Weniger Fleisch, mehr Fleiß
Warum sichtbare Stringtangas und BH-Träger nicht nur für Junglehrer eine Zumutung sind - Debatte von Christine Brinck
In der Hamp Community Junior School in Bridgewater, (Somerset/England) sind Stringtangas verboten. Die Schulleiterin findet, sie seien unpassend für elfjährige Mädchen, insbesondere wenn sie à la Britney Spears getragen werden, will sagen, wenn sie über den Rand der tief auf den Hüften sitzenden Hosen hervorlugen. Dass der Schlampenlook nicht nur bei Popstars und Klubjunkies de rigueur ist, notieren Menschen über 30 seit einiger Zeit mit Staunen. Seine Unterwäsche vorzuzeigen galt kaum je als erstrebenswert, heute sind die sichtbaren BH-Träger so wichtig wie die rasierten Beine und die Strings des Tanga. Auch schon bei 11- und 13-Jährigen.
Die Schulleiterin Helga Akkermann aus Sehnde in Niedersachsen, die mit ihrem Vorstoß gegen Nabelpiercing und bauchfreie Leibchen den Sturm im Sommerwasserglas auslöste, möchte diese Kleidungsstücke ebenso gern aus dem Schulhaus verbannen wie ihre englische Kollegin die Tangas. Freilich ist England nicht nur das Land der Schuluniformen, sondern auch des Hyperindividualismus, und ein Klamottenkodex wird nicht als Eingriff in die persönlichen Ausdrucksformen missverstanden. Vom Kindergarten bis zum Abitur gibt es vielerlei Schuluniformen, ihre Gestaltung schließt bisweilen sogar die Unterwäsche ein.
So kann man etwa im Handbuch für die oberen Klassen der leistungsorientierten englischen Privatschule Sevenoaks unter der Überschrift "Appearance and Manners" (Erscheinung und Manieren) lesen: "Zu jeder Zeit wird von den Schülern erwartet, dass sie sich in einer Weise kleiden und verhalten, die der Schule angemessen ist." Jenseits der Pflicht, die Schuluniform vorschriftsmäßig zu tragen (dazu gehört stets der Blazer, außer an extrem heißen Tagen), wird den Schülern in einem Anhang aufgelistet, was die Schule unter "sauber und ordentlich" versteht: "Das Haar muss gewaschen und ansehnlich sein. Es darf nicht sichtbar gebleicht oder gefärbt sein; Gel darf nur sparsam benutzt werden, dramatische Frisuren und die Benutzung von Farbe sind nicht akzeptabel." Schmuck ist kaum erlaubt: keine Ohrringe für Jungen, nur ein Paar Ohrstecker sowie ein Ring für die Mädchen. Weiterhin ist auch außerhalb der Unterrichtszeit alles allzu Auffällige verboten: keine Army-Klamotten, keine Lederjacken mit Nieten. Hält sich jeder daran? Meistens. Fühlen die Kinder sich eingeengt, die so reglementiert werden? Kaum.
So würde es der Schulleiterin Akkermann und vielen ihrer schweigenden Kollegen gefallen - ebenso Willi Lemke, dem zum Bildungssenator mutierten früheren Manager von Werder Bremen. Das könnten sie vielleicht auch haben, wenn die Schule die Autonomie hätte, die der Pisa-Sieger Finnland und das auch überdurchschnittlich abschneidende England ihr schon lange gewähren. Doch folgt in jeder deutschen Schulklamottendiskussion mit schöner Regelmäßigkeit auf den Ruf nach Schuluniformen deren Zurückweisung mit Hinweis auf BDM/HJ/FDJ. Und natürlich darf sowohl von fortschrittlichen Gewerkschaftern wie erleuchteten Kids der Hinweis auf die Kleidung als Ausdruck der Persönlichkeit nicht fehlen. Das Persönliche und Individuelle wird freilich etwas überstrapaziert, wenn kollektiv die kleinen Schülerinnen in Hüfthosen, bauchfrei und halbnackt Popqueens wie Britney Spears oder Christina Aguilera nachahmen. Lehrer und Minister, die von der "Sexbomben"-Invasion (Lemke) im Klassenzimmer überfordert sind, wünschen sich ein bisschen weniger Fleisch und ein bisschen mehr Fleiß. Der Kopf der Britney-Klons füllt sich nicht schneller, weil sie nackter sind, auch wenn Franz Josef Wagner in der "Bild" dem armen Senator Lemke "Kleidung ist Freiheit" entgegenschleuderte und eine Beziehung zwischen freiem Nabel und freiem Hirn herzustellen suchte. Voller Bauch studieret schlecht, hieß es einst bei den Mönchen. Für nackte Bäuche und halbnackte Busen gilt dasselbe.
Es ist nicht abwegig, eine Beziehung zwischen Leistung und Kleiderordnung herzustellen. In amerikanischen Großstadtschulen, die der Disziplinlosigkeit und der sexuell oder gewalttätig aufgeladenen Atmosphäre Herr werden wollten, änderte sich nicht nur das Verhalten der Schüler nach der Einführung von Kleidervorschriften und dem Verbot gewisser Schmuckstücke oder Abzeichen, sondern auch ihre Leistungsbereitschaft. Der Banklehrling nimmt schließlich unseren Überweisungszettel auch nicht im Muskelshirt entgegen. Die junge Krankenschwester trägt vorgeschriebene Kleidung und verliert trotz Uniform ihre Persönlichkeit nicht. Warum also die Schüler?
Die Schule ist die Arbeit der Kinder und keine Strandparty. Dementsprechend sollten die Kids (und im Übrigen auch ihre Lehrer) gekleidet sein. Ob das per Uniform geschieht oder mit Vorgaben wie dunkle Hose, helles Hemd, ist nicht so wichtig. Deutsche Kinder, die in England in die ungewohnten Uniformen schlüpfen mussten, haben den Segen dieser Institution erkannt: Man kann länger schlafen, kein Kleiderstress mehr vor der Schule. Rock, Hemd, Krawatte, Blazer - fertig. Unterm Strich soll auch noch ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl dabei rauskommen - auch das täte unseren Schulen und Schülern nicht schlecht.
Christine Brinck ist Erziehungswissenschaftlerin und freie Journalistin in München.
Artikel erschienen am 18. Jul 2003
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