Sportmode
In riesigen Sprüngen
Vor zehn Jahren war Puma fast am Ende. Dann kam Jochen Zeitz. Heute reißen sich Jugendliche um die Kultmarke
Von Dietmar H. Lamparter
Die Marke ist mega-out. Schuhe und Leibchen werden auf Wühltischen verramscht. Puma schreibt rote Zahlen. Drei Vorstandschefs wurden in drei Jahren verschlissen. Die rabiate Konkurrenz aus Amerika will die Traditionsmarke sogar aus deutschen Regalen drängen.
Das war vor zehn Jahren.
Totgesagte leben länger. Das Jahr 2002 war das beste seit der Unternehmensgründung. Die Marke mit der springenden Raubkatze ist Kult bei Teens und Twens. Hollywoodstars bekennen sich als Puma-Fans. Sogar die großen Konkurrenten kupfern beim neuen Trendsetter ab.
Den Unterschied macht Jochen Zeitz.
Für das laufende Jahr hat der Vorstandsvorsitzende der Puma AG Rudolf Dassler Sport mitten in der Konsumflaute erneut ein Umsatzplus von 30 Prozent und 50 Prozent mehr Gewinn vor Steuern avisiert. „Wir wollen nicht die größte, aber die begehrteste Sportlifestylemarke werden“, sagt Zeitz in seinem eher biederen Herzogenauracher Büro.
Die neue Richtung hat er schon im Frühjahr 1993 ausgegeben, als der gerade 30-Jährige überraschend das Puma-Chefzimmer bezog. Ausgeguckt worden war Zeitz vom damaligen Großaktionär, dem schwedischen Mischkonzern Aritmos. Der Hamburger Rechtsanwalt Werner Hofer, zu der Zeit schon Aufsichtsratschef, erinnert sich: „Jochen Zeitz brachte alles mit, was für die Aufgabe nötig schien.“ Der Mannheimer Arztsohn hatte Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing und Finanzen an der European Business School in Reichartshausen, Phoenix (Arizona) und Paris studiert, dann beim Markenartikelriesen Colgate Palmolive in New York und Hamburg die Praxis geübt. 1990 war er zu Puma nach Herzogenaurach gewechselt.
Der teuerste Irrtum
Dort, in der fränkischen Kleinstadt, hatten die verfeindeten Brüder Adolf (adidas) und Rudolf Dassler (Puma) 1948 getrennte Unternehmen gegründet, ihre Söhne Horst und Armin setzten den Kurs fort. Der Siegeszug der beiden Ortsrivalen in den sechziger und siebziger Jahren machte Herzogenaurach zum Nabel der Sportartikelwelt. Dabei übersahen die erfolgsverwöhnten Chefs jedoch, dass sich seit Mitte der achtziger Jahre der Markt beschleunigt veränderte. Marktführer adidas und der deutlich kleinere Verfolger Puma verließen sich auf ihre technische Kompetenz und die Erfolge „ihrer“ Spitzensportler mit den Markenlogos auf Schuhen und Trikots. Werbung darüber hinaus erschien unnötig. Ein folgenschwerer Irrtum. Derweil setzten nämlich die amerikanischen Newcomer Nike und Reebok auf modische Alternativen und aggressive Reklame. In wenigen Jahren schafften sie es, bei Teens und Twens an den zusehends altbacken aussehenden deutschen Platzhirschen vorbeizuziehen.
Hinzu kam das von den Amerikanern von Anfang an favorisierte Produktionssystem. Während adidas und Puma noch einen Großteil ihrer Schuhe und Trikots in Deutschland und Westeuropa vergleichsweise teuer selbst produzierten, ließen die Amerikaner von Anfang an komplett billig in Asien fertigen.
1986 ging Puma an die Börse, doch schon 1989 zwangen die gravierenden Managementfehler und akuter Kapitalmangel die Erben Rudolf Dasslers, ihre Puma-Mehrheit zu verkaufen. Die landete in Schweden erst bei Aritmos, dann beim Investor Proventus.
Unmittelbar nach Amtsantritt startete Zeitz die „Phase I“ seines langfristigen Plans zur Unternehmensentwicklung, damals „Fitneßprogramm 93“ genannt. Dem fiel die letzte deutsche Produktionsstätte in Herzogenaurach zum Opfer. Die deutsche Belegschaft halbierte sich auf gerade noch 367 Leute, konzernweit blieben von 1100 noch 700 Mitarbeiter übrig. „Das war eine schmerzliche Zeit, aber wir waren auch froh, dass endlich wieder Entscheidungen getroffen wurden“, erinnert sich die Betriebsratsvorsitzende Katharina Wojaczek, die vor 25 Jahren als Empfangsdame bei Puma startete. Auch beim Sortiment räumte Zeitz auf: Die imageschädlichen Billigtreter nahm er aus dem Programm, obwohl dies Umsatz kostete.
Viele Marktbeobachter zweifelten damals, ob dem jungen Chef die Sanierung gelingen könnte. Doch sowohl Arbeitnehmer, als auch Arbeitgebervertreter im Aufsichtsrat trugen Zeitz’ Pläne mit. Nie habe es grundsätzlichen Dissens über den Kurs gegeben, verrät Chefaufseher Hofer. Zuerst sei es schlicht ums (finanzielle) Überleben gegangen, sagt Zeitz: „Wir haben das Unternehmen zwischen 1993 und 1997 restrukturiert, den Turn-around geschafft.“
Heute lässt Puma wie die Konkurrenz komplett in China, Südostasien oder Südosteuropa im Lohnauftrag fertigen, ein „Code of Conduct“ soll verhindern, dass dort soziale Mindeststandards unterschritten werden. Die Regeln würden gelebt, sagt Katharina Wojaczek.
Doch es wurde nicht nur gespart. Zeitz trieb die Internationalisierung voran. In Boston wurde ein zweites Hauptquartier gegründet, seitdem bringt der Chef rund die Hälfte seiner Arbeitszeit im wichtigsten Sportartikelmarkt der Welt zu. Hongkong wurde zum dritten Entscheidungszentrum der zunehmend „virtualisierten Firma“ (Zeitz), denn auch Lagerhaltung und Distribution wurden nach außen verlagert. „Wir haben uns ganz auf Produktentwicklung, Design und Marketing konzentriert, um die Fixkosten so variabel wie möglich zu machen.“
Schon 1994, in seinem ersten vollen Jahr als Chef, schaffte Zeitz wieder „den Sprung“ in die schwarzen Zahlen. „Springen“ ist eine seiner Lieblingsvokabeln. Hinzu kam das Glück des Tüchtigen. Eine von der Rapper-Szene ausgehende back to the basics-Welle machte den Wildlederschuh suede aus den Siebzigern unverhofft zum Kultobjekt. Popstars wie Madonna tauchten – ungesponsert – mit Puma-Schuhen in Hochglanzmagazinen auf. Die Neuauflagen der „Basics“ sind seither fest im Programm.
Doch Zeitz und seine junge internationale Truppe verließen sich nicht auf den Zufall. Design-Manager wie die Engländerin Hilary Edwards schwärmen in aller Welt durch Szenekneipen, filzen Modemagazine und surfen durchs Internet, um frühzeitig neue Trends zu entdecken. „Wenn man nicht so viel Geld hat wie die ganz Großen“ – gemeint sind Nike und adidas, die bis zu zehnmal so viel umsetzen wie Puma –, „muss man sich was einfallen lassen“, sagt die 31-jährige Hilary. Ihre 30-jährige amerikanische Kollegin Tiffany Brown aus dem Marketing schwärmt vom Teamgeist der Multikulti-Truppe. Jeder packe dort an, wo es nötig ist. „Niemand sagt hier: Das ist nicht mein Job.“
Im Jahr 1997 leitete Jochen Zeitz dann „Phase II“ der langfristigen Unternehmensentwicklung ein. Dank gesundeter Finanzen konnte jetzt in die Marke investiert werden. Die Budgets für Marketing und Entwicklung wurden drastisch erhöht. Einkalkuliert war, dass die Ergebnisse erst mal zurückgingen. Dabei half es, dass der neue Großaktionär, die US-Mediengruppe Monarchy/Regency, die seit 1996 sukzessive rund 40 Prozent der Puma-Anteile aufgekauft hatte, genauso auf Zeitz’ langfristige Pläne vertraute wie zuvor die Schweden. „Damit konnte der größte Teil der Gewinne zunächst immer wieder in das Unternehmen gesteckt werden“, bestätigt der Aufsichtsratschef.
Die „stillen Helfer“ (Hofer) von Regency brachten nicht nur ihr Szene-Know-how aus ihren Filmproduktionen (Pretty Woman) in den Aufsichtsrat ein: Nicht zufällig tragen Stars wie Gwyneth Paltrow oder Ben Affleck seither auffällig oft unauffällig Puma-Outfits.
Angriff vom Underdog
Dazu brauchte es freilich die passenden Produkte. Die Puma-Leute zeigten sich ein ums andere Mal erfindungsreich. Sie entwickelten eine Yoga-Kollektion mit der Symbolfigur Christie Turlington, rüsteten erstmalig Formel-1-Teams, Skater oder in den USA populäre Moto-Cross-Sportler aus. Richtig weg von den schweißgetränkten Ursprüngen kamen die Puma-Strategen durch die Kooperation mit prominenten Modemachern wie Jil Sander und dem japanischen Designer Yasuhiro Mihara.
Zur Überraschung der etablierten Konkurrenten schaffte es das Raubkatzen-Label in die edlen Trendboutiquen, wo es mit Modemarken wie Prada Sport oder Boss Sport konkurriert. „Wir waren der Underdog, der das Establishment angreift und nicht überall zu haben ist“, freut sich Zeitz spitzbübisch und zeigt seine modischen Treter aus der „96 hours Collection“ vor, die der Businessman zum Dinner genauso tragen kann wie zur Jogging-Runde danach – Preis 180 Euro. In den Modeboutiquen sind deutlich fettere Spannen drin als im Sportfachhandel. Allerdings: Puma kann es sich kaum leisten, dass dort eine Kollektion mal richtig danebengeht.
„Achtzig Prozent der Verbraucher nutzen die Produkte nicht zum Sport“, weiß Zeitz. Darum will Puma auch keine reine Sportmarke, sondern eine „Sportlifestylemarke“ sein: „Ein Produkt ist mehr Sport, das andere mehr Lifestyle, aber die Verbindung ist immer da“.
Deshalb werden auch klassische Sportarten weiter gepflegt. Beim Tennis erwies sich Serena Williams als Glücksgriff. Bei der Fußball-WM sorgten die sexy Trikots der Kameruner Löwen für Schlagzeilen, und die „jungen Wilden“ des VfB Stuttgart waren letzte Saison ebenfalls ein Scoop. Das jamaikanische Leichtathletik-Team und die italienische Fußballnationalmannschaft kann man sich jetzt als Aushängeschilder leisten.
Puma starrt nicht mehr auf adidas oder Nike – eher umgekehrt wird ein Schuh draus. „Wir setzen die Trends jetzt selbst“, sagt Zeitz. Neuerdings kooperiert auch adidas mit einem japanischen Designer. „Puma-Schuhe und -Outfits sind adidas und Nike um Längen voraus“, befindet der 25-jährige Jens, der in Köln Sportmarketing studiert, und selbst die New York Times glaubt, dass Puma und andere den Geschmack der Kids neuerdings besser träfen als der Marktführer Nike. „Gute Arbeit“ bescheinigt selbst ein adidas-Topmanager dem Chef des Ortsrivalen.
Zwar setzt adidas siebenmal mehr um, aber die Umsatzrendite von Puma ist mit 13,7 Prozent (2002) mehr als doppelt so hoch wie beim großen Nachbarn. „Die Belegschaft wächst zweistellig“, freut sich Betriebsrätin Wojaczek. Rund 2500 Leute sind es weltweit wieder, rund 570 in Herzogenaurach. Nicht nur sie hält große Stücke auf Zeitz. Sein Vertrag wurde vor kurzem um fünf Jahre verlängert, in denen er – „Phase III“ – die Marke noch begehrter machen will.
Da konnte es Jochen Zeitz auch locker wegstecken, dass vor wenigen Wochen der Großaktionär Monarchy/Regency aufgrund des gestiegenen Aktienkurses Kasse machte. „Wir können jetzt gut ohne Großaktionär leben“, verkündete er vom Zweithauptquartier Boston aus. Vorsorglich hatte er aber schnell noch einen fünfjährigen Kooperationsvertrag mit den Filmbossen abgeschlossen und dazu einen ähnlichen Deal mit dem Fernsehriesen Fox Entertainment eingefädelt. Glamourstars werden also weiter mit Puma-Tretern oder -Outfits posieren.
Dafür macht Zeitz umso weniger Aufhebens um seine Person. Talkshows sind dem 40-Jährigen ein Gräuel, und Manager-Selbstdarstellungen wie auf dem Davoser World Economic Forum hält er für „Zeitverschwendung“. Seine Zeit investiert er lieber direkt in den Job. Die Aktionäre freut es. Wer ihm schon 1993 vertraute und für 7 Euro kaufte, bekommt heute mehr als 85 Euro für die Aktie.
Auch zum Anhören als mp3 unter www.zeit.de
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