INTRIGEN DER NRW-SPD
Der merkwürdige Rücktritt des Johann Komarnicki
Von Matthias Gebauer
Stillhalteabkommen, Schweigegelübde, Indiskretionen, Intrigen - wie parteiinterne Reinigungsprozesse bei der SPD in Nordrhein-Westfalen ablaufen, demonstrieren dieser Tage die Genossen in Gladbeck, die ihren skandalumwitterten Parteichef loswerden wollen.
DPA Der Gladbecker SPD-Chef Johann Komarnicki trat unter dubiosen Umständen zurück Gladbeck - Wer dieser Tage bei Gladbecks Sozialdemokraten Fragen nach der Zukunft des örtlichen SPD-Chefs Johann Komarnicki stellt, bekommt fast immer die gleiche Antwort, und die ist kurz: kein Kommentar. Manch einer der Ruhrgebiets-Sozialdemokraten legt beim Thema Komarnicki gar gleich den Hörer wieder auf. Am weitesten wagt sich Ulrich Klabuhn, SPD-Fraktionschef im Gladbecker Rat, vor. "Die Angelegenheit ist parteiintern geregelt worden", so seine wolkige Antwort, und dann noch so viel: Dies sei "keine öffentliche Angelegenheit". Dass die chronisch unter Filz-Verdacht stehenden NRW-Genossen nicht gern über das Thema Johann Komarnicki reden wollen, ist verständlich. Denn der Umgang mit dem Noch-Parteichef, der gleichzeitig auf Bundesebene Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Selbstständige in der SPD (AGS) ist, will so gar nicht zu dem von Generalsekretär Franz Müntefering ausgerufenen Aufklärungswillen passen.
Fast wäre der Plan aufgegangen
Ganz im Gegenteil: Im Fall Komarnicki haben die lokalen SPD-Funktionäre mit allen Mitteln versucht, eine Affäre um ihren Chef zu vertuschen, sie aber gleichzeitig für ihre internen Ränkespiele zu benutzen. Fast wären die Strategen auch erfolgreich gewesen, denn am 19. April unterzeichnete Komarnicki eine vertrauliche Vereinbarung, laut der er bis zum Parteitag am 8. Juni alle politischen Ämter abgibt und die Parteifreunde dafür den Mund halten. Erst eine Indiskretion in den eigenen Reihen offenbarte nun diesen Vorgang.
Die Intrigen ranken sich um einen schon eineinhalb Jahre zurückliegenden Vorfall. Damals hatte der gelernte Diplom-Ingenieur Johann Komarnicki dem arbeitslosen Parteifreund Volker S. geholfen, einen Job zu finden. Durch die Parteiarbeit und seine Tätigkeit als Softwareunternehmer kannte Komarnicki den einen oder anderen Mitarbeiter bei der kürzlich wegen dubioser Großspenden an die NRW-SPD bekannt gewordenen Müllfirma Trienekens. Und so schickte Komarnicki im Herbst 2000 die Bewerbungsunterlagen von Volker S. mit einem persönlichen Anschreiben nach Köln, woraufhin Volker S. im Oktober 2000 schließlich einen Job als Gabelstaplerfahrer bei Trienekens bekam. Schon nach drei Monaten allerdings wurde der Gladbecker wieder entlassen.
Perfide Fallstricke
DPA Noch am 1. März posierte Kanzler Schröder mit Komarnicki (3.v.r.) bei der Vorstellung der Initiative "Unternehmer für Gerhard Schröder" Für Komarnicki war die Hilfe für den Parteifreund "eine ganz normale Sache", wie er heute sagt. Sein Parteifreund Volker S. hingegen fühlte sich nach der Vermittlung unter Druck gesetzt, denn angeblich verlangte Komarnicki von ihm für die erfolgreiche Vermittlung eine Provision in Höhe von drei Brutto-Monatsgehältern und soll diese auch mehrmals im Laufe des folgenden Jahres persönlich eingefordert haben. Volker S. schaltete zuletzt einen Anwalt ein und informierte die parteininternen Gegner von Komarnicki über den Vorgang.
Auf Anfrage bestreitet Johann Komarnicki zwar die Vorwürfe, doch die konkurrierenden Genossen ließen sich einiges einfallen, um den offenbar ungeliebten Chef aufs Glatteis zu führen. Als die Genossen um Komarnickis Widersacher Klabuhn von den angeblichen Geldforderungen erfuhren, verabredeten sich am 12. März 2002 gegen Abend insgesamt neun Gladbecker Sozialdemokraten bei Volker S. zu Hause und ließen diesen bei Komarnicki anrufen. Da es illegal gewesen wäre, das Gespräch aufzuzeichnen, einigte man sich darauf, ein Protokoll zu schreiben, das die Zeugen später beglaubigten.
"Du bezahlst die ganze Summe"
Aus dem Gesprächsprotokoll, das schließlich am vergangenen Wochenende aus SPD-Kreisen an die Presse lanciert wurde und SPIEGEL ONLINE vorliegt, geht hervor, dass Komarnicki durchaus eine Provision vom Parteifreund S. für die Jobvermittlung verlangte. "Das, was wir vereinbart haben, zahlst du", soll Komarnicki auf die Frage geantwortet haben, ob S. ihm noch etwas schulde und auch auf weitere Fangfragen nach ausstehenden Zahlungen antwortete Komarnicki. "Du bezahlst die ganze Summe", soll er gesagt haben, protokollierten die Parteifreunde.
Für den SPD-Fraktionschef Klabuhn und seine Freunde war dieses Protokoll Gold wert und recht schnell traten sie an Komarnicki heran, um ihn zum Rücktritt zu bewegen. Kurz darauf, am 19. April, unterzeichnete der unter Druck stehende Komarnicki dann die vertrauliche Vereinbarung und sicherte zu, beim kommenden Parteitag der SPD in Gladbeck nicht erneut anzutreten. Dafür sollten die Genossen über die Causa Volker S. Stillschweigen bewahren. Schon zuvor hatte Komarnicki mitgeteilt, dass "aus dieser Angelegenheit gegenüber Herrn S." keine Forderungen bestehen und auch "niemals" bestanden hätten.
Beredtes Schweigen
Für alle Beteiligten war die Angelegenheit damit offenbar erledigt. Und auch nach der Indiskretion fühlt sich der Fraktionschef Klabuhn vollkommen unschuldig. Er gesteht zwar ein, dass die ganze Geschichte ein "Geschmäckle" hat, sie habe jedoch mit Bestechung oder gar Filz nichts zu tun. "Wir haben das parteiintern geregelt", wiederholt Klabuhn immer wieder. Außerdem halte er sich an die am 19. April vereinbarte Stillhalteklausel. Unter die fallen auch Fragen, ob er unter Umständen die Nachfolge Komarnickis antreten will.
DPA SPD-Generalsekretär Franz Müntefering schmeckt die Affäre der Ruhrgebiets-Sozialdemokraten gar nicht Ebenfalls für unschuldig hält sich der Noch-Parteichef Komarnicki. An die Stillschweigevereinbarung will er sich ebenfalls halten, teilte er in einer "Presseerklärung" vom Dienstag mit. In dem Schreiben bestreitet der Unternehmer erneut, mit Volker S. jemals "Vereinbarungen" über Geldzahlungen gemacht zu haben und bezeichnet das Gesprächsprotokoll als "unrichtig wiedergegeben". Auf Anfrage erhebt er jedoch schwere Vorwürfe: Er sei "Opfer einer Intrige" und verachte die Mittel, die seine politischen Gegner einsetzten. "Diese Leute haben jeden Sinn für Moral verloren", schimpft er und kündigt rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen an. Ob er wirklich vor dem Parteitag zurücktritt, lässt er offen - schließlich hat er sich ja zum Schweigen verpflichtet.
"Schnell vom Tisch"
Wer Opfer und wer Täter in diesem Fall ist, scheint wegen des vereinbarten Stillschweigens schwer auszumachen, doch die Intrige innerhalb der NRW-SPD ist auch für die Bundes-SPD-Chefs unangenehm. Angeblich hat sich bereits Franz Müntefering in Gladbeck gemeldet. Der SPD-Generalsekretär soll die Gladbecker Parteikader aufgefordert haben, die "Sache schnell vom Tisch" zu bringen, sagen örtliche Genossen, die zwar keine Schweigevereinbarung unterschrieben haben, aber trotzdem ihre Namen nicht veröffentlicht sehen wollen. In Berlin hieß es lediglich, der Generalsekretär habe die Streithähne gedrängt, die Angelegenheit über ein Schiedsverfahren zu klären.
Offiziell scheint die Affäre in der Berliner Parteizentrale aber noch kein Thema zu sein. In der SPD-Pressestelle war noch nicht einmal zu erfahren, ob Komarnicki weiterhin Vorsitzender des Selbständigen-Kreises AGS bleibt oder ob sein geplanter Rückzug aus der Lokalpolitik überhaupt bekannt ist. Die zuständige Mitarbeiterin sei momentan nicht erreichbar, hieß es.
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,195175,00.html
|