Schweden ist ein Vorreiter auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft. Doch inzwischen formiert sich massive Kritik an dieser Entwicklung.
Nicht mehr berücksichtigt ist in der Streitschrift die Einführung von Negativzinsen durch die schwedische Reichsbank im Februar. In einer bargeldlosen Gesellschaft wäre eine Flucht ins Bargeld nicht mehr möglich, wie Schweizer Pensionskassen sie in einem ebenfalls negativen Zinsumfeld erwägen. Der nicht demokratisch legitimierten Erhebung einer Abgabe auf Erspartes stünde damit nicht mehr die Hürde der Nullzinsgrenze im Wege, unterhalb derer Anleger ins Bargeld flüchten. Erikssons Kritik sollte man daher auch in Deutschland beachten. Zwar werden die Bundesbürger in Schweden noch als hartnäckige Opponenten des digitalen Zahlungsverkehrs wahrgenommen, doch zeigen die Untersuchungen der Bundesbank zum Zahlungsverhalten in Deutschland einen schleichenden Bedeutungsgewinn dieser Bezahlform.
Zu erinnern ist dabei nur an die Sperrung der Zahlfunktion für Kreditkarten russischer Bürger im Zusammenhang mit den Sanktionen aufgrund des Krieges in der Ukraine oder die Einstellung von Überweisungen an Wikileaks durch zwei große Kartengesellschaften. Selbst wenn man die moralische Berechtigtheit dieser Maßnahmen nicht in Frage stellt, wird man sich doch Gedanken über die Zuverlässigkeit bargeldloser Zahlungssysteme machen – und im Zweifelsfall gemeinsam mit russischen Besuchern über die Kurzsichtigkeit und Fortschrittsgläubigkeit gewisser schwedischer Popmuseen schimpfen. Einem Historiker mag zudem die rhetorische Frage gestattet sein, ob die Speicherung unseres Besitzes in digitaler Form wirklich weitsichtiger ist und langfristigere Datensicherheit verspricht als das Beschreiben von Tontafeln im alten Mesopotamien – lange bevor der Handel durch die Erfindung des Bargeldes in Kleinasien im 7. Jahrhundert vor Christi Geburt wesentlich erleichtert wurde.
http://blogs.faz.net/fazit/2015/05/18/...ldaufstand-in-schweden-5838/
Während eine Diskussionsrunde zur Abschaffung des Bargelds im schwedischen Fernsehen bislang nicht zustande kam, da keine Vertreter der Finanzindustrie zur Teilnahme bereit waren, ist die Frage Ende April zum Thema einer Debatte im schwedischen Reichstag geworden. Als Ziel der Regierung wurde in der Folge formuliert, dass alle Schweden Zugang zu Zahlungsmitteln haben sollen, die in erster Linie vom Markt und nicht vom Staat bereitzustellen seien. Firmen, Vereine und Privatpersonen müssten die Möglichkeit haben, Aus- und Einzahlungen von Bargeld bei Kreditinstituten und Zahlungsdienstleistern vorzunehmen. Wo der Markt diese Dienste nicht bereithalte, trage der Staat die Verantwortung für deren Aufrechterhaltung. Eine Enquete-Kommission des schwedischen Reichstags zur Bargeldversorgung hatte bereits im August 2014 vorgeschlagen, dass die schwedische Reichsbank wieder für die grundlegende Bargeldversorgung zuständig werden solle, die sie 2005 im Rahmen einer umfassenden Deregulierung aufgegeben hatte. Nach der bereits bis 1999 erfolgten Schließung sämtlicher Zweigstellen der Reichsbank waren deren Kunden auf Banken und die Post verweisen worden, um dort ihre Bargeschäfte zu erledigen. Seither sind allerdings die meisten Poststellen ebenfalls geschlossen worden, und die Mehrzahl der Banken hat sich gleichermaßen von ihrem Bargeschäft getrennt. Die Enquete-Kommission gelangte dennoch zu der Ansicht, dass eine umfassende Bargeldversorgung sichergestellt werden könne, ohne Banken und Finanzinstitute zur Annahme von Bargeld zu verpflichten. Wie genau das funktionieren soll, ließ man allerdings offen. Gegen diese nicht zu Ende gedachten Neuerungen argumentiert Eriksson in seiner Streitschrift an. Logischerweise ist ein Kreditkartenterminal, dessen Tasten alle Kunden an einer Kasse zur Eingabe des Geheimcodes nutzen, wesentlich unhygienischer als Banknoten, sofern sie denn regelmäßig von der Zentralbank erneuert werden. Auch das Argument, Bargeldumlauf fördere Kriminalität, ist nicht haltbar. Vielmehr erhält diese eine ganz andere Dimension; man denke nur an die Betrügereien mit Kreditkarten. Der wesentlichste Unterschied dürfte sein, dass man einem Menschen heute grundsätzlich nicht nur das Geld rauben kann, das er physisch bei sich führt, sondern gleich auch das auf dem Bankkonto sowie bei hinreichendem Kartenkredit auch das, das der Beraubte nicht einmal hat – und zwar ohne dabei von ihm auch nur gesehen zu werden. Was die Kosten für die Aufrechterhaltung einer hinlänglichen Bargeldversorgung anbetrifft, stellt sich die Frage nach den gewiss ebenfalls nicht unbeträchtlichen Kosten für die Bereitstellung eines halbwegs sicheren elektronischen Systems.
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