Wann hat es das schon gegeben? Im Kanzleramt beriet die Koalitionsspitze über die Zukunft der Kernenergie, während vor dem Tor der Regierungszentrale drei Oppositionsführer den Schulterschluss mit der demonstrierenden Anti-Atom-Bewegung suchten: SPD-Boss Sigmar Gabriel, Linksfraktionschef Gregor Gysi und Grünen-Vorsitzende Claudia Roth. Parlamentarische und außerparlamentarische Opposition bliesen der Koalition mit vereinten Kräften den Marsch.
Mit Vuvuzelas, Tröten und Trillerpfeifen machten einige hundert Atomkraftgegner mächtig viel Lärm vor Angela Merkels Amtssitz. 2000 schwarz-gelbe Luftballons stiegen in den Spätsommerhimmel - als "radioaktive Wolke". Eine Merkel-Puppe mühte sich vergeblich ab, die Ballons mit einem Schmetterlingsnetz wieder einzufangen.
Einige Demonstranten hatten sich mit Skelett-Gewändern verkleidet, andere trugen Sicherheitsanzüge wie in Kraftwerken. Auf Transparenten hielten sie der Kanzlerin und dem Umweltminister entgegen: "Mit Atom-Strom dealt man nicht, Frau Merkel, Herr Röttgen." Die Aktivisten kündigten an, eine Mahnwache bis zum Ende des Atom-Gipfels im Kanzleramt abzuhalten - notfalls bis in die Nacht.
Einen "heißen Herbst" versprach derweil Grünen-Parteichefin Claudia Roth. Die Koalition, so drohte sie, werde den Widerstand gegen die geplante Laufzeitverlängerung für Atommeiler auf allen Ebenen zu spüren bekommen - "in den Parlamenten und auf der Straße". Die Grünen sind Mitorganisator einer Großkundgebung am 18. September in Berlin.
Für die SPD sagte Sigmar Gabriel den Protestlern jede Unterstützung zu. Rot-Grün werde den schwarz-gelben Ausstieg aus dem Ausstieg sofort rückgängig machen, sollten die beiden Parteien im Bund wieder an die Macht kommen. Der amtierenden Regierung warf der Genosse vor, die Sicherheit der Bevölkerung gegen Geld von der Atomlobby zu verkaufen: "Die wissen nicht, welche Geister sie rufen." Für Linksfraktionschef Gregor Gysi beschädigt die bürgerliche Koalition mit ihrer Entscheidung gegen die Mehrheit der Bürger sogar die Demokratie.
Nachdem die Polit-Prominenz vor dem Kanzleramt abgezogen war, gehörte die Szenerie wieder den Anti-AKW-Demonstranten, die teilweise aus entlegenen Winkeln der Republik an die Spree gekommen waren. Für die Veranstalter vom Kampagnennetzwerk "Campact" war der Aufmarsch beim Atom-Gipfel nur der Anfang. "Eine Regierung, die sich nur auf Klientelpolitik versteht, ist bei den Bürgern angezählt", erklärte "Campact"-Sprecher Christoph Bautz.
Bei der Großdemonstration in zwei Wochen wollen Zehntausende in der Hauptstadt gegen die Kernenergie zu Felde ziehen und das Regierungsviertel friedlich "einkreisen". Dann wird der Lärmpegel wohl noch höher sein als gestern - und nicht nur der Bundeskanzlerin und den Koalitionsspitzen werden die Ohren klingen.