12.11.2009 Klinische DepressionDie verdrängte VolkskrankheitVon Christian Stöcker REUTERS Depression: Verdrängte, gefährliche Volkskrankheit Millionen von Deutschen leiden an behandlungsbedürftigen Depressionen, jedes Jahr nehmen sich Tausende das Leben. Die gefährliche Krankheit ähnelt manchmal schlechter Laune so sehr, dass sie als harmlos abgetan wird, gar als selbstverschuldete Schwäche. Ein schwerer gesellschaftlicher Irrtum. Das Wort "Depression" teilt das Schicksal vieler andere Begriffe aus der Psychologie und Psychiatrie: Es ist nach und nach in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und hat so schleichend seine Bedeutung verändert. Begriffe wie "Psychopath" oder "Hysterie" haben ähnliche Entwicklungen durchgemacht - und werden von Fachleuten heute deshalb nicht mehr oder kaum noch verwendet. Wenn heute jemand sagt: "Davon krieg' ich echt Depressionen" oder "Ich bin wirklich deprimiert", dann meint er in der Regel etwas völlig anderes als das, was der Fachbegriff der klinischen Depression eigentlich bezeichnet. Das schwere psychische Leiden, das Robert Enke offenbar schließlich zum Selbstmord trieb und Millionen von Menschen hierzulande betrifft, ist etwas völlig anderes als einfach nur trübe Stimmung. Selten ist die echte Depression beileibe nicht - Fachleute wie der Psychiater Ulrich Hegerl von der Universität Leipzig schätzen die Zahl behandlungsbedürftiger Depressiver in Deutschland auf bis zu vier Millionen. Trotzdem ist die Krankheit ein Tabu geblieben. Die Tatsache, dass Depression heute noch so oft als bloße schlechte Laune, womöglich gar als eine Art selbst verschuldete Schwäche angesehen wird, ist ein gesellschaftliches Problem. Jährlich nehmen sich bis zu 10.000 Deutsche wegen dieser Krankheit das Leben, oft wohl auch, weil ihnen in ihrer Depression nicht geholfen wurde. Das hat vermutlich damit zu tun, dass unsere Gesellschaft sich sehr schwer damit tut, eine Krankheit als solche zu akzeptieren, die auf den ersten Blick einer vorübergehenden Verstimmung ähnlich sehen kann. Je höher der Druck, desto geringer die Toleranz - das gilt für den Leistungssport ebensosehr wie für andere Berufsfelder. Tiefe emotionale Täler Die milde Art von "Depression", die wohl die meisten Menschen schon einmal selbst erlebt haben, wird von Fachleuten in der Regel als "depressive Verstimmung" bezeichnet: eine vorübergehende, manchmal durchaus sehr belastende Verschlechterung der Stimmung. Depressive Verstimmungen können vielfältige Ursachen haben - der Verlust des eigenen Jobs, Krankheiten oder ein Todesfall im eigenen Umfeld, das Scheitern einer Beziehung oder auch harmlosere Gründe. Bei der Mehrheit der Menschen vergeht die ständig gedrückte Stimmung eines Tages wieder. Bei anderen wird aus der depressiven Verstimmung irgendwann allerdings eine chronische Depression. Schwere klinische Depressionserkrankungen von der Art, an der wohl auch Robert Enke litt, verlaufen in der Regel in Schüben - die Betroffenen stürzen immer wieder in tiefe emotionale Täler. Das Leben erscheint ihnen sinn- und hoffnungslos (mehr zu verschiedenen Krankheitsbildern im Kasten in der linken Spalte). In diesen Phasen können sich die Erkrankten oft nicht vorstellen, dass es ihnen jemals wieder besser gehen könnte. Fachleute sagen, wenn solche Symptome, gepaart etwa mit Schlaf- und Appetitlosigkeit, über mehr als zwei Wochen anhalten, sei eine Depression wahrscheinlich. Die Erkrankung ist nicht leicht zu diagnostizieren - auch deshalb, weil sie so vielgestaltig auftritt. Manche Betroffene haben beispielsweise nicht Schlafdefizit, sondern im Gegenteil ein enorm gesteigertes Schlafbedürfnis. Die Unfähigkeit, außer Verzweiflung irgendetwas zu empfinden Eine echte Depression verändert den Menschen in vielerlei Hinsicht. Manche erleben sie vornehmlich körperlich - so mancher Depressive geht nur zum Arzt, um sich Medikamente gegen Rückenschmerzen oder Einschlafstörungen verschreiben zu lassen - nicht etwa, weil er eine psychische Erkrankung vermutet. Oft geht die Erkrankung auch mit einer körperlich empfundenen Antriebsschwäche einher, einem Gefühl der Kraftlosigkeit, das den Betroffenen buchstäblich lähmt. Andere Patienten hingegen werden rastlos und können nicht mehr oder kaum noch stillsitzen. Verbunden ist dies oft mit der Unfähigkeit, außer Verzweiflung überhaupt noch irgendwelche Gefühle zu empfinden. Depression verändert auch das Denken: Betroffene haben Konzentrations-Probleme, manche erleben massive Gefühle von Schuld und eigener Wertlosigkeit. Sie sehen die Welt schwarz-weiß. Dinge, die nicht rundweg positiv laufen, werden als katastrophal schlecht empfunden. Und sie fühlen sich unter Umständen für Leid in ihrer persönlichen Umgebung oder andere Missstände persönlich verantwortlich. Einige Forscher glauben, dass Depressive in gewisser Weise und in bestimmten Situationen die Welt sogar realistischer wahrnehmen als Nicht-Depressive - zumindest in den eng definierten Grenzen psychologischer Experimente. Man spricht in diesem Zusammenhang von "depressivem Realismus" (mehr im Kasten in der linken Spalte). ----------- gruß Maxp.
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