürokratischen Auflagen habe es nie gegeben.
Martin Armbruster
IHK-INFO IHK-Ansprechpartner Dr. Frieder Schuh, Tel. 089 5116-341 E-Mail: schuh@muenchen.ihk.de
Wirtschaft-Das IHK-Magazin 11/2005
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