zeigen und ihren hut nehmen!
Visa-Affäre
"Diese Vorgehensweise ist unangemessen" Innen- und Außenministerium haben mit aller Macht gegeneinander gearbeitet – sie lieferten sich einen verbalen Häuserkampf. Von Hans Leyendecker
Der Streit, der hinter verschlossenen Türen, aber mit großer Verve ausgefochten wurde, begann am 8. März 2000: Damals stellte Dr. Ludger Volmer in einer Pressekonferenz einen neuen Erlass seines Ministeriums vor, dessen Kernsatz hieß: „Im Zweifel für die Reisefreiheit“.
Am selben Tag erkundigte sich seine Parteifreundin Claudia Roth schriftlich bei dem damaligen Staatsminister im Auswärtigen Amt (AA), wie es denn mit der geplanten „Neuregelung im Visumverfahren“ aussehe; und prompt bekam die „liebe Claudia“ eine Antwort: bestens. Er teilte seiner Parteifreundin auch mit, nun werde sein Amt auch das Bundesinnenministerium (BMI) „über den Inhalt der neuen Visumpraxis unterrichten“.
Seit jenem Tag, an dem das BMI informiert und damit beteiligt worden war, erwies sich die Atmosphäre zwischen dem Innen- und Außenministerium als vergiftet. Der interne Schriftverkehr der beiden Ministerien dokumentiert eine Auseinandersetzung, die der Opposition weiteren Sprengstoff für den Visa-Untersuchungsausschuss liefern könnte.
"Nicht hinnehmbar"
Die Akten belegen nämlich, dass sich die zuständigen Abteilungen und Referate der beiden Häuser stark misstrauten: Als das BMI am 9. März 2000 von dem Erlass erfuhr, erstellte das zuständige Referat A2 eine sechsseitige Vorlage für Minister Otto Schily: „Inhaltlich gravierende Bedenken“, „nicht hinnehmbar“ waren die sehr deutlichen Stichworte.
„Persönlich/Vertraulich“ schrieb Schily daraufhin am 10. März dem Ministerkollegen Joschka Fischer einen zweiseitigen Brief. Auszug: „Ich halte diese Vorgehensweise für völlig unangemessen. Ihre Maßnahmen stellen auch die Bemühungen Deutschlands in Frage, an den künftigen Außengrenzen der Europäischen Union ein strenges Visaregime durchzusetzen.“ Am 13. März schickte Schily einen dreiseitigen Brief hinterher: „Die in dem Erlass niedergelegten Grundsätze“ berücksichtigten „nicht die Beschlusslage der Schengen-Staaten“.
Süffisanter Konter
Der Konter folgte umgehend: Noch am selben Tag antwortete Fischer süffisant dem „sehr geehrten Herrn Kollegen: „Es war auch unter den früheren Bundesregierungen nicht üblich, Runderlasse zur Visumpraxis der Auslandsvertretungen dem Bundesministerium des Innern vorab mitzuteilen oder gar abzustimmen. Ich wäre dankbar, wenn die Fachleute in Ihrem Hause die im Erlass beschriebenen Verfahren zur Visumpraxis sine ira et studio bewerteten.“
Die Staatssekretäre Claus Henning Schapper (Inneres) und Gunter Pleuger (Äußeres) wurden eingeschaltet. Ein Arbeitskreis beider Häuser traf sich. Die Mannschaft des AA stellte hinterher fest, die Kollegen vom BMI hätten mit „zum Teil sehr spitzfindigen Begründungen“ versucht, am Erlass zu kritteln. Das Team des BMI resümierte bedauernd, die andere Seite habe keinen Punkt ändern wollen.
Schapper schrieb an Pleuger: Er halte es nicht für richtig, dass ein Visum erteilt werde, wenn die Anhaltspunkte, „die für oder gegen die Rückkehrbereitschaft sprechen, von gleichem Gewicht sind.“ Pleuger seinerseits entgegnete: „Das von Ihnen vermutete Risiko, die deutschen Auslandsvertretungen könnten den Erlass möglicherweise missverstehen, sehe ich nicht.“
Moderne Sklaverei
Dann brach der Sturm los: Die Botschaften verschickten Alarmberichte, weil sie unter dem Ansturm der Visums-Antragsteller die Übersicht verloren. Von Herbst 2000 an berichteten Polizeibehörden aus ganz Europa, dass Busladungen von Schwarzarbeitern mit deutschen Visa aufgefallen seien.
Das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesgrenzschutz (BGS) fertigten kritische Berichte; von Schleuserkriminalität und Frauenhandel war die Rede – auch von „Formen moderner Sklaverei“. Warum hat Otto Schily, auf dessen Schreibtisch ein Dutzend solcher Berichte landeten, nicht gehandelt und zumindest die Innenministerkonferenz informiert? Vermerke und E-Mails belegen, dass die Polizei- und BGS-Abteilungen seines Hauses vor den Folgen dieser Visapolitik warnten.
Die Schleuserkriminalität wurde durch Reiseschutzpässe, die von beiden Häusern abgesegnet worden waren, im Jahr 2001 noch mehr in Schwung gebracht. Die Botschaft in Kiew meldete Weltrekord: rund 300.000 Visa-Anträge bewilligt.
Als Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, schrieb eine AA-Mitarbeiterin am 8. Oktober 2001 vorsichtshalber eine Notiz: „Es ist doch gut, ein paar Mails aufzuheben. Hier der Nachweis, dass das BMI unseren Erlass zum Reiseschutz-Pass gesehen, geändert und damit akzeptiert hat.“
Der Vortragende Legationsrat im AA, Wolfgang Manig, erkundigte sich bei seinem Partner im BMI, dem Regierungsrat Achim Hildebrandt.: „Lieber Achim, hört man da noch was vom BMI? Immerhin waren es nachgeordnete Stellen des Geschäftsbereichs des BMI (BGS und BKA), die hier die Initiative ergriffen haben“ – gemeint ist die Warnung der Ermittler, bei den Ausstellern der Reiseschutzpässe könne es sich um Betrüger handeln.
Er fügte eine indirekte Warnung hinzu: Bei der Einstellung der Arbeit mit den Reiseschutzpässen „könnte es in der Tat zu Problemen mit der Haftung kommen (allerdings auch und zuvörderst im BMI/BGS/BKA)“ – das BMI wäre mitverantwortlich, deutete Manig damit an, wenn sich erweisen sollte, dass das Misstrauen der Kollegen von BGS und BKA unnötig war.
Hinter den Kulissen
Dann aber kam ein Geschäftsmann, der mit Unterstützung der Ministerien mit Reiseschutzpässen gehandelt hatte, in U-Haft; und am 24. Juli 2002 teilte Innenstaatssekretär Schapper seinem Kollegen Jürgen Chrobog im AA eilfertig mit, man biete Hilfe an – womit natürlich auch direkt Einsicht in die Vorgänge genommen werden konnte: Als „zeitnah realisierbare operative Maßnahme biete ich die Entsendung von speziell ausgebildeten Beamten des Bundesgrenzschutzes“ an die Visastellen an. Er halte die „Einrichtung einer Zentralen Auskunfts- und Prüfstelle“ für die Visadaten der Botschaften „für sinnvoll“ – natürlich mit Zugang für das BMI.
Dagegen hatte sich das AA immer gewehrt. Chrobog antwortete denn auch ausweichend und verwies darauf, „für die Prüfung der Seriosität und Zuverlässigkeit“ der Reiseschutz-Anbieter sei ja immerhin das BMI zuständig. Das AA habe „in diesem Bereich keinerlei Expertise.“ Schon damals, vor knapp zwei Jahren also, wurden die Karten für das Schwarze-Peter-Spiel verteilt. Hinter den Kulissen wurde heimlich längst über Schuld und Verantwortung geredet.
Der Streit um Zuständigkeiten und Verantwortungen hielt an: Im Herbst 2003 verteilte ein Beamter des BKA auf einem Regionalseminar des AA in Moskau Listen mit Namen verdächtiger Firmen. Das AA teilte dem BMI pikiert mit, der Beamte habe „für Verunsicherung“ bei den Kollegen gesorgt. Das BMI erwiderte, der Polizist habe nur ermöglichen wollen, die Visumanträge „mit besonderer Sorgfalt“ zu prüfen.
Nach außen war sich die Regierung indes immer demonstrativ einig: Als der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl in einer Bundestags-Anfrage Details der Visa-Politik erfahren wollte, bekam er eine schöne, aber irreführende Antwort: „Durch die gute Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes mit dem BMI wird jeder Form einer Visa-Erschleichung unverzüglich, schnell und wirkungsvoll entgegengetreten.“
(SZ vom 12.3.2005)
fischer wusste lange sehr gut bescheid bevor er handelte. schily schritt nicht nachhaltig ein. beide sollten gehen.
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