Tour ohne Ullrich?
Warten auf die Explosion Die Codes in der größten Dopingaffäre Spaniens sind geknackt. Mehrere spanische Zeitungen melden, dass 58 Fahrer identifiziert werden konnten. Unter ihnen sollen auch die großen Tour-Favoriten Jan Ullrich und Ivan Basso sein. Von Andreas Burkert
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§ Das Lächeln fällt beiden schwer, doch zur Schauspielerei neigen Jan Ullrich und Rudy Pevenage gewöhnlich nicht, zumindest hatte man das bisher geglaubt.
Genervt schaut Ullrich aus, als er durch die wartende Meute schreitet; ein paar Worte spricht er in ein öffentlich-rechtliches Mikrophon auf die Frage, wie es ihm denn so gehe. Wie soll es einem wohl gehen, den seit Wochenbeginn die heftigsten Dopinggerüchte umschwirren und auf den nach dem medizinischen Check im Kongresszentrum von Straßburg vier Dutzend Fotografen warten.
Nicht, weil sie den Tourfavoriten ablichten wollen. Sondern weil das ja ein verdammt gutes Bild ist: ein prominenter Verdächtiger beim Tourdoktor.
Es sind nicht nur die beklemmenden Umstände, die Jan Ullrich, 32, die Freude auf den Start der 93. Frankreich-Rundfahrt genommen haben. Hinzu kommt diese Ungewissheit, denn im Grunde weiß er seit Donnerstag weniger denn je, ob er Samstag tatsächlich starten darf.
Aus Spanien, wo die Ermittler im Dreck wühlen, den sie bei ihrer Dopingrazzia in Büros und Labors des hauptverdächtigen Giftmischer Fuentes und des Gehilfen Merino vorgefunden haben, ist die Nachricht bis nach Straßburg vorgedrungen, dass neues Unheil droht.
Der spanische Stadtsekretär für Sport, Jaime Lissavetzky, will offenbar an diesem Freitag in Straßburg mit dem französischen Sportminister Jean-Francois Lamour zusammentreffen (wiewohl Paris dies umgehend dementierte).
Im Gepäck habe er dann die 500 Seiten starke Ermittlungsakte, die er sich gestern von der Guardia Civil in Madrid aushändigen ließ. Zudem werde er eine Liste dabei haben, auf welcher die Namen der 58 Dopingverdächtigten Fahrer mit den jeweiligen Indizien aufgelistet seien.
Ein spanischer Radiosender vermeldete am Donnerstagnachmittag die ersten Namen dieser Liste, es sind wohl die prominentesten:
Ullrich stehe angeblich ebenso darauf wie sein Teamkamerad Oscar Sevilla, der italienische Tourfavorit und Giro-Sieger Ivan Basso, der bereits wegen Epo-Dopings gesperrte Liberty-Kapitän Roberto Heras, der Giro-Zweite José Gutierrez, der letztjährige Tour-Vierte Francesco Mancebo und der frühere T-Mobile-Fahrer Santiago Botero.
Ob Ullrich auf der von der Tour-Organisation angeforderten Liste stehen wird, mit denen sie Fahrer ausladen möchte, diskutierte Lissavetzky am Donnerstag offenbar mit der Polizei.
Ullrichs Vorname fand sich auf eingelagerten Blutbeuteln aus dem Jahr 2004 ebenso wie in Dokumenten der Codename „Sohn des Rudicio“, der auf Pevenage verweise.
Nach SZ-Informationen befinden sich zehn bis 20 Profis auf der Liste, die nach Ansicht der spanischen Behörden „zu hundert Prozent“ enttarnt und überführt seien – und die am Samstag den Prolog durch Straßburg in Angriff nehmen möchten.
Im Falle des Deutschen sei man sich „sehr sicher“, hieß es von Fahndern, „aber eben nicht zu hundert Prozent“. Insofern wird Ullrichs Start womöglich eine Ermessenssache von Lissavetzky und der Tour-Leitung, die dringend verdächtigte Fahrer bei ihrer Veranstaltung nicht duldet.
Rasche Klarheit, ob tatsächlich Blut von Ullrich in Madrid liegt, brächte ein DNA-Test. Der Rostocker ist diesem Prozedere nicht abgeneigt, doch dies sei wohl erst nach der Tour möglich: „Ich will mich zunächst einmal hier auf das Rennen konzentrieren.“
Rudy Pevenage bestätigt, dass „Jan diesen Test durchaus machen will, und ich würde ihn dabei unterstützen“. Seit Donnerstag ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass diese Aufklärungsarbeit zu spät für die Tour käme.
Medikamentenplan im Wert von 40.000 Euro
Ivan Basso wurde gestern in Straßburg auf dem Podium gefragt, was er von den Veröffentlichungen in Spanien halte. Er entgegnete: „Ich halte davon, dass ich mich jetzt einen Monat sehr konzentriert auf die Tour vorbereitet habe.“
Bassos vermeintliche Verbindung nach Spanien würde wohl auf eine Zusammenarbeit mit dem italienischen preparatore Luigi Cecchini zurückgehen. Der 64-jährige Italiener gilt als Vertrauter Fuentes’.
Eine noch bestehende Zusammenarbeit mit Cecchini leugnen Basso und sein CSC-Teamchef Bjarne Riis aber weiterhin. Dabei haben sie im Januar und März in der Nähe von Viareggio trainiert – nur 30 Meter neben ihrem Hotel besitzt Cecchini eine Wohnung.
Damals besuchte übrigens auch Tyler Hamilton das Team, der wegen Blutdopings gesperrte Amerikaner; er fuhr 2003 für CSC. Die spanischen Ermittler haben jetzt ein Fax aufgetan, auf dem Fuentes Hamilton einen detaillierten Medikamentenplan im Wert von 40.000 Euro zukommen ließ.
Auch Jan Ullrich ist Klient Cecchinis, er hatte das vor drei Jahren freiwillig erzählt und zuletzt abermals betont, der Italiener organisiere ihm nur den Trainingsablauf. Zu den neuesten Berichten aus Spanien teilte sein Team mit, sowohl Ullrich als auch Sevilla hätten auf abermalige Nachfrage versichert, mit dem Fuentes-Labor nichts zu tun zu haben.
Nun warten alle auf die Explosion, welche die angekündigte spanische Veröffentlichung in Straßburg auslösen könnte. Ducken hilft womöglich nichts, denn je nach Beweislage dürften die Favoriten vielleicht gar nicht fahren.
Wie ein Hohn wirkt längst der eiserne Wille des Astana-Würth-Rennstalls, dessen zwischenzeitlich festgenommener Teamchef Manolo Saiz die Razzia ausgelöst hatte.
Mit Ausnahme von Jörg Jaksche, der wegen einer angeblichen Grippeerkrankung nach Hause gefahren war, kamen gestern die Astana-Profis doch zu Untersuchung und abendlicher Präsentation, weil sie mit Schadensersatzforderungen gedroht hatten. Ende offen.
(SZ vom 30.6.2006)
http://www.sueddeutsche.de/,tt3m3/sport/weitere/artikel/471/79392/
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